Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: „Kein Recht auf Beihilfe zum Suizid“
Straßburg/Wien (ALfA) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat die Verurteilung eines dänischen Arztes wegen Beihilfe zum Suizid bestätigt. Das berichtet das Wiener „Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik“ (IMABE) in seinem monatlich erscheinenden Newsletter. Nach Ansicht des EGMR hatte der Arzt in drei Fällen Patienten in ihren Suizidabsichten unterstützt und bei deren Selbsttötungen mitgeholfen. Dabei könne er sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen, urteilte der EGMR. Der pensionierte Arzt Sven Lings war 2019 von dänischen Gerichten wegen Beihilfe zum Suizid rechtskräftig zu 60 Tagen Haft verurteilt worden. Aufgrund seines hohen Alters musste der Arzt die Haft jedoch nicht antreten. Dennoch legt der inzwischen 81-Jährige beim EGMR Beschwerde gegen das Urteil ein. Dabei stellte sich der Arzt auf den Standpunkt, er habe nur allgemein Informationen über den Suizid verbreitet. Durch die Verurteilung sei er in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 der Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt worden. Lings ist ein bekannter Sterbehilfe-Aktivist in Dänemark, er fordert die dortige Legalisierung der Euthanasie und Beihilfe zur Selbsttötung. Als Gründer einer „Sterbehilfe“-Organisation veröffentlichte er auf seiner Webseite eine nach eigenen Angaben „sehr benutzerfreundliche“ Anleitung zum Suizid – inklusive detaillierter Beschreibungen von rund 300 Medikamenten und deren erforderlicher Dosis zur Selbsttötung. Die allgemeine Veröffentlichung im Internet ist nach dänischem Recht legal, eine konkrete persönliche Beihilfe zum Suizid ist hingegen verboten. Im Jahr 2017 gab Lings dann in einem Radio-Interview zu, mehrfach Menschen dabei unterstützt zu haben, sich das Leben zu nehmen. Er hatte unter anderem zwei Personen, deren Suizidabsichten er kannte, ein bestimmtes Präparat zwecks Selbsttötung verschrieben, und einer dritten geraten, sich neben der Einnahme einer Überdosis von Medikamenten eine Plastiktüte über den Kopf zu ziehen. Zwei starben, einer erholte sich laut EGMR wieder vollständig. Der Arzt wurde daraufhin mit einem Berufsverbot der Ärztekammer belegt und aus der Ärztekammer ausgeschlossen. Der EGMR sah keine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und auch kein unangemessenes Strafmaß seitens der dänischen Gerichte. Die Beihilfe zum Suizid werfe „Fragen der Moral“ auf, in denen die Mitgliedstaaten des Europarats „weit davon entfernt“ seien, „einen Konsens zu erzielen“, weshalb jedem Land ein entsprechender Ermessensspielraum zustehe. Die Beihilfe zur Selbsttötung stehe in Dänemark unter Strafe. Die Gründe für die Verurteilung des Arztes, nämlich Schutz der Gesundheit und Moral und der Rechte anderer, seien legitim, so der EGMR. Die Straßburger Richter betonen zudem, dass es nach der Europäischen Menschenrechtskonvention „kein Recht auf Beihilfe zum Suizid“ gebe, auch nicht in Form von konkreten Informationen oder Unterstützung beim Suizid. |