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Liebe/r Leser/in,

„Wir erleben eine Zeitenwende.“ Das war der wichtigste Satz des Bundeskanzlers im vergangenen Jahr, ausgesprochen in seiner Regierungserklärung zum russischen Überfall am 27. Februar 2022 im Bundestag. Leider wird der Nachsatz gerne weggelassen: „Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.“

Gemeint war: Die Welt hat sich grundlegend und auf Dauer verändert, nicht für zwölf oder 18 Monate. Wenn man sich aber die Wortmeldungen aus der Ampelregierung in der Jahrestag-Woche in Berlin anhört, könnte man zu dem Schluss kommen, dass sich einige Politiker schon wieder in der Nach-Zeitenwende wähnen.

Zum Beispiel Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck. Der grüne Vizekanzler hat sich im vergangenen Jahr vor allem damit befasst, Ersatz für russisches Erdgas und Erdöl zu beschaffen sowie die Kohleverstromung hochzufahren. Da überrascht es doch, dass jetzt ein Gesetzentwurf aus seinem Haus bekannt wird, dem zufolge der Einbau von neuen Gas- und Ölheizungen de facto bereits ab dem kommenden Jahr verboten werden soll. SPD-Bauministerin Klara Geywitz ist ebenfalls dafür. Obwohl sie weiß und in Talkshows erklärt, dass es nicht genügend Fachkräfte gibt, um die Alternativen wie Erdwärme-Anlagen in der erforderlichen Zahl einzubauen. Von den deutlich höheren Kosten einmal ganz abgesehen, bleibt auch ungewiss, ob die viel beschworenen erneuerbaren Energien schnell genug und in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.

Habeck und Geywitz können sich bei ihrem Gesetzentwurf auf den Koalitionsvertrag berufen, der allerdings aus der Zeit vor der Zeitenwende stammt, also aus einer anderen Welt. Man kann die Ampel und Habeck ganz persönlich nur warnen, sich jetzt ein derart komplexes Projekt wie die Umgestaltung der Gebäudeenergie aufzuhalsen. Zum einen ist die Frage der Energieversorgung dieses Landes für den kommenden Winter alles andere als gelöst. Und dann ist auch der Krieg Putins gegen die Ukraine längst nicht zu Ende –hält also möglicherweise noch erhebliche Herausforderungen für die Ampel bereit.

Einen argen Rückfall in die Zeiten, in denen die Grünen sich vor allem als Verbotspartei präsentierten, leistete sich ebenfalls diese Woche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Die unter Kindern verbreitete Übergewichtigkeit will er mit einem strikten Werbeverbot für zu süße, zu fettige und zu salzige Lebensmittel bekämpfen. Das Anliegen ist nicht verkehrt, doch die Methode ist abwegig. Die wohl am weitesten gehenden Werbeverbote gelten für Zigaretten und Tabak (im Radio und TV seit 1975, für Presse und Internet seit 2007). Gebracht hat das alles wenig bis nichts, sehr wohl aber die weitgehenden Rauchverbote in der Öffentlichkeit.

Und wer glaubt, dass Kinder auf die Werbung im engeren Umfeld von Schulen und Kitas angewiesen wären, um in Kontakt mit Ungesundem zu kommen, hat vom Alltag keine Ahnung. Mein Verdacht: Man verbietet die Werbung, wo man am liebsten das Produkt verbieten würde.

Ein Jahr nach dem Angriff Putins auf die Ukraine lohnt auch ein Blick auf den Kern der Zeitenwende, auf die Wiederertüchtigung der Bundeswehr nach vielen Jahren des Kaputtsparens vor allem unter Kanzlerin Angela Merkel, die bis heute glaubt, sie könne Gewaltnaturen wie Putin durch gutes Zureden auf den rechten Weg bringen. Das Sondervermögen über 100 Milliarden Euro wurde geschaffen – das ist aber fast schon die einzige gute Nachricht.

Bestellt ist bis auf einige Kampfjets bislang so gut wie nichts. Und wenn der Shootingstar der Ampel, Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), darum bittet, seinen Etat von 50 auf 60 Milliarden Euro zu erhöhen, weil er sonst nicht weiß, wie er die Anforderungen an die Truppe aus dem Krieg in der Ukraine bezahlen soll, schallt ihm ein lautes „Moment mal!“ entgegen. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang und ihre SPD-Kollegin Saskia Esken reklamierten eine Priorität für soziale Gerechtigkeit, konkret für die Kindergrundsicherung. Und Sozialminister Hubertus Heil warnt, man dürfe äußere Sicherheit und inneren sozialen Frieden nicht gegeneinander ausspielen. Ich frage mich, ob aktuell nicht doch eine höhere Bedrohung für unsere äußere Sicherheit besteht und weniger für den sozialen Frieden im Land.

Baerbock sagt zum 24. Februar 2022, man sei in einer anderen Welt aufgewacht, in der es um Wehrhaftigkeit gehe. Und Pistorius fasst in der Woche des Jahrestags der Zeitenwende-Rede den Zustand der Bundeswehr in der SPD-Bundestagsfraktion so zusammen: „Wir haben keine Streitkräfte, die verteidigungsfähig sind, also verteidigungsfähig gegenüber einem offensiven, brutal geführten Angriffskrieg.“ Das heißt doch: nicht verteidigungsfähig gegenüber Putin. In dieser Situation wird die Forderung nach einer Erhöhung des Wehretats um zehn Milliarden Euro ab 2024 zum Lackmustest der Zeitenwende des Kanzlers. Ich bin mir nicht sicher, ob seine Regierung ihn besteht.

Herzlich Ihr

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Robert Schneider,
Chefredakteur FOCUS-Magazin

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