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Liebe/r Leser/in,

vom chinesischen Revolutionsführer Mao Tsetung stammt aus den 30er Jahren der zynische Lehrsatz: „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.“ Für die Bundesrepublik Deutschland hat das nie gegolten. Die Macht dieses deutschen Staates kam nach 1948 aus den Industrie­schloten des Ruhrgebiets, später aus den Fabriken und Entwicklungsabteilungen der Automobilwirtschaft und aus den Köpfen der Maschinenbau-Ingenieure. Titel wie „Exportweltmeister“ oder „viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt“ standen und stehen für den ökonomischen Riesen und die westeuropäische Führungsmacht. Zur zentralen Voraussetzung für das deutsche „Wirtschaftswunder“ gehörte Energie – sichere und preiswerte Energie!

Heute ist unsere Energieversorgung weder sicher noch preiswert, und Ex­­portweltmeister sind wir seit 2009 schon nicht mehr.

Ich frage mich, warum das offenkundig und gerade in diesen Tagen weder die Politik noch die Wirtschaftsverbände wirklich umtreibt. Wir steuern in eine Rezession, Löhne und Energiepreise drohen die Inflation weiter zu treiben. Und alle reden sie vom Energiesparen, am eindringlichsten der Wirtschaftsminister, aber auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Und alle stimmen in den Refrain ein: „Es kommt auf jede Kilowattstunde an.“ Dazu passt die Lieblingssequenz aller TV-Sender, das Herunterdrehen der Temperaturregler in den Wohnungen. Die unterschwellige Botschaft ist völlig klar: Wenn es in Häusern und Wohnungen im Winter kühl oder kalt werden sollte, ist der (sparunwillige) Bürger selber schuld.

Wir kennen das schon aus der Corona-Pandemie: Die Bürger waren an der Verbreitung aufgrund ihrer vermeintlichen Sorglosigkeit selbst schuld und mussten mit Ausgangssperren und Ähnlichem drangsaliert werden, auf keinen Fall aber der Staat, der vergessen hatte, Masken zu besorgen oder die Älteren in den Heimen und Krankenhäusern konsequent zu schützen.

Deshalb sollten wir der Politik zu­­rufen: Wenn es auf jede Kilowattstunde ankommt, dann sollten wir jetzt die drei letzten Kernkraftwerke nicht abschalten, die vorhandene Kohlekraft maximal einsetzen und die bei uns vorhandenen Gasvorkommen erschließen. Dann, aber erst dann sind die Bürger gefordert, sich über Zimmer- und Duschtemperaturen Gedanken zu machen.

Und von der Wirtschaft und ihren Verbänden muss man erwarten, dass sie ihren Energiebedarf, ihre Schmerzgrenze bei den Preisen und die Risiken für die Industrienation in aller Klarheit benennen, anstatt mit der Ampelregierung auf edlen Tagungspodien politisch zu busseln.

Zur Wahrheit, die man bei Gelegenheiten wie dem BDI-Kongress in dieser Woche einmal aussprechen könnte, gehört auch das: Schon die Regierungen unter Kanzlerin Angela Merkel haben heimische Energieträger wie Kohle oder Atomkraft abgeschrieben, bevor der Ersatz zur Verfügung stand. Die Energiewende der vergangenen Jahre hat uns mit die höchsten Energiepreise in der Welt, den Verlust der Versorgungssicherheit und die erhöhte Abhängigkeit von Importen – nicht zuletzt aus Russland – beschert. Mit Putin und seinem brutalen Krieg gegen die Ukraine und gegen den Westen hat das relativ wenig zu tun. Wir sollten keine Ausreden suchen, sondern uns endlich um unseren eigenen Laden, unseren Wirtschaftsstandort kümmern!

Klimaneutralität ist ein wichtiges Ziel, aber Versorgungssicherheit bei Energie ist es auch. Deshalb würde es mich sehr beruhigen, wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck den Bürgern sagen würde: „Mein Ziel ist es, dass Deutschland die viertgrößte Industrienation bleibt.“ Denn nur wirtschaftlich erfolgreiche Staaten haben die Mittel, um den Umbau einer Volkswirtschaft auf Klimaneutralität zu stemmen.

mit vielen Grüßen,

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Robert Schneider,
Chefredakteur FOCUS-Magazin

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