| Guten Morgen,
vor dem offiziellen Beginn der Koalitionsgespräche zwischen CDU und SPD am kommenden Donnerstag haben wir mit dem Experten Matthias Schranner über die besten Strategien für solche Situationen gesprochen. Früher war er im Innenministerium für Verhandlungen mit Geiselnehmern verantwortlich, heute berät Schranner die UN und große Unternehmen in schwierigen Lagen. Zwischen Gesprächen über eine Regierungsbildung und über Lösegeldforderungen zieht er überraschende Parallelen.
Schranner-These 1: Die Verhandlungsführer sind in gewisser Weise voneinander abhängig und haben nicht viele Optionen – sie müssen eine Einigung herbeiführen.
Bei näherer Betrachtung gilt das in Berlin allerdings vor allem für die SPD – die CDU hätte zumindest theoretisch noch eine andere Option. Und die könnte sie vermutlich sogar ziehen, wenn die Verhandlungen scheitern: In einem Dringlichkeitsantrag für den Landesausschuss der Grünen, der am Dienstag tagt, fordern etliche Mitglieder und Funktionsträger der Partei, „gesprächs- und verhandlungsbereit in alle demokratischen Richtungen“ zu sein. Und: Eine Fokussierung auf nur wenige Parteien „wird es mit uns nicht mehr geben“. Das Ziel: „Wir wollen so schnell wie möglich auch auf Landesebene weiter regieren.“ Mit der CDU ginge das sofort.
Schranner-These 2: Bloß nicht zu früh und schon gar nicht öffentlich festlegen – sonst droht ein Gesichtsverlust, der zum Scheitern der Verhandlungen führen kann.
Franziska Giffey hält sich da tatsächlich zurück. Aber Kai Wegner („Das Finanzressort ist in den nächsten Jahren sehr wichtig für Berlin“) und Raed Saleh („Das Innenressort wird von der SPD besetzt“) verkünden bereits vor Verhandlungsbeginn Teile der Sitzordnung ihres Wunschsenats. Das ist, vor allem für Saleh (siehe oben), nicht ungefährlich: Es reizt die Verhandlungsgegner und enttäuscht bei einem Scheitern die eigenen Leute. Ohnehin regt sich in der SPD schon Widerstand: Giffeys Heimatkreisverband Neukölln hat sich in einer Kampfanstimmung mehrheitlich gegen eine Koalition mit der CDU ausgesprochen.
Schranner-These 3: Keine emotionalen Verletzungen zulassen – die Entscheidungsträger dürfen nicht beschädigt werden.
Da bleiben wir doch gleich mal bei Saleh – der hat gerade verkündet: „Wir fragen keinesfalls danach, welchen Vornamen jemand hat.“ Ein Stich in die offene Wunde aus der Silvesternacht – und ein Angriff auf Kai Wegner, der die Abfrage nach den Täternamen verteidigt hat (siehe oben, „Gesichtsverlust“).
Schranner-These 4: Einen Kompromiss zu schließen ist einfach („das kann jeder“). Das führt nur oft nicht weit, und schon gar nicht weiter – besser sind Deals („geben und nehmen“).
Davon sind CDU und SPD noch weit entfernt. Die bisherigen Sondierungsergebnisse sind windelweich – beim zentralen Thema Enteignung „zeichnet sich ein Kompromiss ab“, heißt es, und der lautet: „Vergesellschaftungsrahmengesetz“. Brauchen Sie sich nicht zu merken.
Schranner-These 5: Positionen, die nicht haltbar sind, müssen, bevor sie von den anderen abgeräumt werden, schnell von selbst geräumt werden.
Das hat Giffey im Grundsatz beherzigt, als sie ihren Verzicht auf das Amt der Regierenden Bürgermeisterin verkündete – mit Blick auf die nächste Wahl, bei der sie zurück ins Rote Rathaus will. Dass sie dabei jedoch zu Grünen und Linken alle Brücken sprengt, ist ein Verstoß gegen die Schranner-These 3: Die emotionale Verletzung, die sie Bettina Jarasch und Klaus Lederer zugefügt hat, wird so schnell nicht heilen. Ihr bleibt damit nur die eine Option mit der CDU (Schranner-These 1) – und damit ist sie abhängig von Kai Wegner.
In unserem aktuellen Checkpoint-Podcast „Berliner & Pfannkuchen“ haben wir uns intensiv mit dem Thema politische Deals und Geiselnahmen beschäftigt – hier erleben Sie u.a. Matthias Schranner im O-Ton.
Außerdem erzählt der frühere Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann, woran 2011 die Koalitionsverhandlungen mit der SPD gescheitert sind – und was er für ein erfolgreiches Bündnis für unerlässlich hält (Spoiler: etwas, woran es zwischen den Spitzen von CDU und SPD derzeit mangelt). Den Checkpoint-Podcast „Berliner & Pfannkuchen“ können Sie sich hier unter diesem Link bei tagesspiegel.de oder auf einer der vielen anderen Podcast-Plattformen anhören. | |