Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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7. Juli 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
Gustav Heinemann war ein Bundespräsident, der in der ersten großen Krisenzeit der Bundesrepublik die richtigen Worte fand. Seine Präsidentschaft fiel in die turbulenten Jahre der Studentenunruhen; und Heinemann war einer, der in dieser Zeit nicht auf Autorität pochte, sondern auf ganz unprätentiöse und bescheidene Weise eine Autorität war – weil er sich als ehrlicher Makler zwischen Staat und Bürger verstand. Heinemann war, wie später der weltmännische Richard von Weizsäcker, ein Präsident, der aus der aktiven Parteipolitik kam und sie dann trotzdem glorios hinter sich ließ. Er war einer, der in einer Zeit wachsenden politischen Unbehagens Orientierung geben konnte – mit Sätzen, die berühmt geworden sind, mit einem Satz wie dem, dass nicht der Krieg, sondern der Frieden der Ernstfall sei. Und dieser Präsident, der selbst durchaus ein wenig spröde wirkte, verstand es wunderbar, dem Amt das Steifzeremonielle und die Bürgerferne zu nehmen. Einmal unkte er, er wolle auf seinen Einladungen die Formel drucken: „Kleidung beliebig, aber erwünscht.“

Die Kriegsverhinderung ist nicht gelungen

Ich nutze die Gelegenheit, an diesen, den dritten Bundespräsidenten, zu erinnern, weil dieser vor genau 55 Jahren, im Juli 1969, seine Antrittsrede gehalten hat. In dieser Antrittsrede steht der Satz vom Frieden als Ernstfall: „Was ist der Ernstfall?“, so hat Gustav Heinemann 1969 in seiner Antrittsrede gefragt. Und er gab folgende Antwort: „Nicht der Krieg ist der Ernstfall [...], wie es meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf der Schulbank lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“ Das war eine spektakuläre Rede in der Zeit des Kalten Kriegs; und wenig später bestätigte eine fundamentale wissenschaftliche Studie des Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker mit dem Titel „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung“, dass in einem Atomkrieg in Mitteleuropa alles zerstört würde, was hätte verteidigt werden sollen; angesichts solcher Perspektiven sei nur noch eine Politik der Kriegsverhinderung verantwortbar. Das war richtig – aber: Die Verhinderung ist nicht gelungen. In der Ukraine ist daher der Krieg der ernste Ernstfall. Und die Frage ist, wie man vom real existierenden Ernstfall, dem Krieg, wieder zum gewünschten Ernstfall, dem Frieden, kommt.

Die Kultur und die Praxis des Friedens

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Gustav Heinemann ist festzustellen: Es fehlt eine Verfassungstheorie zu einer Kultur des Friedens, die dann die Verfassungspraxis, also die Politik, befruchtet und beflügelt. Der Bayreuther Staatsrechtler Peter Häberle hat das richtig konstatiert: Er weist darauf hin, dass die sogenannten Grundrechte der zweiten Generation, also die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Freiheiten, die ja die klassischen Grundrechte ergänzen, um des Friedens willen entstanden sind. Und das gesamte Umweltrecht ist entstanden nicht nur um Frieden mit der Natur, sondern auch um Frieden mit den künftigen Generationen zu erreichen.

Wie es heute um den Frieden in unserer Verfassung bestellt ist, das ist das Thema meines heutigen SZ-Plus-Textes. Der Frieden darf keine Leerformel, kein Füllwort und keine Schmuckvokabel sein. Er ist das tragende Prinzip der Verfassung, das als tragendes Prinzip aber noch nicht entwickelt worden ist. Das ist noch zu leisten, da steht Gustav Heinemanns Mahnung aus dem Jahr 1969 noch fordernd im Raum.
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Ich wünsche Ihnen Sommerfreude und Sommerfreuden – trotz alledem.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Über das Menschenmögliche hinaus: Eine Abrechnung mit dem Gott der Normal-Theologie
„Massenmorde, Massengräber, viel hundertfach, vergessen und überbaut, darunter Kinder, immer wieder Kinder. Wir leben immer mit Tätern, die die Opfer vergessen machen wollen, und mit Siegern, die sie verhöhnen. Wir leben mit vergessenen Schandtaten und vergessener Gerechtigkeit. Was heißt da Hoffnung?“ Es ist der emeritierte Bielefelder Professor für das Alte Testament Frank Crüsemann, der diese eindringliche Frage stellt. Sie kann einen verrückt machen. Tribunale, Denkmale, Aufarbeitungskommissionen, Gedenkkultur – all das macht die Gemordeten nicht wieder lebendig. Sie, die Opfer, werden es nicht sehen. Es gibt keine Wiedergutmachung.

Die Frage nach der unmöglichen Hoffnung auf Gerechtigkeit ist eine der Fragen, die das Buch stellt, das ich Ihnen heute empfehle: Von Gott reden in einer Welt der Gewalt heißt der soeben erschienene Sammelband von Vorträgen und Aufsätzen. Es ist ein Buch für theologisch Interessierte oder solche, die es durch die Lektüre werden könnten. Seine Stärke: Die Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Fachdisziplinen steigen nicht von den Höhen der Dogmatik herab. Sie setzen an bei den tiefen, ganz konkreten Erfahrungen von Gewalt und Unrecht, Krieg und Mord und den Traumata, die sie hinterlassen. Es geht ihnen nicht darum, „den lieben Gott“ zu verteidigen; es geht ihnen um die Grundfrage: (Wie) kann man angesichts monströser allgegenwärtiger Gewalt von Gott reden? Am Beispiel biblischer Texte entfalten sie, wie erlebter Terror, Angst und Kriegsgräuel sich in heilvollen oder unheilvollen Gottesbildern niederschlagen. Sie schreiben von der Gewalt der Armut, vom Zusammenhang von Eigentum und Menschenwürde, von Missbrauch und Mittäterschaft, von Macht und Allmacht und vom Recht Gestorbener.

„Kann sich Hoffnung je mit dem Menschenmöglichen zufriedengeben? Muss es nicht um eine Gerechtigkeit gehen, die weit über solches Menschenmögliche hinausreicht? Für nichts weniger als das brauchen wir, so meine persönliche These, so etwas wie ‚Gott‘“, schreibt Frank Crüsemann in seinem Beitrag „Gott als Hoffnung für Abel – Oder: An was für einen Gott ich heute glauben kann“ – eine schonungslose Abrechnung mit dem allmächtigen Gott der Normal-Theologie, für die allein es sich lohnt, das Buch zu erwerben.

Von Gott reden in einer Welt der Gewalt. Herausgegeben von den Alttestamentlern Rainer Kessler und Dirk Sager. Das Buch hat 352 Seiten, ist soeben im Kohlhammer-Verlag erschienen und kostet 34 Euro.
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Beißend, bitter, boshaft, britisch
Kassandra war die Tochter des trojanischen Königs Priamos; sie gilt als tragische Heldin, weil sie das Unheil immer voraussah, aber niemals Gehör fand. Die britische Schriftstellerin Alison Louise Kennedy könnte den zwei Vornamenskürzeln „A. L.“, unter denen sie schreibt, noch das dritte Kürzel „K.“ hinzufügen. Sie ist nämlich eine Kassandra der britischen Politik. Ihre Prophezeiungen sind beißend, bitter, boshaft und lesenswert. Das zeigt sich in ihrem Essay im SZ-Feuilleton vom Wochenende, in dem sie das britische Wahlergebnis analysiert. Ihr Fazit: „Großbritannien braucht sehr dringend Verbesserungen in der Infrastruktur, im Bildungswesen, in der Umwelt und im Gesundheitswesen. Unsere Hoffnungen sind dabei so gering, dass dies unsere Demokratie jetzt schon beeinträchtigt. Selbst mit der bestmöglichen Hilfe würden wir uns in Jahren nicht erholen – und wir haben diese bestmögliche Hilfe nicht.“
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