|
Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 13.03.2020 | Mal sonnig, mal bewölkt bei bis zu 9°C. | ||
+ Die Berliner sollen alle Sozialkontakte einschränken + Berlins Schulen schließen vorerst nicht + Das Berliner Landgericht hält den Mietendeckel für verfassungswidrig + |
von Robert Ide |
|
Guten Morgen, geht es Ihnen gut? Das ist das Wichtigste. Dafür dürfen wir dankbar sein. Und wenn es nicht so ist, dann dafür, dass es Menschen gibt, die uns helfen, die uns betreuen, die an uns denken. Oder wenigstens für uns alle mitdenken. Gerade heute, an einem neuen Tag einer dramatischen Woche, in der sich die Nachrichten stündlich überholen – und uns mit jeder Sekunde bewusster wird, wie wichtig Verantwortung ist, die über uns selbst hinausgeht: für unsere Mitmenschen, für unsere Älteren, für unsere Kranken. Sie brauchen unsere Hilfe in einer Gesellschaft, die global und lokal vernetzt und gerade deshalb anfällig ist für schnell übertragbare Viren wie das neuartige SARS-CoV-2. Unser (zu lange auf Gewinn getrimmtes) Gesundheitssystem kann nicht all unsere Älteren und Kranken gleichzeitig betreuen, schon bald könnte es um Leben oder Tod gehen bei ärztlichen Auswahlentscheidungen. Deshalb muss Berlin jetzt seine viele Vernetzungen lösen, um sich nicht selbst dauerhaft zu verletzen. Die Stadt muss – so seltsam das für eine lebendige Stadt ist - solidarisch vereinsamen, um das Virus wenigstens ein wenig aufzuhalten. Das ist nicht nur eine Entscheidung von Politik, die sich nur langsam zur Entschlossenheit entschließen kann. Jede und jeder Einzelne sollte jetzt für andere Menschen mitdenken und mithandeln. Im eigenen Verzicht auf private Partys und öffentliche Treffs, auf unnötige Meetings und Fahrten durch die Stadt, ja selbst auf den Familienbesuch liegt ein Geschenk für alle. Unsere Gesundheit sollte es uns wert sein. | |||
|
Die Krankheit breitet sich, ohne Rücksicht auf allzu menschliches Zögern, aus. Mittlerweile sind wegen Verdachtsfällen sieben Schulen und zwei Kitas in Berlin komplett geschlossen. Die anderen öffnen heute wieder, auch wenn es auf vielen ihrer Toiletten immer noch keine Seifenspender und Handtücher gibt. Wie viele Viren-Krisen wird es brauchen, um die unhaltbaren Dauerzustände auf Berlins stinkenden Schulklos abzustellen? Die Kinder und Jugendlichen, von denen 61 Prozent bei einer Schulumfrage unhygienische Toiletten beklagen, bekommen im Unterricht gesagt, sie sollen sich bitte besonders hygienisch verhalten. Aber wie soll man Vorsorge spielen, wenn man nicht mal spülen kann? Der Entschluss zu einem Beschluss, alle Schulen und Kitas vorsorglich zu schließen, scheint höchstens noch Tage entfernt zu sein. Die Ministerpräsidenten der Länder konnten sich am Donnerstagabend im Kanzleramt noch nicht auf eine gemeinsame Lösung einigen. Bayern, Baden-Württemberg, das Saarland und Niedersachsen dürften heute vorpreschen. Berlin ist noch zögerlich, auch wegen der anstehenden Abiturprüfungen, könnte aber schon bald nachziehen, wie der Checkpoint in der Nacht aus Senatskreisen erfuhr. Berlins um Handlungsmacht ringende Regierung trifft sich heute zu einer außerordentlichen Sitzung; bislang soll dabei aber nur über die Schließung aller Berliner Clubs und Bars beraten werden. Aber sollten nicht auch Schulen und Kitas lieber Sperrstunden einführen? Was denken Sie? Machen Sie mit bei unserer Checkpoint-Umfrage – diese bleibt interaktiv für alle geöffnet. | |||
|
|
Nun die Ergebnisse des Krisengipfels im Kanzleramt in Kurzform: Krankenhäuser sollen auf den Krisenmodus umgestellt, Intensivbetten freigemacht, nicht dringende Operationen verschoben, mehr Beatmungsgeräte und Atemmasken beschafft werden. Das Kurzarbeitergeld zur Stützung der Wirtschaft soll von Bundestag und Bundesrat bereits am heutigen Freitag beschlossen, umfassende Steuererleichterungen durch die Bundesregierung auf den Weg gebracht werden. „Die Situation ist außergewöhnlicher als die Bankenkrise, weil es um die Gesundheit geht“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am späten Donnerstagabend. „Dies ist ein Einschnitt, der uns sehr viel abverlangt.“ Alle aktuellen Entwicklungen aus der Nacht lesen Sie hier. | |||
|
Konsens in der Politik ist mittlerweile „der Verzicht auf alle nicht notwendigen Veranstaltungen“, wie es Bayerns gerade gut sortierter Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ausdrückte. Dazu gehört auch der nächste CDU-Parteitag, der nicht wie geplant am 25. April einen neuen Parteichef aus Nordrhein-Westfalen bestimmen wird. Ebenso verschoben werden der Bundesparteitag der AfD im April sowie der Parteitag der Berliner Grünen Ende März. Nicht mehr stattfinden wird außerdem die "30. Jahrestagung der Gesellschaft für Virologie", zu der vom 25. bis 27. März etwa 1000 Experten und Gäste an der Freien Universität erwartet wurden. Noch am Donnerstagvormittag verbreitete dazu Gastgeber Nikolaus Osterrieder von der FU voller Vorfreude: „Natürlich wird auf den Gängen und auch in den Vortragsälen das neuartige Coronavirus in aller Munde sein und heftig diskutiert werden.“ Zum Glück wurde diese Erwartung im Laufe des Tages von den Ereignissen verschluckt. | |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
Das Berliner Kulturleben, auf das bisher noch in jeder Krise Verlass war, wird brach gelegt. Myfest, Halbmarathon und Karneval der Kulturen finden nicht statt, alle städtischen Bühnen und Museen wurden geschlossen; fast alle privaten Häuser, Messen und Lesungen zogen nach. Ein Jammer für viele Künstlerinnen und Künstler, die etwa am Theater an der Parkaue noch bis Donnerstagmittag das Stück „Als die Mauer fiel“ probten – eine Aufführung für Jugendliche, die auf Basis des Schülerwettbewerbs des Tagesspiegels zum Mauerfall und Workshops mit Jugendlichen monatelang vorbereitet worden war und am Sonntag eigentlich Premiere feiern sollte. Aber Gesundheit geht natürlich vor. Deshalb hat der Tagesspiegel alle Veranstaltungen abgesagt, natürlich auch die nächsten Checkpoint-Lauftreffs. Wie unsere Redaktion trotz des sich ausbreitenden Virus‘ und eines Krankheitsfalls im eigenen Verlag mit der Lage umgeht, können Sie in einer Reportage meiner Kollegin Maris Hubschmid nachlesen. | |||
|
Vorgestern konnte ich immerhin noch Lothar de Maizière treffen, den ersten frei gewählten Ministerpräsidenten der DDR, der nach seiner Wahl vor 30 Jahren Ostdeutschland in die Einheit führte. Vor dem gemeinsamen Gespräch mit Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe für den Tagesspiegel, das natürlich ohne Handschläge und mit ausreichendem Sicherheitsabstand in de Maizieres Anwaltskanzlei am Kurfürstendamm geführt wurde, erzählte der 80-Jährige von früheren Infektionskrankheiten: „Ich habe schon Ruhr, Typhus und Tuberkulose überstanden.“ In den Fünfzigerjahren habe es eine Ruhr-Epidemie in der DDR gegeben, weil russische Butter verseucht gewesen sei. „Überall standen Schüsseln mit Desinfektionsmitteln herum“, erinnerte sich auch Poppe. Aus Usbekistan hat de Maizière dann 1967 nach eigener Erinnerung Tuberkulose mitgebracht: „Das hat mich ein Jahr meines Lebens gekostet. Und das Schmerzliche war: Ich hatte zwei kleine Kinder, die ich nicht sehen durfte.“ Er habe damals einen Antrag gestellt auf Anerkennung einer Dienstbeschädigung. Deshalb habe man gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Staatsverleumdung eingeleitet. „Die sagten mir: Tuberkulose als Volksseuche ist vom sowjetischen Bruder endgültig ausgerottet worden. Später wurde das Verfahren zum Glück eingestellt.“ Das gemeinsame Interview mit de Maiziere und Poppe können Sie am Sonntag im Tagesspiegel lesen. | |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
Nun noch zur unwichtigsten Nebensache der Welt, die sich durch das hasenfüßige Agieren ihrer Verbände selbst immer nebensächlicher macht: Die Fußball-Bundesliga will am Wochenende tatsächlich weiterspielen, mit geistlosen Geisterspielen. Auch der europäische Fußball-Geldverband Uefa konnte sich noch nicht zur Verlegung der im Sommer geplanten EM (mit Eröffnungsspiel in Rom) durchringen. So unbeeindruckt von wirklich wichtigen Dingen gibt sich nur noch der privat betriebene „Quatsch Comedy Club“, er spielt „bis auf Weiteres“ weiter am Berliner Friedrichstadt-Palast. In einer aktuellen Mitteilung zum Coronavirus heißt es: „Kein Mitarbeiter/ keine Mitarbeiterin war in letzter Zeit in einem der Krisengebiete, zeigt Krankheitssymptome oder war in Kontakt mit einer infizierten Person.“ Und: „Auch für eine ausreichende Belüftung der Räumlichkeiten ist gesorgt.“ Hoffentlich hält das verbleibende Rest-Publikum den Atem an! | |||
|
Und noch dieser Nachtrag zum Coronavirus: Letzte Woche haben wir hier geschrieben, dass die Amtsärztin für Infektionsschutz in Lichtenberg aufgrund der aktuellen Lage geflüchtet sei. Diese Darstellung war so nicht richtig. Vielmehr ist für die seit Längerem vakante Amtsleiterstelle, zugleich Amtsarzt, bisher noch kein Nachfolger gefunden worden. Im Bereich Hygiene und Infektionsschutz habe man außerdem schon vor zwei Jahren eine Stelle ausgeschrieben. Zwei Bewerberinnen hätten nach kurzer Zeit wieder abgesagt – eine davon erst vor kurzem. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. | |||
|
Was ist wahrhaft wichtig in diesen Zeiten? Vor allem die Fürsorge für unsere Alten, unsere Kranken. In Seniorenheimen werden sie nun abgeschottet, um sie vor dem gerade für sie schwerwiegenden Virus zu schützen. In den drei Einrichtungen der Volkssolidarität sind inzwischen Besuche untersagt, in den acht Heimen der Caritas zeitlich eingeschränkt. Ältere Menschen müssen sich auch in Acht vor Kriminellen nehmen, die in dieser beängstigenden Lage den Enkeltrick anwenden und sich am Telefon als Angehörige ausgeben, die sich mit dem Virus infiziert hätten und nun dringend Geld für teure Medikamente bräuchten. Wie das Virus kennt auch die Schäbigkeit in der Krise keine Grenzen. | |||
|
Abschließend ein paar Lesetipps für Sie, damit Sie gut informiert sind, während der Virus viral geht: - 66 wichtige Fragen und Antworten zum neuartigen Virus lesen Sie hier. - Was tun bei Corona-Verdacht? Wo Berliner mit Symptomen Hilfe erhalten, erfahren Sie hier. - Von China bis Italien und Spanien: Alle Entwicklungen weltweit in unserem Blog gibt es hier. Bleiben Sie gesund! | |||
|
|
|
|
| |||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
| |||
| |||
|
| ||||||
| ||||||
|
| |||
|
| |||
| |||
| |||
|
| ||||
|
| |||
| |||
| |||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
|
|
| |||
| |||
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
| |||
| |||
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|