|
Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 08.10.2024 | Regen bei 13 bis 20°C. | ||
+ Demo für Abriss des Jahn-Stadions + Intendant der Komischen Oper im Interview: „Kunst ist harte Arbeit“ + Messerverbot auf vier Bahnhöfen + |
von Robert Ide |
|
Guten Morgen, die Sonne kehrt wieder und das tröstet ein wenig über die verhangene Stimmung in diesen Tagen hinweg. Denn Berlin erinnert sich zurück an Jahrestage, die es bestenfalls niemals gegeben hätte, die aber die Welt und unsere Stadt geprägt haben und weiterhin prägen. Der Jahrestag des Massakers der Hamas in Israel war in Berlin wieder einmal überdeckt von selbst ernannten pro-palästinensischen Demonstrationen, die sich wie zuletzt schon oft als Paraden antisemitischen Hasses entpuppten. Am Montagabend flogen am Südstern Flaschen, Feuerwerk und Hassparolen – mittendrin die früher einmal angesehene Umweltaktivistin Greta Thunberg mit Palästinenser-Tuch. Die Polizei musste den gewaltvollen Aufzug auflösen, doch die Feuer-Randale ging auf der Sonnenallee weiter. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) fand die richtigen Worte: „Was nützt es einem Kind im Gazastreifen, wenn Steine auf Polizeibeamte in Berlin fliegen?“ Mehr Menschen immerhin beteiligten sich gestern am Gedenken für die Opfer des Hamas-Terrors in der Gedächtniskirche und in der Jüdischen Gemeinde. Hier wurde für Frieden für Menschen aller Regionen und Religionen geworben. Ein ermutigendes Zeichen – ebenso wie ein überraschend klares Bekenntnis aus dem linken Spektrum. Der langjährige Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch benannte Opfer und Täter in ungewohnter Klarheit, als er gestern twitterte: „Der 7. Oktober 2023 markiert eine neue Qualität des Terrors gegen Israel. Seit der Shoa sind nicht mehr so viele Jüdinnen und Juden ermordet worden. Eine sofortige Schlussfolgerung Deutschlands hätte eine radikale Abkehr von der bisherigen Iran-Politik sein müssen. Der Wissens- und Technologieexport in den Iran hätte umgehend gestoppt werden müssen, denn die Ingenieure hinter den Hamas-Bomben haben ihr Know-how aus dem Iran.“ In die Zukunft gerichtet schreibt Bartsch: „Die unangreifbare Sicherheit Israels ist die Mutter für Frieden im Nahen Osten und letztlich Garant für eine Zwei-Staaten-Lösung. Wenn die Erinnerung verblasst, hat die Barbarei gesiegt. Nie wieder ist jetzt!“ Wann begreifen das endlich auch die aktivistischen Menschen auf den Straßen, die sich angeblich für die leidende palästinensische Zivilbevölkerung einsetzen, dabei aber die Berliner Zivilbevölkerung mit immer mehr Hass und Gewalt terrorisieren? | |||
|
| |||
| |||
|
Auch in die Erinnerung an den 40. und letzten Geburtstag der DDR am 7. Oktober 1989 mischen sich irritierende Töne der Nostalgie und der Täterverklärung. Während der letzte SED-Staatschef Egon Krenz – seines Zeichens überführter Wahlfälscher, verurteilter Mauerschießbefehl-Decker, Oppositionsverfolger bis in die Schule seines Sohnes in Berlin-Pankow hinein und Peking-Massaker-Gutheißer – heute wieder von Getreuen bejubelt wird und das Bündnis Sahra Wagenknecht als eine Art Nachfolgeorganisation seiner SED rühmt, müssen Opfer der ostdeutschen Diktatur noch immer um Anerkennung und eine angemessene Entschädigung kämpfen für ihr erlittenes physisches und psychisches Leid. Dabei lohnt ein genauer Blick zurück auf die Ereignisse vor 35 Jahren, als Berlin im Oktober 1989 historische Tage erlebte und die Straßen von Paraden und Panzern auf der Karl-Marx-Allee, Protesten am damaligen Palast der Republik und staatlich angeordneter Prügel auf der Schönhauser Allee erschüttert waren (meinen Rückblick lesen Sie hier). Dass die Revolution am Ende friedlich blieb und einen Monat später sogar mitten in Berlin die Mauer fiel, ist bis heute vielen freiheitsmutigen Menschen in Ostdeutschland zu verdanken. Am wenigsten Egon Krenz. | |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
Eine bauliche und sportliche Ikone der DDR sollte auch der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark sein. Hier in Prenzlauer Berg, wo einst der von der Stasi protegierte Fußballklub BFC Dynamo die besten Spieler der DDR zugeschoben bekam, um Dauermeister zu werden, und wo die DDR-Nationalmannschaft gerne ihre Länderspiele austrug, um sie gegen den großen sozialistischen Bruder Sowjetunion zu verlieren, ertönte am Montag der erste Abpfiff für die inzwischen bröselige Fußballarena. Während Arbeiter die ersten Bauzäune um die Tribüne errichteten (zu sehen hier), stellten Umweltschützer und Kiezinitiativen noch schnell einen Eilantrag gegen den beschlossenen Abriss des Stadions, dem auch einige alte Bäume und damit Brutplätze für Tiere zum Opfer fallen werden. Das Verfahren könnte den Neubau nun verzögern. Der Senat plant auf dem historischen Areal am Mauerpark die erste inklusive Arena der Stadt mit vielen Angeboten für den Behinderten- und Breitensport. Ebenso wie beim verfallenen Sport- und Erholungszentrum in Friedrichshain (Hintergründe hier) wird damit ein weiteres Stück DDR-Sport- und Architektur-Geschichte überbaut. Auch dies führt am Jahn-Sportpark zu Ärger, etwa bei der um die Ecke wohnenden, weltberühmten Schriftstellerin Jenny Erpenbeck (Interview hier). Im Jahn-Sportpark allerdings hängen nicht alle so sehr an der Vergangenheit. Hier regt sich gegen den fast schon berlintypischen Protest nun ein neuer berlinuntypischer Protest. „Wir fordern die Umgestaltung des Jahn-Sportparks inklusive Stadionneubau jetzt!“, heißt es in einem gemeinsamen Aufruf des Berliner Fußball-Verbandes, des Behindertensportverbandes sowie hier ansässiger Vereine wie Alba, Empor Berlin, Rotation Prenzlauer Berg und Pfeffersport. Am Freitag ab 17 Uhr wollen die Sportlerinnen und Sportler auf dem historischen Gelände für ein neues Spiel-, Sport- und Erholungsareal demonstrieren. Wer hätte das gedacht: dass in Berlin einmal wieder Menschen für eine Veränderung auf die Straße gehen? | |||
|
|
Er wollte viel verändern, doch am Ende änderte das Amt auch ihn. Kevin Kühnert, einst rebellischer Juso-Vorsitzender mit rhetorischem Begeisterungspotential, musste als Generalsekretär in der SPD-Parteizentrale immer öfter nach richtigen Worten suchen für den Kanzler der Nicht-Kommunikation Olaf Scholz. Nun ist der 35 Jahre junge Kühnert, der über seine Partei hinaus als fairer Kommunikator geschätzt wird, am Montag zurückgetreten, aus gesundheitlichen Gründen. Für den neuen Bundestag will der Tempelhofer bei der Wahl in einem Jahr nicht mehr kandidieren. „Ich selbst kann im Moment nicht über mich hinauswachsen, weil ich leider nicht gesund bin“, schreibt Kühnert in einer persönlichen Erklärung. „Die Energie, die für mein Amt und einen Wahlkampf nötig ist, brauche ich auf absehbare Zeit, um wieder gesund zu werden.“ Einige mahnende Worte an seinen Chef, der Politik in Schweigen verhüllt, sind aus Kühnerts Erklärung auch herauszulesen. Chancen für die SPD ergäben sich „nicht aus Abwarten“. Vielmehr brauche es Stolz auf eine Leistungsbilanz, „die von der Spitze selbstbewusst vertreten wird“, so Kühnert. Und: „Leidenschaft kann nur wachsen, wo programmatische und strategische Ziele der Wahlauseinandersetzung geklärt sind und auf Zustimmung stoßen.“ Bei der SPD unter Olaf Scholz ist das ganz offensichtlich nicht der Fall. Kühnerts Nachfolger soll der bisherige Fraktionsvize Matthias Miersch aus Hannover werden, wie es am Montagabend aus Parteikreisen hieß. Darüber, wie es in Kühnerts Berliner Wahlkreis weitergeht, will der SPD-Kreisvorstand von Tempelhof-Schöneberg noch in dieser Woche beraten. Ganz abgesehen von diesen Personalien und von dem Umstand, dass die angeschlagene Ampel-Regierung nach dem Rückzug der Grünen-Spitze nun vom Wechsel in der SPD-Führung erschüttert wird, zeigt der selbst gewählte Rücktritt von Kevin Kühnert vor allem eines: Gesundheit ist das Wichtigste. Das sollte sich nie ändern. | |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
Spätestens in einem Jahr hat Deutschland wieder die Qual der Wahl. Die parteiinternen Vorwahlen dafür sind schon in vollem Gange. So will Andreas Audretsch für die Neuköllner Grünen wieder in den Bundestag. „Es ist Zeit, dass wir mit neuer Klarheit deutlich machen, wer wir sind und sein wollen“, schreibt der 40-Jährige in einem Brief an seinen Kreisverband. Als Wahlkampfmanager der Grünen wird Audretsch, der zum linken Parteiflügel zählt, die Kampagne von Robert Habeck organisieren. Wie die inhaltlich aussehen könnte, deutet er in dem Brief, der dem Checkpoint exklusiv vorliegt, direkt an: „Steuerprivilegien für wenige, sehr reiche Menschen müssen wir abschaffen, Mieten müssen endlich ernsthaft reguliert werden und Löhne stärker steigen. Ich will, dass wir die soziale Frage neu stellen.“ Ob diese Agenda den derzeit orientierungslosen Landesverband, aus dem weitere junge Nachwuchskräfte wegen fehlender linker Politik austreten wollen (Details hier), wirklich beruhigen kann, bleibt fraglich. Ebenso, ob diese Forderungen zum Oberrealo Habeck passen. Zu Neukölln passen sie offenbar – hier tritt Audretsch bei der Mitgliederversammlung am Wochenende wohl ohne Gegenkandidat an. Und auch auf der umkämpften Landesliste der Berliner Grünen führt wohl kein Weg an ihm vorbei. Nach Familienministerin Lisa Paus dürfte Audretsch auf Platz 2 gesetzt sein – das Nachsehen hätte ein Grüner aus Pankow: Verkehrsexperte Stefan Gelbhaar. Ihm bliebe nur die Wahl eines nächsten freien Platzes. | |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
Schon komisch, dass in Berlin die guten Meldungen allzu oft untergehen. Dabei ist in der Stadt jede Menge Musik drin, die gut klingt. Das beweist etwa die Komische Oper, deren Stammhaus Unter den Linden gerade saniert wird und deren Ensemble deshalb im Schillertheater oder auch mal im früheren Flughafen Tempelhof aufspielt. Jetzt ist das Kulturhaus bei den „International Opera Awards“ als bestes Opernhaus ausgezeichnet worden. Wie gut das der Oper tut, die seit Jahrzehnten von Spardebatten begleitet wird, und welche Musik sie vereinen will, erklärt Co-Intendant Philip Bröking im Checkpoint-Interview: Herr Bröking, was bedeutet Ihnen die Ehrung als bestes Opernhaus? Sie würdigt viele Jahre Arbeit von vielen Menschen. Theaterarbeit ist sehr kleinteilig. Viele Rädchen und Räder müssen erst ineinandergreifen, bevor das Getriebe funktioniert. Damit am Ende Kunst herauskommt, wird hinter den Kulissen hart gearbeitet. Uns freut besonders, dass unser Spielplan ausgezeichnet wurde. Es setzt zu gleichen Teilen auf Unterhaltung und anspruchsvolle Opern, die Herz und Verstand ansprechen. Die Komische Oper gilt als das leichteste der Berliner Opernhäuser. Wie können Sie dabei künstlerische Akzente setzen? Indem wir die ganze Bandbreite des musikalischen Theaters zeigen. Wir unterscheiden schon lange nicht mehr zwischen so genannter ernster Musik und Unterhaltungsmusik. Wir zeigen Werke des 20. Jahrhunderts wie „Das Floß der Medusa“, Raritäten des heiteren Musiktheaters der DDR oder das Musical „Chicago“. Nicht zu vergessen unsere Kinderopern, die jedes Jahr mehr als 30.000 Kinder besuchen. Wir wollen die ganze Vielfalt unseres Genres abbilden. Gerade wird Ihr Haus aufwändig umgebaut. Die Sanierung soll 480 Millionen Euro kosten – in Zeiten knapper Kassen ist das umstritten. Zunächst waren wir irritiert, dass die Frage nach der nötigen und schon beschlossenen Sanierung im laufenden Umbau noch einmal gestellt wurde. Nach dem ersten Schreck gingen meine Co-Intendantin Susanne Moser und ich auf Wanderschaft durch die Stadt, um erneut die Dringlichkeit der Sanierung darzulegen. Inzwischen gibt es im politischen Berlin ein breites Verständnis dafür, was eine Streckung oder ein Stopp der Bauarbeiten bedeuten würde: dass man am Ende weniger Gebäude für mehr Geld zu einem späteren Zeitpunkt bekommt. Aber auch im Kulturetat muss Geld gespart werden. Wir können die angespannte Haushaltslage des Landes nachvollziehen. Nur pauschal zehn Prozent einzusparen, ohne Personal zu entlassen und damit unsere Grundstruktur zu zerstören, ist kurzfristig schlicht unmöglich. Wir haben 80 Prozent Personalkosten und fünf Prozent Fixkosten wie Strom, Wasser oder Gebäudereinigung. Der künstlerische Etat beträgt nur 15 Prozent – und davon ist viel Geld auch für das kommende Jahr schon ausgegeben. Denn künstlerische Engagements bucht man zwei oder drei Jahre im Voraus. Sind drei Opernhäuser in Berlin eins zu viel? Diese Debatte begleitet uns seit der Wiedervereinigung. Ich fühle mich dabei wie Sisyphus, der die guten Argumente immer wieder den Berg hochrollen muss. Alle drei Opernhäuser sind gut besucht und künstlerisch wertvoll. Die weltweite Anziehungskraft von Berlin beruht auf seiner Geschichte und seinem einmalig breiten kulturellen Angebot. Jeder Euro für die Kultur bringt einen Mehrwert von acht bis neun Euro für die Stadt. Die finanziellen Mittel sind also keine Subventionen, sondern Investitionen. | |||
|
Schätzen Sie auch unsere Arbeit wert und wollen uns mit einem Abo unterstützen? Dann holen Sie sich gerne die Checkpoint-Vollversion sowie alle Bezirks-Newsletter und sämtliche Tagesspiegel-plus-Artikel, und zwar hier. Dankeschön! Im heutigen Newsletter würden Sie dann noch dazubekommen: - Gutes Rad ist teuer: Im Herbst werden weniger Fahrräder gestohlen als im Spätsommer. Doch der Klau summiert sich. Ein Blick in unsere interaktive Fahrrad-Klau-Auswertung. - Schöner Pop ist möglich: Italienische Synthie-Musik für denkende Menschen – so beschreibt sich die Band Itaca. Die Jungs feiern ein Konzert im Club Lark. Wir verlosen Plätze auf der Gästeliste. - Freie Fahrt dank Pollern: In Lichtenberg werden Autos versteigert, die niemand öffnen darf. Was man trotzdem damit anfangen kann, verrät unsere Zeichnerin Naomi Fearn im Comic. - Mein Checkpoint-Lesetipp für Sie beleuchtet das Schicksal eines Berliner Opfers des Hamas-Terrors. Vor einem Jahr wurde die Studentin Carolin Bohl in einem Kibbuz überfallen und getötet. Verwandte und Freunde ringen mit dem Verlust. Die Spurensuche von Henning Onken lesen Sie hier. | |||
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
| |||
| |||
|
| |||
| |||
| |||
| |||
| ||||
| ||||
| ||||
| |||
| |||
| |||
|
| |||
|
|
|
| |||
| |||
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
| |||
| |||
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|