ein Blick in den Kalender verrät: Heute ist Weiberfastnacht. Da wo ich herkomme, ist das traditionell der Auftakt zu den sechstägigen Faschingsfestivitäten. Die Leute stürmen mittags das örtliche Rathaus wie Trump-Anhänger das Kapitol und tragen dabei Kostüme, die in ihrem Einfallsreichtum leider nur selten an das Outfit des „Bison-Schamanen“ Jake Angeli heranreichen. Stattdessen wird bei uns dem Bürgermeister von den Eindringlingen die Krawatte abgeschnitten; meist legt sich der Amtsinhaber (sofern es sich denn um einen Mann handelt) zu diesem Zweck überhaupt erst einen Schlips um. Denn in Rathäusern wird ja heute kaum noch Krawatte getragen. Jedenfalls ist das ganze immer ein großer Spaß, und niemand muss hinterher mit einem Impeachment-Verfahren rechnen. Am Ende sind alle betrunken und torkeln halberkältet nachhause, um am nächsten Tag wieder die Sau rauszulassen. Mit Sau rauslassen ist es dieses Jahr nicht weit her; im Westen der Republik dürfte heute ungefähr so viel los sein wie in einer Fußgängerzone am ersten Weihnachtsfeiertag. Die meisten Rheinländer trifft das Ausbleiben der Fünften Jahreszeit wahrscheinlich härter, als wenn der komplette Sommer ersatzlos gestrichen worden wäre. Wegen Corona gibt es in dieser Saison natürlich auch keinen Kostümbedarf, doch wie kommt damit die Firma Deiters klar? Vor 20 Jahren hat Herbert Geiss damit begonnen, aus einem Großhandel für Kirmesbedarf ein Verkleidungsgeschäft mit 31 Standorten zu machen. Im Cicero-Interview sagt er: „Es ist wichtig, dass aus der Entwöhnung keine Gewöhnung an ein Köln ohne Karneval wird.“ Aber so schnell gehen Traditionen schon nicht verloren, und im nächsten Jahr wird hoffentlich wieder geschunkelt und gebützt und mit Kamelle geworfen, dass es nur so kracht. Es sei denn, die Ministerpräsidenten haben sich bis dahin darauf verständigt, dass man das Haus nur noch verlassen darf, wenn der Inzidenzwert im Negativ-Bereich angekommen ist. Irgendwo um die minus 20. Ich freue mich jedenfalls schon darauf, wenn 2022 bei den Faschingsumzügen Karl-Lauterbach-Figuren aus Pappmacheé durch die Straßen gezogen werden; vielleicht sitzt der heimliche Gesundheitsminister dann wie Baron von Münchhausen auf einer riesigen Kanonenkugel in Form eines Corona-Virus und grüßt von dort herab die Kölschen Jecken. Weniger lustig als in diesem Pandemie-Februar des Jahres 2021 kann es jedenfalls kaum noch werden. Lassen Sie sich die Laune trotzdem nicht verderben! Ihr Alexander Marguier, Chefredakteur |