wenn jemand herzhaft in eine Zitrone beißt, dann hat er ungefähr den Gesichtsausdruck, den viele Richterinnen und Richter, Ausbilder, Funktionäre und andere Großkopferte (oder sollte man sagen Altvordere mit Betonung auf „alt“?) haben, wenn es um die neu entfachte Diskussion geht: Kandare oder Trense in den oberen Dressurklassen.
Einige fragen sich, warum eigentlich nicht? Andere schnauben verächtlich und holen Vokabeln raus, wie „klassisch“, „Reitkunst“ und meinen eigentlich nur „das haben wir doch noch nie gemacht“ (was so auch nicht ganz richtig ist) und „ja, wo kommen wir denn dahin“.
Das Ding ist, die geneigte St.GEORG-Leserschaft wird das schon beinahe vermutet haben, nicht ganz so einfach. Die eine Seite macht die Rechnung auf: Trense gleich feines Reiten, Kandare gleich böse. Das ist Blödsinn. Ein Blick aufs Bundeschampionat, wo hochtalentierte Pferde, die später im Zweifelsfall einmal Grand Prix gehen sollen, ausschließlich auf Trense gehen, zeigt: Man kann sehr wohl richtig schlecht auf Trense reiten. Und man hat ja auch noch Nasen- und Sperrriemen (der jetzt ja Kinnriemen heißt – die Älteren erinnern sich: Aus Raider wird Twix, sonst ändert sich nix).
Ja, ich kann mir einen Grand Prix auf Trense vorstellen, aber ob der dann so fein ist, wie beispielweise die Vorstellungen von Sabine Schutt-Kerry in Tokio bei den Olympischen Spielen, darf bezweifelt werden. Das war feines Reiten, auf Kandare, bei dem das Gewicht des Zügels die Anlehnung bestimmte. Schön! Natürlich gab es noch andere Beispiele, Jessica von Bredow-Werndl stand nicht ohne Grund in allen drei Prüfungen vorne.
Aber es gab eben bei den Olympischen Spielen (genauso wie bei der Europameisterschaft, in Aachen 2022 …) auch blutige Mäuler. Von denen heißt es ja stets, „dass sich ein Pferd auf die Zunge beißt, das kann schon mal passieren.“ Naja, da darf sich jeder seinen Reim drauf machen. Mag sein, dass es Zungenbisse sind, aber Tauziehen als reiterliche Disziplin beim Abreiten mag auch nicht ganz unschuldig sein. Die durchfallenden Kandaren im Grand Prix-Sport herrschen vor (Achtung Wortwitz!). Aber in der Richtermeinung fallen diese Ritte keinesfalls durch. Finde den Fehler…
Andere Frage: Sind alle, die in den unteren Klassen L- und M-Dressuren auf Kandare reiten, wirklich „kandarenreif“? Man opfere die feine Reiterei sagen die Kandaren-Befürworter. Tja, wie soll man sagen, die liegt schon länger auf der Opferbank. Nicht erst seitdem die Diskussion neu entfacht ist.
Eines aber steht für mich fest: Eine Wahlfreiheit wäre die denkbar schlechteste Lösung. Das sind tatsächlich zwei verschiedene Ausrüstungsgegenstände, die Vergleichbarkeit damit kaum gegeben. Wobei: Die Kriterien einer leichten Anlehnung bleiben selbstverständlich dieselben. Dann müssen diese Kriterien nur konsequent im Richterurteil Niederschlag finden. Auch schon auf dem Abreiteplatz. Konsequenz, die anders aussehen muss, als die bisherige Praxis. Ein Gedanke noch: Könnte man die Aufgaben so ändern, dass die echte, reelle und damit auch feine Anlehnung noch mehr abgeprüft wird? Überstreichen fiele mir spontan ein, Zügel aus der Hand kauen lassen im Galopp ist in der schwersten Vielseitigkeits-Dressurprüfung gefordert.
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Beste Grüße aus Hamburg,