Liebe/r Leser/in, Deutschland ist im Impfstress. Die Quote liegt bei über 60 Prozent (mindestens eine Dosis), und Biontech-Pikser gibt es inzwischen gefühlt auf jedem Supermarktparkplatz. Alle, die ein Impftermin vereinbaren wollten, konnten das inzwischen tun. Und jetzt? Sollten wir eigentlich die Normalität und unsere Familie und Freunde wieder in die Arme schließen. So hatten es unsere Spitzenpolitiker zumindest noch Anfang des Jahres versprochen. Stattdessen verzettelt sich Deutschland in einer Diskussion, die schon in Frankreich die Bevölkerung zur Weißglut treibt. Markus Söder will, dass die Leute ihre Corona-Tests, ihre Eintrittskarte für Theater oder Restaurants, künftig selbst bezahlen. Kanzleramtsminister Helge Braun möchte diesen Freizeitspaß bei einer hohen Inzidenz gar nur noch den Geimpften gönnen, und Winfried Kretschmann findet, man könne eine Impfpflicht nicht mehr grundsätzlich ausschließen.
Alles schön und gut. Aber was wurde aus: Wir können Grundrechtseinschränkungen nicht mehr rechtfertigen, wenn jeder die Möglichkeit hat, sich zu schützen? Pflichten sind eine heikle Angelegenheit. Ich selbst bin geimpft. Auch meinen Sicherheitsgurt lege ich beim Autofahren gerne an. Nicht nur weil ich es muss, sondern vor allem weil ich nicht mit dem Kopf durch die Frontscheibe segeln möchte, weil ich den Sinn dahinter verstehe. Handle ich anders und lasse den Gurt weg, ist das zwar wahrscheinlich nicht klug, aber meine Verantwortung. Ich trage das Risiko selbst. Warum sollte es sich mit dem Impfen anders verhalten? Jeder hat nicht nur das Recht, nach eigener Fasson glücklich zu werden, sondern sich im Zweifel auch zugrunde zu richten. Freiheit und Verantwortung gehörten schon immer zusammen. Das eine kann nicht ohne das andere verstanden werden. |