Heute wichtig

●  Migration: Debatte um Merz-Plan

●  Grüne: Parteitag überschattet

●  Stahlbranche: Existentiell bedroht

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Die Nummer an Deinem Unterarm ist blau
wie Deine Augen,
wie der stumme Himmel über Nováky.
Dein Bauch war geschwollen wie ein Ballon,
als sie Dich fanden im fernen Auschwitz.
Niemand konnte glauben, dass Du leben würdest,
dass Du zurückkehren würdest,
um Zeugnis abzulegen für Dein zerbrochenes Heim.“

Dr. Eva Umlauf, über die der Dichter Ján Karsai diese Zeilen einst schrieb, ist eine der jüngsten Überlebenden, die heute am Gedenken zum 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz teilnehmen.

„Wir wollen demonstrieren, wie stark wir sind", sagte mir die 82-Jährige vor ihrer Abreise aus München. „Doch wir sind nicht stark, wir sind alte Leute. Die Kinder von damals. Aber ich sehe es als Pflicht, solange ich kann, dorthin zu gehen. An den Ort, wo so viele Tote liegen.”

Vor zwei Jahren besuchten wir die Gedenkstätte gemeinsam. „Auschwitz ist ein kalter Ort“, sagte die frühere Kinderärztin damals. „Kalt – von außen und innerlich. Ziehen Sie sich was Warmes an.”

Zwischen 1940 und 1945 wurden allein dort 1,1 Millionen Menschen ermordet.

Und heute? „80 Jahre danach haben wir wieder Judenhass in Deutschland”, sagt Umlauf. Es sei schlimmer geworden, erst recht seit dem 7. Oktober. „Offener. Sichtbarer. Die Judenhasser haben keine Angst.”

Angst hat sie. Ihren Davidstern offen zu tragen. Oder in der U-Bahn die „Jüdische Allgemeine” zu lesen. Die Zeitung wird mittlerweile in neutralen Kuverts ohne Absender an Abonnenten verschickt, „damit niemand weiß, dass wir Juden sind. Soweit ist es schon wieder gekommen.”

Als der 12-jährige Sohn von Bekannten ganz offen mit seiner Kippa rumlief, habe sie ihn gefragt, ob er das nicht gefährlich finde. Der Junge antwortete, dass der liebe Gott ihn schon schützen werde. „So ein kleiner Knopf, was sollte ich da sagen…? Wo denn der liebe Gott in Auschwitz war?”

Ihre 2021 erschienenen Erinnerungen schildern das Grauen, das der Nationalsozialismus über ihre Familie brachte. Das Buch gibt es seit kurzem auch in englischer Fassung. Elon Musk sollte es mal lesen. In der Videoschalte beim AfD-Parteitag am Samstag sagte der Tech-Unternehmer unwidersprochen über Deutschland: „Der Fokus ist zu sehr auf die Schuld der Vergangenheit gerichtet, und das müssen wir hinter uns lassen." Bei der „Vogelschiss“-Fraktion kam das gewiss gut an.

Doch wer Verantwortung für Deutschlands Zukunft übernehmen will, muss sich unserer Vergangenheit bewusst sein. 

Was sind Ihre Gedanken zum 80. Holocaust-Gedenktag? Schreiben Sie an feedback@focus-magazin.de

Politik

Merz-Plan: Das sagt die Bundespolizei-Gewerkschaft

Merz’ Plan umfasst unter anderem dauerhafte Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Asylsuchenden. Ostermann, selbst CDU-Mitglied, nennt drei Forderungen, damit die Bundespolizei dies bewältigen kann:

• Mehr Personal: „Mittelfristig müssen mindestens 8000 neue Planstellen bei der Bundespolizei geschaffen werden.“

• Digitalisierung: Die Behörde benötige dringend Grenzkontrolltechnik und KI-Unterstützung, etwa um Grenzabschnitte mit Drohnen zu überfliegen und Videomaterial automatisch auszuwerten. Ohne diese Technologien müssten Beamte jeden Grenzübergang kontrollieren, was personell nicht zu stemmen sei.

• Gesetzesreform: Das Bundespolizei- und das Aufenthaltsgesetz müssten geändert werden, so Ostermann, damit „die volle Zuständigkeit in Migrationsfragen beim Bund“ liege. Aktuell ist sie zwischen Bund und Ländern aufgeteilt.

Während AfD, BSW und FDP Zustimmung zu Merz’ Entschließungsantrag signalisieren (und ihm gemeinsam zur Mehrheit verhelfen könnten), zweifeln SPD und Grüne an dessen Rechtmäßigkeit und Umsetzbarkeit. Sie werfen der Union zudem vor, die „Brandmauer“ zur AfD aufs Spiel zu setzen. 

In ihrem Antragsentwurf greifen CDU/CSU die AfD allerdings an: Die Partei schüre Fremdenfeindlichkeit und verbreite Verschwörungstheorien.

Grünen Parteitag: Appell an „demokratische Mitte“

Über dem Parteitag waberte allerdings der Intrigenskandal gegen den Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar durch ein erfundenes Belästigungsopfer – also das Gegenteil des Parteitags-Mottos „Zusammen wachsen“.

Die Ankündigung von Friedrich Merz, seinen Unions-Antrag gegen illegale Migration notfalls auch mit AfD-Stimmen durchzubringen, einte die grünen Wahlkämpfer jedoch: „Nichts davon ist harmlos“, rief Kanzlerkandidat Robert Habeck unter großem Applaus und warnte vor einer Situation wie in Österreich, wo bald „eine rechtsradikale Partei“ und Konservative zusammenregierten.

Habeck warf Merz politische Erpressung vor, indem er fordere: „Entweder stimmt Ihr zu oder ich stimme mit Rechtsradikalen. Das ist nicht Mitte, das ist Ideologie.“ Er betonte: In einer Demokratie müsse die Gemeinsamkeit der politischen Mitte „immer größer sein als die Nähe zu den rechtsradikalen Populisten“. Eine Total-Absage an die Union klingt anders, doch Schwarz-Grün ist seit gestern nicht wahrscheinlicher geworden.

Aus der Nacht

Wirtschaft

Strompreise: Stahlbranche sieht „existentielles” Risiko

Auch das Elektrostahlwerk im Brandenburger Hennigsdorf steht seit Jahresbeginn still. Im Dezember stoppte das Stahlwerk der italienischen Feralpi-Gruppe im sächsischen Riesa kurzzeitig die Produktion: die Konsequenz aus dem starken Preisanstieg an der Strombörse. Die Megawattstunde lag zwischenzeitlich bei 936 Euro, gut zehn Mal so viel wie zuletzt üblich.

„Der ungebremste Zuwachs an Billigimporten und die nicht wettbewerbsfähigen Kosten für Strom machen den Stahlunternehmen hierzulande schwer zu schaffen und bedrohen sie teils existentiell“, so Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl zu FOCUS. „Die neue Bundesregierung muss nun rasch die Wiedereinführung der Netzentgelt-Zuschüsse in Höhe von 5,5 Milliarden Euro und rückwirkend zum 1. Januar 2025 angehen. Und sie muss sich ein Konzept überlegen, wie der Standortnachteil Strompreise generell gelöst wird.“

Zahl des Tages

40

Wissen

Entdeckung: Das Rückenmark denkt mit

Diese Entdeckung machten Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Neurobiologie und der Universitätsmedizin Magdeburg. Mit Hilfe von implantierten Elektroden zeichneten sie elektrische Signale auf, die das Rückenmark produziert. Sie hörten ihm quasi bei seiner Arbeit zu, so Studienleiter Max-Philipp Stenner. Dabei achteten die Forscher auf sogenannte hochfrequente Oszillationen. „Diese Nervensignale sind eine Art Sprache des Rückenmarks, die bisher kaum erforscht war“, sagt der Neurologe.

Offenbar vermag das Rückenmark zu unterscheiden: Auf erwartete Schmerzreize reagierte es schwächer als auf überraschende. Die Effekte traten bereits etwa 13 Millisekunden nach dem Reiz auf – noch vor der ersten Reizverarbeitung im Gehirn. Das Rückenmark übernimmt im Nervensystem also die Aufgabe einer ersten Verarbeitungsstation.

Die Erkenntnisse könnten helfen, etwa die Bewegungsstörungen bei der Parkinson-Krankheit besser zu verstehen, und dazu beitragen, neue Therapien zu entwickeln.

Menschen des Tages

Termine der Woche

Und zum Schluss...

… gibt es erstaunliche Nachrichten: Wir sind offenbar keine (solchen) Prozesshansel mehr. Von 2007 bis 2023 ist die Zahl der neu eingegangenen Zivilverfahren an Amtsgerichten bundesweit um fast 39 Prozent auf knapp 773.400 gesunken. Das belegen Daten des Statistischen Bundesamts.

An den Landgerichten (zuständig ab einem Streitwert von 5.000 Euro) liegt der Rückgang bei 19 Prozent (301.000 neue Verfahren 2023).

Hat die Streitlust also abgenommen? Das ist unklar. Wahrscheinlich, so ein Forschungsprojekt des Bundesjustizministeriums, schrecken eher die hohen Kosten, die seelische Belastung und die mangelnde Zahlungsbereitschaft von Rechtsschutzversicherungen ab.

Eine friedliche Woche wünsche Ihnen

Tanit Koch