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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 22.09.2023 | regnerisch, bedeckt, 15 bis 19°C. | ||
+ Clubsterben in Berlin: Das „Mensch Meier“ muss dichtmachen + Wehrhafte Mieterstadt: Immobilienriese Covivio erhöht Mieten doch nicht so stark + Rudi aus Prag, der bekannteste Bahnsteigmusiker Berlins, im Interview + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, liebe – nee, von wegen! Die Deutschen haben tatsächlich immer weniger Sorgen. Nach einer Langzeitumfrage des Karlsruher Instituts für Technologie hat innerhalb des letzten halben Jahres die Angst vor zu hohen Preisen und vor dem Verlust des Arbeitsplatzes spürbar abgenommen (Details hier). Die größten Sorgen bereiten den Menschen der weltweite Klimawandel (63 Prozent) und der weitere Verlauf des Ukraine-Kriegs (60 Prozent). An die Inflation dagegen haben sich viele offenbar gewöhnt. Inzwischen geben laut der Studie viele Menschen auch in Berlin an, sich persönlich besser zu fühlen und insgesamt weniger wütend zu sein. Vielleicht merken wir doch, dass viele andere ganz andere Sorgen haben. | |||
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Was gibt Halt in dieser Zeit? Manchmal schon der nächste Halt der Ringbahn. Wenn man Glück hat, sitzt dort gerade Rudi und spielt Klassik oder Popmusik auf seinem Klavier, das er mit einem Einkaufswagen hierher gerollt hat. Der 56-Jährige ist derzeit wohl Berlins bekanntester Bahnsteigmusiker (Fotos hier) – im Checkpoint-Gespräch erzählt er nun seine Geschichte. Rudi, wann haben Sie das erste Mal Klavier auf einem S-Bahnsteig gespielt? Es war an der Frankfurter Allee, vier Monate ist es her. Ich hab‘ Musik gemacht und die Menschen haben mir zugelächelt. Ein Mann fragte: Warum spielst du nicht öfter? Ich war neu in Berlin und hatte gar kein Zuhause. In den ersten Wochen habe ich auf einer Matratze an der Brücke der Schönhauser Allee geschlafen. Dann sprach mich ein Mann von der Kirche an und gab mir einen Bungalow zum Wohnen an der Greifswalder Straße. Da lebe ich, wenn ich in Berlin bin. Wo kommen Sie denn her? Ich bin ein tschechischer Roma. Ich lebe in Prag, da wohnen auch meine Mutter und meine beiden Schwestern. Aber ich habe dort viel Rassismus erlebt, man kriegt dort als Roma keine Wohnung und keinen Job. Auf der Straße wurde ich beschimpft, wenn ich gespielt habe. Einmal kam ein Tourist aus Berlin und sagte: Komm doch lieber nach Berlin! Also habe ich mich mit meinem Klavier in den Zug gesetzt und hier angefangen. Seit wann spielen Sie Klavier? Ich habe seit zwei Jahren ein Piano, habe mir jeden Ton selbst beigebracht. Vor drei Wochen ist in Berlin leider mein Piano kaputtgegangen, als mich ein betrunkener Autofahrer an der Greifswalder Straße angefahren hat. Ich war auch verletzt. Eine Frau hat den Unfall gesehen. Sie sagte zu mir: Ich kann dir mein Piano geben für 200 Euro. So viel Geld hatte ich nicht, da hat sie es mir für 100 verkauft. Jetzt spiele ich darauf. Ich schiebe das Piano mithilfe meiner Frau meist zur Prenzlauer Allee, wenn ich zur S-Bahn will. An der Greifswalder Straße ist gerade der Fahrstuhl kaputt. Wie reagieren die Menschen in Berlin? Hier ist es kosmopolitisch. Die meisten Leute sind freundlich und geben etwas Geld. Ich hab‘ natürlich meine Musik umgestellt. In Prag habe ich Karel Gott intoniert, hier spiele ich romantische Liebeslieder und ein paar 90er-Jahre-Hits. Am Anfang hat mich immer die Security von den Bahnhöfen verscheucht. Aber inzwischen kennen mich die meisten schon. Und wenn es ein Problem gibt, fahre ich eine Station weiter und spiele dort. Was möchten Sie einmal im Leben machen? Ich möchte arbeiten gehen und Geld verdienen. Und im Winter will ich zurück nach Prag, dort ist meine Heimat, da habe ich meine Freunde. Aber solange die Sonne scheint, bleibe ich in Berlin. | |||
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So, jetzt rein in die Bahn! Und nicht in den gelb markierten Türbereichen stehen bleiben! „Wir wollen pünktlich für Sie abfahren“, heißt es in Durchsagen der S-Bahn. Sind also Fahrgäste, die nicht die gesamte Länge des Zuges nutzen oder die automatisch schließenden Türen der neuen Züge blockieren, schuld daran, dass immer wieder Bahnen zu spät kommen? „Der Türschließ-Mechanismus ist gegenüber den alten Fahrzeugen für die Fahrgäste neu und muss ein wenig gelernt werden“, sagt ein Bahnsprecher dazu auf Checkpoint-Nachfrage. Die beständige Bitte, die Türen freizuhalten, solle „die Aufmerksamkeit hinsichtlich der Sensorik“ erhöhen. Allerdings ließen sich die Türschließungen der neuen S-Bahn „in Pünktlichkeitswerten nicht abbilden“, bekennt der Sprecher. Für die kaputt gesparte Bahn ist oft genug die nächste Weiche schon die Härte. | |||
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„Tanz den Untergang mit uns.“ So stand es lange an der Fassade des subversiven Clubs „Mensch Meier“ in Prenzlauer Berg, nun ist dieser Spruch abmontiert. Denn zum Jahresende macht ein nächster besonderer Ort des Berliner Nachtlebens das Licht aus. „Wir haben zehn Jahre lang einen erfolgreichen nicht-kommerziellen Club aufgebaut, doch bis zuletzt ist für uns die Lage prekär geblieben“, erzählt Clubsprecher Benni am Checkpoint-Telefon. Der Musiker, in Berlins Partyszene bekannt unter seinem Künstlernamen Jenny Pepps, hat den Club an der Storkower Straße mit aufgebaut, jahrelang an der Technik geschraubt und Partys organisiert. „Mensch Meier“ war bekannt für seine basisdemokratische Organisation und seine wilde Mischung von Techno über Hip-Hop bis Rock (Video hier). Nach der Corona-Pandemie erfand das Kollektiv das Programm noch einmal neu, dann aber stiegen durch die Inflation die Gagen, die Energie- und Nebenkosten. Und viele Nachtschwärmer sparten sich lieber das Geld für manche Nacht. Die Clubcommission warnte am Donnerstag vor einem Clubsterben: „Die Berliner Clubkultur, weltweit bekannt für ihre Einzigartigkeit, Diversität und Progressivität, steht derzeit vor einer existenziellen Bedrohung.“ Neben den gestiegenen Kosten und vermehrten Lärmklagen sind viele Kulturorte auch durch den Weiterbau der A100 bedroht. Wie dem „Mensch Meier“ geht es gerade vielen Clubs: Sie müssen ihre Freiräume aufgeben, weil sie sie sich nicht mehr leisten können und sich die Stadt diese nicht länger leisten will. „Vor zehn Jahren kamen wir noch leichter an Räume“, erzählt Musiker Jenny Pepps. Inzwischen funktioniere das Nachtleben oft nur über die Ausbeutung persönlicher Ressourcen. Pepps‘ Mitstreiter organisieren nun eine Reihe von Abschiedspartys im „Mensch Meier“. Die erste steigt am 30. September zum zehnjährigen Jubiläum des Vereins „Tatendrang“, der den Club mit ermöglichte und auch auf dem Fusion-Festival aktiv war. Ob im nächsten Jahr auf dem früheren Industriegelände an der Storkower Straße noch gefeiert wird, ist unklar. Dafür müsste wohl die Lokalpolitik etwas mehr Tatendrang für die Clubs entwickeln. Damit Berlin nachts nicht bald in den Untergang tanzt. | |||
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