| | | | | 27. Juni 2025 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | eigentlich sollte man für diesen Samstag gar nichts schreiben. Oder, im Gegenteil, man sollte unbedingt etwas schreiben, gerade weil dieser Samstag dieser Samstag ist. In Altötting findet am Samstagvormittag die Trauerfeier für Hermann Unterstöger statt. Er war einer, der immer geschrieben hat. Und er hat es meistens mit einer Leichtigkeit getan, die unerreichbar ist für alle, denen jene einzigartige Mischung aus Bildung, Ironie und Bodenständigkeit nicht zu eigen ist. AuÃer Unterstöger ist niemandem diese Mischung zu eigen. Am Freitag vor einer Woche starb Unterstöger, am vergangenen Mittwoch wäre er 82 geworden. Als geübte SZ-Leserinnen und -Leser brauche ich Ihnen nicht zu erklären, wer Hermann Unterstöger war. Er hat zwar das Streiflicht nicht erfunden, aber wäre es noch nicht erfunden gewesen, er hätte es erfunden. Sein letztes Streiflicht schrieb er Ende Mai, es war eines von mehr als 3000. Das Streiflicht ist so etwas wie das Urmuttervaterwesen aller Glossen in der SZ, der guten wie der nicht so guten. Weil ich selbst ein Gebrauchsautor bin, habe ich mich immer dafür interessiert, was andere, die wirklich schreiben können, über das Schreibenkönnen sagen. An der Frankfurter Goethe-Universität gibt es seit 1959 die Poetik-Vorlesungen, die so schöne Titel hatten wie âIst der Schriftsteller ein unnützer Mensch?â (Wolfgang Koeppen, 1982) oder âVom Guten, Wahren und Schönenâ (Sibylle Lewitscharoff, 2011). In der Edition Suhrkamp, den lebensnotwendigen bunten Taschenbüchern, kann man viele der Frankfurter Vorlesungen finden. Lesen über Schreiben ist sehr wichtig, weil einem dies das Schreiben erleichtern kann. Wer nicht liest, kann auch nicht schreiben. Hermann Lenz zum Beispiel, anders als Siegfried Lenz ein empfindsamer Schwabe, hat sich in seiner Frankfurter Vorlesung 1986 (âLeben und Schreibenâ) Gedanken darüber gemacht, dass alles Natürliche einen âimmateriellen Reizâ ausstrahlen könne, der ihm als Schriftsteller wichtig sei. Ein solcher Reiz könne die Art sein, wie sich ein Mensch bewege oder wie ein Schindeldach in der Sonne glänze. âUm das Immaterielle mit Wörtern sichtbar zu machen, kommt es darauf an, sich in alles Existierende hineinzustehlen oder hineinzuschleichenâ, sagte Lenz. Immateriell die Gestalt des Immateriellen anzunehmen, um es â und damit auch sich selbst â zu beschreiben, ist ein hochinteressanter Ansatz für fiktionales Schreiben. Finde ich. Der belesene, aber nie theoretisierende Unterstöger hatte eine Lieblingsgeschichte über das Lesen und Schreiben. Weil gerade Streiflichter ihren Anfang oft im Vermischten der Zeitungen finden, um sich dann auf assoziativen Drehleitern in das Reich der Ironie zu versteigen, liest ein guter Streiflicht-Autor viel. Eine -Autorin auch. Unterstöger saà eines Vormittags mit einem Stapel Zeitungen (so etwas gab es früher noch, liebe Tiktoker) in seinem Büro, während eine Reinemachfrau mit Migrationshintergrund ihres Amtes waltete. Sie habe ihn, erzählte Unterstöger, länger gemustert und dann gesagt: âImmer nur lesen. Nix arbeiten.â Man könnte auf diese sehr existenzielle Erkenntnis nun mit einem Satz von T. S. Eliot antworten: âThe experience of a poem is the experience both of a moment and of a lifetimeâ, die Erfahrung eines Gedichts ist die Erfahrung eines Moments und gleichzeitig die eines ganzen Lebens. (Auf diesen Satz weist Durs Grünbein in seiner Frankfurter Vorlesung von 2009 hin.) Nun ist ein Streiflicht kein Gedicht, auch wenn die besten Streiflichter manchen guten Gedichten nur wenig nachstehen, weil es nicht der Reim ist, der ein Gedicht ausmacht, sondern der Geist. Der Geist des Streiflichts wiederum schwebt â anders als der Geist Gottes â nicht über den Wassern der wüsten und leeren Erde. Der Geist einer Glosse ist flüchtig, was man vielen Glossen â hoffentlich nicht dieser â ankennt. Man muss den Geist morgens im Vermischten der Zeitung oder im Feuilleton, was das Vermischte für Mindestensabiturienten ist, stellen. Manchmal hört man auch im Radio Leute, die etwas Kluges sagen wollen, es aber dumm ausdrücken (siehe auch Drecksarbeit, kleine Paschas etc.) Auch da kann der Glossengeist ansetzen, sodass man die Erfahrung des Glossen-Moments eigentlich nur noch in die Lebenserfahrung übertragen muss. So einfach ist das. Nur denken, nix arbeiten. Nun ist die Zahl derer, die viel arbeiten, aber nix lesen (mit âlesenâ sind hier nicht E-Mails, Präsentationen, Projektentwürfe, Konzeptpapiere und dergleichen gemeint), in vielen Firmen, darunter sogar Redaktionen, höher, als man das manchmal befürchtet. Lesen ist für viele so was von 20. Jahrhundert. Das aktive Kommunikationsverhalten im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sieht anders aus: Man nimmt etwas wahr, was jemand irgendwo auf XInstabluesky geschrieben hat, und kommentiert es dann. Der Kommentar wird wieder kommentiert. Auf ihn folgt der nächste Kommentar. Nichts ist im Netz so günstig zu haben wie Meinung, eine Form von Meinung, die ausschlieÃlich von der Erfahrung des Moments lebt. Allerdings strahlt dies alles, um eine Anleihe bei Hermann Lenz zu nehmen, keinen immateriellen Reiz aus. Die Wörter im Netz sind Wörter, in die man sich nicht hineinstehlen möchte. Zu viele von ihnen stehlen sich einem selbst ins Hirn. Also, auch an diesem Samstag: Nix jammern, immer lesen. Und dann denken und später schreiben. So wie es Hermann Unterstöger immer gemacht hat. | |
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