Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
 ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ 
szmtagiomb_np
Zur optimalen Darstellung empfehlen wir Ihnen die Browserversion
21. April 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
der Kanzler will eine große Rede halten, eine Festrede; er will am Montag in Berlin den dreihundertsten Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant feiern. Das überwältigende Interesse an dessen Philosophie lässt sich „mit der Sorge um den Zustand unserer Welt erklären“. So hat das der Bundespräsident vermutet, als er vor zwei Tagen im Schloss Bellevue die Ausstellung eines handschriftlichen Auszugs aus Kants Werk „Zum Ewigen Frieden“ eröffnet hat.

Zum ewigen Frieden!  Ist das ein bitterer Scherz? Eine wohlmeinende Phantasie? Eine Utopie? Eine verzweifelte Mahnung?  Man denkt an den Nahen Osten, man denkt an Putin und die Ukraine … und stöhnt. Vielleicht schmunzelt man auch verlegen, vielleicht ist man melancholisch oder, trotz alledem, hoffnungsvoll. Schon zu Kants Zeiten war es so, dass man den Titel „Zum ewigen Frieden“ mit Blick auf die Weltlage eigentlich nur ironisch oder satirisch verstehen konnte:  Den Schriftzug „Zum ewigen Frieden“ hatte damals ein holländischer Gastwirt aufs Schild an seiner Wirtshaustür geschrieben und wollte damit auf den nahegelegenen Friedhof verweisen. Gleich am Anfang seines Buchs nimmt Kant mit mutiger Ironie auf das Wirtshausschild Bezug. Aber für ihn ist die Idee vom ewigen Frieden weder eine Schnapsidee noch eine, die erst im Tod eine Chance hat. Frieden, so Kant, fällt nicht vom Himmel, er liegt nicht in der Natur des Menschen, sondern muss mit dem festen Willen, unbeirrbarer Vernunft und politischer Kraft gestiftet und bewahrt werden.

Frieden stiften – genau das ist, genau das wäre die Aufgabe heute. Wer stiftet? Wo sind die Mutigen? Es wäre eine Sensation, wenn Kanzler Olaf Scholz in seiner Festrede auf Immanuel Kant Vorschläge dafür hätte. Und ein angemessenes Geburtstagsgeschenk für den Philosophen wäre das auch.

Oma kannte Kant nicht, aber …

Meine Großmutter (ich habe in meinem Letter schon einige Male dankbar von ihr erzählt) kannte Kant nicht; sie war nicht studiert, sie war aber eine Friedensphilosophin des Alltags. Das Buch, das sie immer wieder studierte, war nicht das vom ewigen Frieden, sondern die Bibel. Sie hatte vierzehn Kinder geboren. In ihrem Zimmer stand eine große Holzkiste, darauf in Sütterlin-Schrift die Aufschrift „Der Krieg“. Darin befanden sich Briefe, die ihre Söhne und Schwiegersöhne von allen Fronten des Zweiten Weltkriegs nach Hause geschrieben hatten. Bisweilen saß sie auf dieser Kiste und erzählte vom Krieg. Was würde Großmutter heute sagen, wenn sie noch lebte? „Schreib was Bub“, würde sie sagen, „schreib was gegen den Krieg.“ Und sie würde mir dann vom Ersten Weltkrieg erzählen, davon, wie der Krieg auf einmal da war, mitten im schönsten August und wie die Menschen damals erst jubelten und dann verzweifelten.

 â€žSchreib was, Bub. Schreib was gegen den Krieg“. Das habe ich nun, gut zwei Jahre nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs, auf 240 Seiten in einem soeben erschienen Buch getan. Ich habe über Kant geschrieben und über Martin Luther King, über Gewalt und Pazifismus, über die Kraft und die Ohnmacht der Gewaltlosigkeit. „Den Frieden gewinnen“ heißt das Buch. Von all den Büchern, die ich geschrieben habe, ist es vielleicht das Wichtigste.
SZPlus Prantls Blick
Sternstunden des Pazifismus
Zum Artikel Pfeil
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche. Es ist die Kant-Woche.
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
Folgen Sie mir.
ANZEIGE
desktop timertrk_px
Prantls Leseempfehlungen
Opa, ich bin Dein Gedächtnis
Es ist dies ein Roman über die zwei schwierigsten Themen, die es gibt; es ist dies nämlich ein Jugendbuch über den Krieg und über die Demenz. Es ist ein trauriges und ein lustiges, ein bewegendes und berührendes Buch. Es ist ein im Wortsinn ver-rücktes Buch, es ist nämlich eines, das seinen Frieden macht mit dem Krieg und seinen Frieden mit der Demenz. Kai ist ein elfjähriger Junge, sein Großvater ist hundert; Opa war im Krieg, er hat nur noch ein Auge, aber dafür seine heldenhaften Kriegserlebnisse, die er seinem Enkel immer wieder erzählt hat, die er jetzt aber vergisst. Er vergisst alles, er vergisst, dass ihm, angeblich, an einem einzigen Tag sieben Orden verliehen worden sind und dass, angeblich, er es war, der den Krieg beendet hat. Manchmal vergisst der Opa sogar, dass er einen Enkel hat, der Kai heißt.

Der Schriftsteller Zoran Drvenkar (der in Kroatien geboren wurde und als Dreijähriger mit seinen Eltern nach Berlin zog) beschreibt wunderbar einfühlsam, wie der Elfjährige dieses große Vergessen erlebt: „Jedes Mal, wenn Kai seinen Großvater besucht, ist es, als würden sie zusammen einen Berg besteigen und dabei einen Stein vor sich herrollen. Und immer, kurz bevor sie den Gipfel erreichen, macht  Opa eine Verschnaufpause und Kai kann den Stein nicht mehr allein halten, und so rollt dieses blöde Ding wieder runter und alles beginnt von vorne. Der Stein ist Opas Gedächtnis und Kai fürchtet sich davor, dass der Stein irgendwann zu schwer wird und sie es nicht mehr bis zum Berggipfel schaffen. Zwischendurch gibt es auch Tage, an denen sein Großvater alles weiß und nichts vergisst. Aber diese Tage werden immer weniger. Und weil das so ist, ändert Kai seine Taktik. Er will Opa retten und wenn man jemanden retten will, muss man manchmal besonders erfindungsreich sein. Und so sagt er: ‚Ich bin Kai, Opa, ich bin dein Gedächtnis.‘“

Kai entführt seinen Opa in dessen Vergangenheit und erlebt verstört, dass dessen Heldenerzählungen der Wirklichkeit nicht standhalten. Das alles hat aber nichts Abrechnendes, nichts Entlarvendes. Kai liebt seinen Opa, auch wenn der kein Held war. Er kann in Frieden leben mit seinem Großvater.

Zoran Drvenkar: Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück. Das Jugendbuch ist 2023 im Hanser-Verlag erschienen, es hat 160 Seiten und kostet 17 Euro.
Zum Buch Pfeil
SZPlus
Dass ein gutes Deutschland blühe
Die „Kinderhymne“ von Bert Brecht ist eigentlich keine Hymne; sie ist ein versöhnliches, ein kraftvoll-zartes Liebeslied an ein Land. Vielleicht ist Deutschland nie so schön besungen worden wie in diesem Lied. Brecht hat den Text nach dem Zweiten Weltkrieg auf die bekannte Haydn-Melodie geschrieben. Er war das Gegenstück zu „Deutschland, Deutschland über alles“, er war auch das Gegenstück zu Johannes R. Bechers „Auferstanden aus Ruinen“, der Nationalhymne der DDR. In der Zeit der Wiedervereinigung setzten sich Bürgerinitiativen für die Kinderhymne als neue deutsche Nationalhymne ein. Die Schauspielerin Katharina Thalbach tat das damals auch, sie warb vergeblich dafür in einem Brief an die Bundesregierung. Daran erinnert sie in einem hinreißenden Interview in der SZ-Wochenendausgabe, das Mareen Linnartz mit ihr geführt hat. Die großartige Schauspielerin und Regisseurin, alle Theaterleute nennen sie „Kathi“, die kürzlich ihren siebzigsten Geburtstag im Berliner Ensemble begangen hat, erzählt aus ihrem Leben – intelligent und humorvoll.
Zum Interview Pfeil
ANZEIGE
desktop timertrk_px
Meinung
Kommentare, Kolumnen, Gastbeiträge und Leserdiskussionen im Überblick
Zu den Meinungs-Artikeln
Empfehlung Empfehlen Sie diesen Newsletter weiter
Kontakt Schreiben Sie uns, falls Sie Anregungen haben
Zur Startseite von SZ.de

Zur Übersichtsseite der SZ-Newsletter
Ihre Newsletter verwalten

Entdecken Sie unsere Apps:
as
gp
Folgen Sie uns hier:
tw
ig
fb
in
Impressum: Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München
Tel.: +49 89 2183-0, Fax: +49 89 2183 9777
Registergericht: AG München HRB 73315
Ust-Ident-Nr.: DE 811158310
Geschäftsführer: Dr. Karl Ulrich, Dr. Christian Wegner
Copyright © Süddeutsche Zeitung GmbH / Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH.
Hinweise zum Copyright
Sie erhalten den Newsletter an die E-Mail-Adresse newsletter@newslettercollector.com.
Wenn Sie den „Prantls Blick“-Newsletter nicht mehr erhalten möchten, können Sie sich hier abmelden.
Datenschutz | Kontakt