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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 18.06.2024 | bewölkt bei 15 bis 25°C. | ||
+ Fußball-EM begeistert die Fans + Rassismus gegen Kinder auch in Berlin + Soziologe Steffen Mau im Interview + |
von Robert Ide und Lotte Buschenhagen |
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Guten Morgen, haben Sie das gesehen? Dieses temporeiche Offensivspektakel am Abend, das erstaunlicherweise durch ein Eigentor entscheiden wurde? Und vorher die unerwarteten Niederlagen zweier Geheimfavoriten, die wohl doch weiterhin geheim bleiben? Oder den englischen Fan, der nach seinem Ausnüchterungsschlaf nachts allein in der Arena auf Schalke aufgewacht ist (hier)? So überraschend unvorhergesehen kann der Fußball sein, so begeisternd entwickelt sich die Europameisterschaft, bei der Fans aus ganz Europa ihren Enthusiasmus nach Deutschland tragen. Das bisher ordentlich organisierte Spektakel bietet auch Berlin ein Rollrasen-Spielfeld für einen zumindest etwas gelösteren Sommer – am Freitag noch zusätzlich ergänzt mit der Fête de la Musique und ihren fast 1000 musikalischen Veranstaltungen in der ganzen Stadt bei freiem Eintritt unter freiem Himmel. Gut, dass sich mal was dreht. | |||
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Das Erschütternde dieser Welt und unserer Zeit nicht zu verdrängen, muss trotzdem jeden Tag aufs Neue gelingen. Nach rassistischen Ausfällen einer Jugendgruppe gegen ein achtjähriges Mädchen, ihre zehnjährige Schwester und ihren ghanaischen Vater im mecklenburgischen Grevesmühlen fordert Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) einen neuen „Aufstand der Anständigen“ und weist darauf hin: „Jeder Zeuge einer rassistischen Tat, der schweigt; jeder, der weghört, wenn Hetzparolen gebrüllt werden, macht sich mitschuldig.“ Die beiden in Deutschland geborenen Geschwister sollen von einer 20-köpfigen Gruppe bedrängt worden sein, ihr Vater wurde nach Angaben der Polizei rassistisch beleidigt und verletzt. Auch in Berlin häufen sich rassistische Angriffe und Beleidigungen gegen Minderjährige. Laut der Opfer-Beratungsstelle „Reach Out“ war im vergangenen Jahr jedes achte Opfer rassistisch motivierter Gewalt noch nicht erwachsen. Im Jahresbericht der Organisation heißt es dazu: „Mindestens 450 Menschen wurden verletzt, massiv bedroht, gejagt und bespuckt. Unter den Opfern sind 34 Kinder und 25 Jugendliche.“ Die Meldestelle „Berliner Register“ listet Vorfälle eindrücklich auf – eine Auswahl: „In der Ansbacher Straße wurde eine Frau mit ihrem Baby angegriffen. Als die Mutter mit dem Kinderwagen auf dem Weg zu einem Arzttermin war, wurde das Baby von einer Seniorin bespuckt und an der Schulter getroffen. Auch die Mutter des Kindes wurde von der Seniorin beleidigt.“ (4.6., Schöneberg-Nord) „Auf einem Supermarktparkplatz in der Lipschitzallee in Neukölln-Gropiusstadt wurde eine Frau und ihr Kind von einem Mann aus rassistischer Motivation angegriffen. Als die beiden Betroffenen zu ihrem geparkten Auto gingen, erschien dort ein Mann und beleidigte sie rassistisch. Anschließend begab sich der Mann in einen nahegelegenen Hauseingang und kehrte mit einem Messer in der Hand zurück. Damit stach er durch die Maschen des Zaunes in Richtung des Kindes. Das Kind blieb dabei unverletzt.“ (26.4., Gropiusstadt) „Ein Paar, das mit zwei zweijährigen Kindern in einem Kinderwagen unterwegs war, wurde in der Crellestraße von einem Paar angegriffen. Die Frau spuckte die beiden Babys an, während der Mann, der sie begleitete, rassistische Bemerkungen über die Hautfarbe des Paares und der Babys machte und die vier verbal beleidigte.“ (22.2., Schöneberg-Süd) „Ein Mann warf plötzlich eine leere Bierflasche über die Straße in Richtung einer muslimischen Frau, die mit ihren beiden Kindern auf dem Weg zur Schule war. Das eine Kind wurde am Bein getroffen und weinte. Der Mann beschimpfte die Familie außerdem rassistisch. Die Familie wollte keine Anzeige erstatten.“ (14.2., Wilhelmstadt) | |||
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Die teilweise schwierige soziale und emotionale Lage in Ostdeutschland kann bei allem Verständnis keine Entschuldigung sein für neu geschürten Hass. Politisch bleibt die Lage zwischen Ostsee und Erzgebirge und damit rund um Berlin weiterhin labil und volatil, wie gerade die Europa- und Kommunalwahlen gezeigt haben, bei der die in Teilen rechtsextreme AfD und die populistische Bündnis Sahra Wagenknecht in nicht wenigen Regionen zusammen fast auf die Hälfte der Stimmen gekommen sind. Wie ist der Osten besser zu verstehen? Damit beschäftigt sich unser neuer Tagesspiegel-Newsletter „Im Osten“ mit wöchentlich neuen Hintergrundinformationen, den Sie hier kostenlos abonnieren können. Ist die innere deutsche Einheit überhaupt noch zu erreichen? Darüber habe ich mit dem Soziologen Steffen Mau von der Berliner Humboldt-Universität ausführlich gesprochen. Das Interview über die Identität der Ostdeutschen, geführt mit meinem Kollegen Hans Monath und hier nachzulesen bei Tagesspiegel plus, hat durchaus harte Wahrheiten zutage gefördert. Lesen wir kurz rein: Herr Mau, wenn wir im Jahr 2089 das 100. Jubiläum der friedlichen Revolution feiern: Wird Deutschland dann immer noch gefühlt geteilt sein? Ich glaube nicht, dass es in 100 Jahren eine Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse geben wird und alle Ungleichheit getilgt ist. Solche Strukturen sind unglaublich träge und hartnäckig. Schauen Sie, wie solche Unterschiede in anderen Ländern fortleben, etwa zwischen Norditalien und dem Mezzogiorno, zwischen dem Süden und dem Norden der USA. Selbst der bleibende Einfluss der Römer ist in den Regionen, in denen sie lebten oder die sie besetzt hatten, heute noch größer als in anderen Territorien. Nehmen Sie den Menschen in Ostdeutschland damit nicht auch ein Stück Hoffnung? Ich möchte nur einen bestimmten Realismus in die Debatte bringen. Also natürlich kann man der Schimäre von der inneren Einheit immer noch hinterherlaufen und allen Leuten in Ost und West versprechen, dass alle Ungleichheiten mittelfristig beseitigt werden. Das ist aber illusionär. Es hat sich in 34 Jahren kein einziges Dax-Unternehmen in Ostdeutschland angesiedelt. Wir haben eine starke Repräsentanz von Menschen aus dem Westen in den ostdeutschen Eliten. Und weiterhin extreme Unterschiede zwischen Ost und West im Hinblick auf Vermögen. Erbschaften werden in Deutschland viel zu schwach besteuert. Wie soll es denn da zum Abbau dieser innerdeutschen Vermögensmauer kommen? Es gäbe natürlich politische Instrumente, die dem entgegenwirken würden, aber die sind im Westen und damit im ganzen Land politisch nicht mehrheitsfähig. Deshalb muss man sich zu der Erkenntnis durchringen, dass viele Unterschiede bleiben werden. Aber es gibt ja auch Unterschiede zum Westen, auf die der Osten gar nicht verzichten will. Welche denn? Ein „Gender Pay Gap“, also die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, ist im Osten nicht vorhanden, da sollte sich mal eher der Westen anpassen. Es gibt mehr Ganztagsbetreuung für Kinder. Die Theaterdichte ist höher, die Mieten sind niedriger als im Westen. Eine pauschale Angleichung wäre auch für den Osten nicht gut. Niemand in Rostock oder Schwerin wünscht sich Münchner Mieten. Darin immerhin dürften sich Ost und West und sogar Nord und Süd einig sein: Münchner Mieten will in Deutschland niemand. Berliner Mieten auch nicht. | |||
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Bleib sauber! Berlinerinnen und Berliner werfen sich nicht nur Sachen an den Kopf, sondern viele Dinge auch einfach in die Gegend. Am Montag hat sich deshalb das „Lenkungsgremium für mehr Sicherheit und Sauberkeit im öffentlichen Raum und zur Vermeidung von Sucht und Obdachlosigkeit“ zu einer weiteren Sitzung getroffen. Das mit Spitzen aus der Berliner Verwaltung und den Bezirken besetzte Gremium konnte allerdings keine konkreten Regelungen für ein saubereres Stadtbild festlegen. Eher ratlos ist man etwa über die permanente Verwüstung öffentlicher Toilettenanlagen, die von Drogenabhängigen oft als Fixerstube und Schlafplatz missbraucht werden. Dem Plädoyer von Friedrichshain-Kreuzbergs Bürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) für eine insgesamt akzeptierende Drogenpolitik („Es gibt Menschen mit Suchterkrankungen. Damit müssen wir umgehen.“) widerspricht ihr Amtskollege aus Treptow-Köpenick Oliver Igel (SPD). „Eine akzeptierende Drogenpolitik akzeptiere ich nicht“, sagte Igel dem Checkpoint. „Die Menschen konsumieren sich in Krankheit und Tod, machen sich strafbar und sind alles andere als Vorbilder.“ Zwar gebe es auch schlimme Schicksale, aber die Politik müsse alles dafür tun, dass Menschen von Drogen wegkämen. Auch Marzahn-Hellersdorfs Bürgermeisterin Nadja Zivkovic (CDU) vertritt trotz der nötigen Unterstützung für Suchtkranke eine strengere Linie im öffentlichen Raum. „Drogenkonsum in der Öffentlichkeit, in Parkanlagen oder in Spielplatznähe ist ein Umstand, mit dem aus meiner Sicht nur auf einem Wege umgegangen werden kann: Er ist zu unterbinden.“ Auch deshalb gebe es tägliche Streifen des Ordnungsamtes durch die Grünanlagen. Für Clara Herrmann stellt Verdrängung keine Lösung des Problems dar. Oliver Igel dagegen sagt: „Drogenkonsum darf nicht zur Normalität in Berlin werden.“ Was denken Sie zu der Debatte? Schreiben Sie uns Ihre Meinungen und Beobachtungen gerne an checkpoint@tagesspiegel.de. Danke! | |||
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Berlin ist zum Glück nicht nur dreckig, sondern auch laut. Damit die Ohren wenigstens ab und zu mal einen Gang runterschalten können, hat die Koalition gerade erst „Maßnahmen zur Lärmminderung im Straßenland“ bewilligt. Dabei sollten für acht Millionen Euro Schallschutzwände an der Autobahn 114 in Pankow, an der Avus in Charlottenburg sowie an der Märkischen Allee in Biesdorf und Marzahn hochgezogen werden. Das Abgeordnetenhaus stockte die Mittel dafür sogar auf fast zehn Millionen Euro auf. Im Zuge des Sparhaushaltes werden nun die Pläne komplett gestrichen, wie Verkehrs-Staatsekretär Johannes Wieczorek (CDU) dem Parlament mitteilt. Die Begründung liest sich wie Schall und Rauch. Warum sich Berlin hier komplett verplant hat, lesen Sie in der Checkpoint-Vollversion – und zwar hier. | |||
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Schätzen Sie unsere Arbeit wert und wollen uns mit einem Abo unterstützen? Dann holen Sie sich gerne die Checkpoint-Vollversion sowie alle Bezirks-Newsletter und Tagesspiegel-plus-Artikel, und zwar hier. Dankeschön! Im heutigen Newsletter würden Sie dann noch dazubekommen: - Rad ab: In Berlin werden mit steigenden Temperaturen immer mehr Fahrräder geklaut. Wo die meisten Diebstähle geschehen und wie hoch der Schadenswert ist, haben wir ausgewertet. - Räder still: Unsere famose Comiczeichnerin Naomi Fearn zeigt die feinen Unterschiede zwischen Friedrichstraße und Fanmeile. - Musik laut: Die ohnehin kraftvolle „Carmina Burana“ von Carl Orff wird am Sonnabend zum eindrucksvollen Erlebnis – mit 40 Akkordeons, großem Chor und Schlagwerk. Wir verlosen Karten. - Mein Checkpoint-Lesetipp für Sie ist der Sexreport zur Fußball-EM. Prostitution ist in Deutschland, anders als in vielen anderen Ländern, legal. Nutzen Fußball-Touristen nun die Gelegenheit zum käuflichen Sex? Was Berlins Sexarbeitende, Luden, Beratungsstellen und die Polizei sagen, berichten Simon Schwarz und Alix Faßmann, nachzulesen hier und zu sehen im Video hier. | |||
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