| | | | | 20. Juni 2025 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | es ist allgemein bekannt, dass Donald Trump angekündigt hat, den Krieg zwischen Russland und der Ukraine am ersten Tag seiner Präsidentschaft zu beenden. Der Krieg, den Russland immer noch gegen die Ukraine führt, muss also ein anderer Krieg sein als der, den Russland vor dem 20. Januar 2025 geführt hat, dem Datum von Trumps Amtsantritt. Oder es ist derselbe Krieg, und Trump hat Blödsinn geredet, was er gut kann, sogar sehr gut. Ende April hat er in einem Interview mit dem Time-Magazin gemeint, er habe das mit dem ersten Tag âin jestâ gesagt, also im SpaÃ. Das ist cool, weil es ungefähr so wahr ist, wie wenn ein Vierjähriger die Tischdecke mit dem Geschirr vom Tisch zieht und dann sagt: âMama, das war ich nicht, das war der Tisch.â Weil es so cool ist, hat CNN nachgezählt, dass Trump zwischen März 2023 und Oktober 2024 mindestens 53 Mal öffentlich angekündigt hat, dass er den Krieg spätestens am Tag nach seiner Amtseinführung beendet haben werde. Egal, der Tisch ist schuld. Allerdings ist das mit der Weltveränderung am ersten Tag nach der Amtsübernahme nicht ausschlieÃlich dem GroÃkotz-Zustand von Trumps Gehirn zuzuschreiben. Es gibt eine weitverbreitete Neigung irgendwie neuer Regierungen, Bundeskanzler, Geschäftsführer, Abteilungsleiterinnen et cetera, die angestrebten Veränderungen gleich, sofort, innerhalb weniger Tage durchsetzen zu wollen. Innenminister Dobrindt schickt, so scheint es, persönlich und täglich Somalier nach Polen zurück, das Merz-Kabinett beschlieÃt ein âSofortprogrammâ für Rente, für Investitionen, für Deutschland überhaupt. Sogar die Bürokratie soll sofort reduziert werden, was nicht ganz so ambitioniert wie Trumps Ein-Tages-Projekt ist, aber dennoch ziemlich unwahrscheinlich. Kaum etwas ist in den vergangenen vierzig Jahren so oft angekündigt worden wie die Entbürokratisierung. Entbürokratisierung ist in Deutschland ungefähr so wahrscheinlich wie das Entstehen neuer Bescheidenheit bei Markus Söder. Schnelle Entbürokratisierung ist so wahrscheinlich wie der Aufstieg der SPD zur 30-Prozent-plus-Partei. Aber es gibt auch beim Publikum, bei Mitarbeitern und Wählerinnen die Erwartung, dass alles, oder wenigstens vieles, anders werden muss, und zwar SOFORT. Das hängt einerseits damit zusammen, dass auf dem Smartphone alles wahnsinnig schnell geht. Nichts hat die menschliche Wahrnehmung in den vergangenen 500 Jahren so verändert wie das Smartphone, der nahezu ubiquitäre Zugang ins Netz. (Ubiquitär? Ja, ubiquitär. Solange es diese Kolumne gibt, wird sie nie in âeinfacher Spracheâ abgefasst werden. Versprochen.) Andererseits werden die Jetzt-gleich-Erwartungen auch von den unhaltbaren Sofortismus-Versprechungen der Chefinnen und Chefs, der Gewerkschaftsvorsitzenden und der sonstigen Verantwortungsträgerinnen stark gefördert. Die Eskalation des politischen Sofortismus stellt die AfD dar, die davon lebt, rasante Veränderungen zu propagieren, aber politisch sterben würde, wenn sie nachweisen müsste, was sie alles nicht kann. Nicht sofort und auch nicht später. Glücklicherweise sind sich die moderaten Sofortisten von der Linkspartei bis zur CSU darin einig, dass die AfD den Nachweis ihrer Unfähigkeit als Mitregierungspartei nicht erbringen darf. Wer jedenfalls stets behauptet, diese Veränderung oder jene Transformation könne, ja müsse schnell gehen, weil sonst die Abteilung, die Firma und/oder das Abendland in Gefahr gerieten, darf sich nicht wundern, wenn diese Art von Kommunikation kontraproduktiv ist. Die Leute geraten angesichts der Geschwindigkeits-Alltags-Apokalyptik in Sorge, stellen dann aber in aller Regel fest, dass der Sofortismus entweder nicht funktioniert oder dazu führen kann, dass der Chef, frustriert über die Welt, aber natürlich nicht über sich, die Marineinfanterie schickt. Mit der Marineinfanterie will er die Welt doch noch schnell verändern. In einer normalen Firma kann die Marineinfanterie zum Beispiel ein axtschwingender CEO oder Aufsichtsrat sein, der das, was er gerade abgeschlagen hat, für totes Holz hält, obwohl es Teil des Baumstamms war, der alles trägt. Egal, Hauptsache, es passiert was. Und zwar schnell. Zwischen Reformern und Sofortisten gibt es groÃe Unterschiede. Reformer wissen um die Trägheit der Materie. Reformer zitieren gerne die dicken Bretter von Max Weber, die sich nicht schnell bohren lassen. Sofortisten dagegen wollen Bretter und Bohrer in die Ecke werfen, um auf dem wackligen Fundament ihrer Wörter und Ãberzeugungen das Neue aufzubauen. Leider merkt man meistens relativ schnell, wenn einer Regierung die Bretter fehlen, die man auch für Sofortprogramme braucht. Sofortisten belegen ihre Wünsche gerne mit sonderbaren Namen (Trumps big beautiful bill, das groÃe schöne Gesetz), weil ihnen nichts anderes übrig bleibt, als daran zu glauben, dass ihre Wortgespinste Realität werden müssen. Die Welt als Wille und Vorstellung, wie das Arthur Schopenhauer mal genannt hat. Veränderungsbeschwörungen durch Gesetzesnamen gibt es auch bei nichtsofortistischen Machtapparaten. Man erinnere sich nur an das âGute-Kita-Gesetzâ oder das âStarke-Familien-Gesetzâ der kaum sofortistischen Ampel. Der berühmteste Sofortist war, wenn auch aus Versehen, der ehemalige SED-Bezirkschef von Berlin, Günter Schabowski. Auf die Frage, wann denn nun die Mauer offen sei, sagte Schabowski am Abend des 9. November 1989: âNach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich.â Da hat es mal geklappt, dass ein âsofortâ die Welt veränderte. | |
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