Armut in der Pandemie

Die Corona-Krise trifft die Ärmsten in der Gesellschaft besonders hart – die Bundesregierung will ihnen aber nur eine kleine Einmalzahlung zugestehen. Dabei reichte die Grundsicherung schon vor der Krise kaum zum Leben. Ein breites Bündnis fordert deshalb: Vergesst bei den Corona-Nothilfen nicht die ärmsten Menschen!

Hallo John Do,

Kind sein in der Krise – das ist schwer. Einige trifft es besonders hart. „Mit den gegenwärtigen Regelsätzen kommen wir nicht über die Runden. Das ist gerade sehr belastend für die Kinder“, sagt Katharina Schmidt [1] über ihre beiden Söhne. Sie war sehr jung als sie Mutter wurde, konnte deshalb keine Berufsausbildung machen und ist auf Hartz IV angewiesen. Ihre Jungs sind musikalisch begabt, aber die Musikschule kostet monatlich 140 Euro zum reduzierten Satz. Auf Dauer zu teuer, erklärt Katharina Schmidt. Und durch Corona gibt es zusätzliche Kosten.

Alleinerziehende, Menschen mit kleiner Rente, Arbeitslose und Geringverdienende: Die Pandemie bringt die Ärmsten in besondere Not.[2] Wenn sie in den Bus steigen oder einkaufen gehen, brauchen sie FFP2-Masken. Fürs Homeschooling sind ein Computer und ausreichend schnelles Internet nötig. Das gilt auch für „Aufstocker*innen“ im Homeoffice, die trotz Vollzeitjob nicht von ihrer Arbeit leben können. Für Kinder fällt das Mittagessen in der Schule oder Kita weg.

Der Koalitionsausschuss hat beschlossen, dass diese Menschen 150 Euro erhalten – als einmalige Zahlung.[3]Umgerechnet auf die zwölf Monate seit Beginn der Pandemie sind das 14,50 Euro pro Monat. Das reicht nicht, um die Kosten zu stemmen. Voraussichtlich in wenigen Tagen berät der Bundestag über die geplanten Nothilfen, es gibt also noch eine Chance, sie deutlich zu verbessern. Dafür haben wir uns mit 40 Organisationen zu einem Bündnis zusammengetan – darunter ver.di, die Diakonie, der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Naturfreunde. Denn alle sollen die Krise gut überstehen!

Großkonzernen hilft der Staat mit Milliarden, für arme Menschen bleibt fast nichts übrig: Insbesondere die SPD kann im Wahljahr kein Interesse daran haben, dass dieser Eindruck entsteht. Schon gar nicht kann sie es sich leisten, mit Gewerkschaften und Sozialverbänden zu brechen. Doch es genügt nicht, dass Vorstände Forderungen aufstellen. Es müssen sich möglichst viele Menschen dahinter versammeln, damit die Bundesregierung handelt und bei den Nothilfen für die ärmsten Menschen des Landes gründlich nachbessert!

Hartz IV betrifft nicht nur viele Alleinerziehende, arme Rentner*innen, Geringverdienende und Arbeitslose – auch viele Solo-Selbstständige und Künstler*innen, die wegen Corona nicht mehr auftreten dürfen, sind gerade auf Grundsicherung angewiesen.[4] Der Hartz-IV-Regelsatz beträgt 446 Euro, das reichte schon vor der Pandemie kaum zum Leben.

Für die Ernährung eines zwölfjährigen Kindes sind zum Beispiel 3,93 Euro pro Tag vorgesehen. Davon muss alles bezahlt werden: Frühstück, Mittag- und Abendessen sowie der Apfel zwischendurch. Wen wundert es da, dass eine Studie der Universität Hohenheim zu dem Ergebnis kam, dass Kinder aus Hartz-IV-Haushalten oft schlecht ernährt sind?[5] Die Folgen seien fatal, so der Ernährungsmediziner Prof. Hans Konrad Biesalski. „Es drohen Entwicklungsstörungen, die nicht nur das körperliche Wachstum, sondern auch die geistige Entwicklung betreffen.“[6]

Das Geld für die Corona-Lasten müssen sich Betroffene nun buchstäblich vom Munde absparen. Um sich gemeinsam für diese Menschen stark zu machen, hat sich im Januar ein breites Bündnis von Gewerkschaften und Verbänden formiert – und bereits erste Zwischenerfolge erzielt: Bei der technischen Ausstattung für den Unterricht daheim sollen künftig die Jobcenter helfen. Reichlich spät, schließlich sind viele Kinder schon seit Monaten zu Hause. Für Hartz-IV-Bezieher*innen soll es bald zehn kostenlose FFP2-Masken geben. Das zeigt: Es tut sich etwas, wenn wir uns solidarisch zeigen.

Doch die kleinen Schritte reichen bei weitem nicht – die viel zu niedrigen Regelsätze für die Grundsicherung müssen dauerhaft angehoben werden! Und wir fordern für die Zeit der Pandemie einen monatlichen Corona-Zuschlag für die ärmsten Menschen. Darum unsere Bitte: Unterzeichnen auch Sie jetzt den Appell des Bündnisses an die Bundesregierung.

Herzliche Grüße
Yves Venedey, Campaigner
Christoph Bautz, Campact-Vorstand

PS: Mehr Geld für Menschen, die sehr wenig besitzen – das hat auch das Potenzial, die Konjunktur zu stärken: Führende Ökonom*innen gehen davon aus, dass diese Familien zusätzliches Geld direkt ausgeben und damit die Wirtschaft ankurbeln.[7] Steuerentlastungen für Gutverdienende, wie sie Union und FDP fordern, würden dagegen nur auf den Konten liegen.[8]

[1]Name von der Redaktion geändert

[2]„Studie: Corona-Krise schlägt bei Armen heftiger durch”, mdr aktuell, 20. November 2020

[3]„Kritik an geplanter Hartz-IV-Einmalzahlung”, Berliner Zeitung, 4. Februar 2021

[4]„Für Schauspieler bleibt oft nur Hartz IV”, Stuttgarter Zeitung, 30. Dezember 2020

[5]„Armut und Mangelernährung von Kindern und Jugendlichen. Ein Problem in Deutschland?”, Universität Hohenheim, 2018

[6]„Hartz IV-Kinder schlecht ernährt”, Gesundheitsstadt Berlin, 22. März 2018

[7]„Konjunkturwirkungen von Sozialausgaben”, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung online, abgerufen am 8. Februar 2021

[8]„Bringt das was?”, Zeit Online, 2. Juni 2020