Bonjour de Paris, da sage noch einmal jemand, Dressur sei nicht spannend. OMG! Das war gestern anders als in Tokio vor drei Jahren. Ganz anders! Als Jessica von Bredow-Werndl in Tokio ins Viereck kam, da hatten Dorothee Schneider und Isabell Werth so gut vorgelegt, dass ein Ritt mit 70 Prozent zum Sieg gereicht hätte. Gestern ging es in Paris um jeden einzelnen Punkt. Und am Ende waren es vier Pünktchen, die die Entscheidung brachten. Vier Punkte bei sieben Richtern, die jeweils 470 Punkte insgesamt hätten vergeben können! Dann, wenn sie sich für das Idealergebnis 10,0 in jeder Lektion hätten entscheiden können. Vier Punkte! Hätten nur zwei Richter einem dänischen Paar in einer Lektion, die mit dem Faktor zwei multipliziert im Protokoll landet, einen Punkt mehr gegeben, wäre es auf ein Unentschieden hinausgelaufen. Das gibt es natürlich nicht, sondern ein Reglement. Was da für diesen Fall steht, weiß ich nicht. Entscheidend ist: Deutschland hat die zweite Goldmedaille im Reiten. Dressur kann also wirklich spannend sein. Sogar nervenaufreibend. Denn Isabell Werth hat es nicht mehr ausgehalten, sie ist gemeinsam mit Frederic Wandres aus dem Stadion geflüchtet, noch bevor das Ergebnis von Jessica von Bredow-Wendl bekannt war. Frederic hat erzählt, dass die beiden sich wohl tatsächlich verrechnet, und gerade mit dem Gedanken an eine Silbermedaille angefreundet hatten. (hier meine unmittelbaren Eindrücke im Liveticker. Und hier die Zusammenfassung.) * Dass Olympia tatsächlich seine ganz eigenen Gesetze hat, das hat dieser Tag auch gezeigt. Denn gestern passierten doch viele Fehler in einer Prüfung, die doch alle eigentlich jedes Wochenende reiten. Das eine ist ja immer, was im Viereck geschieht, das andere was draußen herum so alles passiert. Bei allen Royalisten herrschte schon mal Aufregung, denn Queen Mary, also die Königin von Dänemark, war im Stadion, um „ihre“ Dressurreiter anzufeuern. An ihrer Seite die Schwester ihrer Schwiegermutter, Prinzessin Benedikte zu Dänemark, deren Tochter Nathalie zu Sayn-Wittgenstein ja einen nicht unerheblichen Anteil am Erfolg der dänischen Dressurreiter hat. Sie ist die Trainerin von Cathrine Laudrup-Dufour, die gestern den besten Ritt aller Starterinnen und Starter abgeliefert hat. Und auch Daniel Bachmann Andersen trainiert mit Nathalie, die selbst auch international bis hin zu Olympischen Spielen geritten ist. Übrigens, auf einem selbst gezogenen Donnerhall-Sohn, Digby, den ihre Mutter gezüchtet hat. * Doch nicht nur königlicher Glanz, Königin Maxima der Niederlande war wohl auch schon bei den Pferden und hat sich mit Glamourdale unterhalten, war ein Thema. Vor allem sind alle begeistert, dass Calvin Cordozar Broadus Jr. im Stadion war. Kennen Sie nicht? Vielleicht hilft der Künstlername: Snoop Dogg. Nun ja, ehrlich gesagt, habe ich nicht ganz verstanden, was ein Rapper mit Dreadlocks und einem Dressurfrack plus Helm in einem Reitstadion verloren hat, aber der Aufregung nach, die herrschte, muss es wohl etwas ganz Besonderes sein. Besonders glücklich über Snoop Doggs Besuch waren am Ende diejenigen Journalisten und Fotografen, die noch recht lange im Pressezentrum gearbeitet haben. Denn die Pressemanagerin Amy ging mit Käsekuchenstücken durch die Reihen und erklärte, das sei der Kuchen, den Snoop Dogg übriggelassen habe und man möge doch bitte zugreifen, es sei reichlich da. Unabhängig davon, ob sich Rapper tatsächlich bevorzugt von Käsekuchen ernähren, war das ja mal eine nette Geste. * Für Isabell Werth war dieser Tag ein ganz besonderer. Und falls sie es nicht selbst gemerkt haben sollte, so gab es doch ausreichend Menschen, die nachfragten, wie sie sich denn so fühle, an diesem Tag, an dem sie zu Deutschlands erfolgreichster Olympionikin geworden ist. Acht Medaillen, das hat zuvor niemand anders geschafft. Und sie will es wohl auch nicht bei acht lassen. Erstens steht heute die Kür an, und so wie Wendy sich gezeigt hat gestern, ist da alles drin. Eine Medaille auf jeden Fall. Zweitens hat sie außerdem ganz offiziell auf der Pressekonferenz gestern, auf Nachfrage einer Journalistin aus Belgien, betont, dass der ursprüngliche Gedanke, nach diesen Spielen die Karriere ein bisschen herunterzufahren, und keine Olympischen Spiele mehr anzustreben, hinfällig sei. Zitat: „Das hab‘ ich mir jetzt anders überlegt“. Die größte Freude herrschte bei den Dänen. Sie hüpften auf das Podium, sie stießen mit ihren Silbermedaillen an – wie heißt doch gleich Prost auf Dänisch?!Skål! Daniel Bachmann Andersen nahm immer wieder die Medaille in die Hand, als sei sie ein Lenkrad, und er fuhr ein bisschen mit seinem silbernen Steuerrad durch die Gegend. Eine schöne Geschichte ist auch die der Britin Becky Moody. Sie ritt ihren Wallach Jagger Bomb mit über 76 Prozent. Der Wallach ist bei ihr zur Welt gekommen. Den etwas seltsamen Namen – die Mischung aus der Energiebrause Red Bull und Jägermeister (Frage: Kann man das wirklich trinken? Oder dient das der Entwurmung?) – verdankt der Sohn von Dante Weltino zwei Umständen: einmal, dass Becky zum Zeitpunkt der Geburt des Fohlens diesen Drink ganz hervorragend fand. Und zweitens hatte ihr Großvater Norman, den Spitznamen Bomb. Warum, das weiß sie nicht. Aber, so sagte sie mir, so erinnert der Wallach sie immer ein bisschen an ihren Grandpa. Seinen Daddy hat Jagger Bomb übrigens sogar geschlagen. Der Oldenburger Rapphengst ging im schwedischen Dressur Team, das etwas glücklos agierte. * Die Springreiter hatten übrigens auch mit Daumen gedrückt und Fähnchen geschwenkt. Gestern Abend wollen sie noch ins Deutsche Haus, sie waren noch gar nicht unterwegs bislang, wollen natürlich auch etwas von Paris sehen und spüren. Otto Becker stellte sich nach dem Grand Prix Special freiwillig für Interviews zur Verfügung. Aber so ganz viele Nachfragen kamen da nicht. Eigentlich keine. * Heute ist der Tag der Einzelentscheidung. Leider gibt es noch keine Startliste, weil zunächst die Verfassungsprüfung stattfindet. Erst wenn die 18 Pferde „fit to compete“ sind, kann die Liste erstellt werden. Los geht die Kür bereits um 10 Uhr. 13.30 Uhr soll die Medaillenvergabe stattfinden. Carl Hester hat eine neue Musik, etwas, das seinem Alter entspricht. Mir hat er das Geheimnis vorab verraten. Aber ich habe versprochen, dass ich es nicht spoiler. So viel sei verraten: Carl sagt, es sei Musik aus seiner Jugend. Er ist ein halbes Jahr älter als ich, das haben wir mal bei einem Weltcup-Finale festgestellt. Deshalb freute ich mich auf einen Song, der vielleicht auch zu meiner Sturm und Drang-Zeit gehört. Als er mir den Titel nannte, stellte ich fest: Jugend definiert der Brite wohl anders als der Deutsche. Aber meiner Mutter dürfte das Lied gefallen. Und Knotentanz und Disco Fox geht dazu auch. Ach ja, Vetcheck ist heute um 7 Uhr, endlich mal wieder früh aufstehen. À demain, Jan Tönjes, Chefredakteur St.GEORG |