Begleitet wurde Wirecard dabei schon seit 2008 von negativen Berichten, die mal an der Seriosität des Geschäftsmodells, mal an den vorgelegten Zahlenwerken Zweifel anmeldeten. Oder an beidem gleichzeitig. Zumeist gingen diese Anwürfe mit heftigen Kursverlusten und großen Diskussionen in der Presselandschaft einher und die Emotionen kochten hoch. Vor einigen Tagen hat die Geschichte nun einen traurigen Höhepunkt erreicht, nachdem Wirecard im Kern die Vorwürfe einräumen und in der Folge Insolvenz anmelden musste. Viele Anleger haben viel Geld verloren und nicht nur Privatleute, sondern auch Fondsprofis von der DWS oder Union Investment haben auf die Erklärungen aus dem Hause Wirecard und von Vorstands-Chef Braun vertraut. Die Fondsprofis verloren allerdings nicht ihr eigenes Geld, sondern das ihrer Anleger. Verdient wurde auch an der Wirecard-Pleite, denn Wirecard gehörte schon länger zu den deutschen Wertpapieren mit der höchsten Shortquote. Diese gibt an, wie viele Aktien leerverkauft wurden und die Leerverkäufer machen dann richtig Kasse, wenn der Aktienkurs ins Bodenlose abstürzt. Leerverkäufer setzen also auf Chaos, auf Panik, auf Zerstörung und damit positionieren sie sich grundsätzlich gegen die meisten Privatanleger, die traditionell „long“ sind, also Aktien kaufen in der Hoffnung auf steigende Kurse. Und weil Leerverkäufer daran verdienen, wenn Otto-Normalanleger mit ihrer Aktie Schiffbruch erleidet, haben sie einen denkbar schlechten Ruf. Der in manchen Fällen mehr als verdient ist, aber auch nicht immer. Denn Leerverkäufer können durchaus eine tragende Säule eines funktionierenden Kapitalmarkts darstellen. Leerverkäufer – das unverstandene Wesen Dieser scheinbare Widerspruch ist im Grunde gar keiner. Zunächst muss man verstehen, was ein Leerverkäufer so treibt und was ihn antreibt. In der Regel setzen Anleger auf steigende Kurse. Sie suchen sich eine viel versprechende Aktie, ackern die Geschäftsberichte und die Unternehmens-Meldungen durch oder greifen einfach den Tipp eines Börsendienstes auf. Gehen wir mal von einem Anleger aus, der sich gründlich informiert und recherchiert, bevor er eine Aktie kauft. Er folgt dem Prinzip von Peter Lynch, der rät, man müsse wissen, was man besitzt und warum man es besitzt. Also studiert unser Anleger das Marktumfeld und die Geschäftsberichte des Unternehmens und vergleicht es mit seinen Wettbewerbern. Am Ende seiner Analyse kommt er zu einem Wert, den eine Aktie des Unternehmens haben sollte und wenn der Aktienkurs deutlich darunter notiert, kauft er die Aktie. Billig kaufen, teuer verkaufen, ganz einfaches Prinzip. Ein Leerverkäufer macht genau dasselbe, nur mit einer anderen Zielsetzung. Er begibt sich nicht auf die Suche nach den aussichtsreichsten Unternehmen, sondern er hält nach Short-Kandidaten Ausschau. Aktien, deren Kurs in astronomische Höhen katapultiert wurde, oder Unternehmen, die erhebliche Risiken in ihren Bilanzen verbergen. Das können hohe Pensionslasten sein, eine unzureichende Risikovorsorge, enorme immaterielle Wertansätze (z.B. aufgrund von überteuerten Firmenübernahmen), oder exzessive Bilanztrickserien oder gar Betrug. Der Leerverkäufer ist also auf der Suche nach Ungereimtheiten und Problemen und dazu ackert er die Bilanzen durch, betrachtet das Marktumfeld und vergleicht das Unternehmen mit Wettbewerbern. Wird er fündig, dann möchte er sich für seine Arbeit belohnen. Sprich: Er will daran verdienen, wenn der Kurs entsprechend seiner Erwartung und Analyse einbricht. Dies könnte er über Optionsgeschäfte tun, oder aber er wird aktiv tätig, indem er die Aktien leerverkauft. Dazu leiht er sich die Aktien von einer Bank und verkauft sie an der Börse. Bricht der Kurs irgendwann ein, kann er die Aktien billiger zurückkaufen und an die Bank zurückgeben. Er verdient also an der Differenz zwischen An- und Verkaufskurs wie jeder „normale“ Aktienkäufer auch. Nur dass bei einem Leerverkäufer der Verkauf zeitlich vor dem Kauf liegt. Die Risiken des Leerverkäufers bestehen darin, dass er sich die Aktien nur für eine bestimmte Zeit ausleihen kann, bevor er sie zurückgeben muss. Und für die Leihe bezahlt er auch noch eine Gebühr. Hinzu kommt das Kursrisiko, denn wenn er die Aktien teurer zurückkaufen muss, als er sie zuvor verkauft hat, fällt auch noch ein Kursverlust an. Die Attacke Um diese Risiken zu verringern, wäre es natürlich äußerst hilfreich zu wissen, wann genau der Kurs einbricht. Anstatt die Aktien leerzuverkaufen und dann einfach darauf zu warten, dass der Kurs fällt, helfen Leerverkäufer daher gerne gezielt nach. Verständlich. Nachdem sie „short“ gegangen sind, veröffentlichen sie einen sog. Short-Report (bei Tradern gerne auch als „Hit-Piece“ bezeichnet), indem sie ihre ganzen negativen Aspekte an die Öffentlichkeit bringen. Und das möglichst in drastischen Worten und Schlussfolgerungen, dass die Aktie ja eigentlich eher gar nichts wert sei. Es liegt in der Natur der Sache (oder vielmehr der Menschen), dass ein solcher Short-Report umgehend zu einem enormen Kurseinbruch führt. Niemand kann die Vorwürfe in kurzer Zeit überprüfen, Privatanleger nicht, Profis ebenso wenig. Die Vorwürfe werden abgefeuert und Anleger wissen aus Erfahrung, dass der Kurs einbrechen wird – ob die Vorwürfe nun stimmen oder nicht. Daher verkaufen sie schnell ihre Aktien und das zu jedem Kurs. Hauptsache raus! Nur wer schnell verkauft, bekommt vielleicht noch einen halbwegs guten Kurs, alles anderen sind gekniffen. Dieses Überangebot an Aktien bei gleichzeitiger Verunsicherung der Nachfrageseite, die ja die Vorwürfe ebenfalls weder prüfen noch einordnen kann und daher lieber erstmal nicht kauft, hämmert den Kurs in die Tiefe. Der Kursverlust selbst wird zur Nachricht und irgendwann kursiert dann der Begriff „Short-Attacke“, so dass auch der letzte Anleger mit der Nase drauf gestoßen wird, dass diese Aktie stinkt. Der Kurs ist dann schon 40 oder 50 Prozent eingebrochen und trotzdem reagieren weiter Anleger in Panik und drücken auf den Verkaufsknopf. Und das, obwohl noch immer niemand sagen kann, ob überhaupt und ggf. wie viel an den Vorwürfen überhaupt dran ist. Auch das betroffene Unternehmen nicht, denn es wird ja mit Vorwürfen konfrontiert, denen erst einmal nachgegangen und die stichhaltig widerlegt werden müssen. Das erfordert Zeit und Sorgfalt, während gleichzeitig die Anleger Sturm laufen und Erklärungen verlangen. Short-Attacken führen künstlich eine Panik-Situation herbei, in der Anleger Aktien ohne nachzudenken auf den Markt werfen und damit den Kurs einbrechen lassen, wodurch der Leerverkäufer seinerseits die zuvor von ihm verkauften Aktien viel billiger zurückkaufen kann. Leicht verdientes Geld! Die dunkle Seite Und genau deshalb führt diese Methode auch Betrüger in Versuchung. Sie stellen im geheimen einen Short-Bericht zusammen und attackieren das Unternehmen mit haltlosen und zusammen gesponnenen Vorwürfen, ausschließlich um mit der Panik der Anleger viel Geld zu verdienen. Da die erhobenen Vorwürfe zumeist nach einigen Tagen vollständig oder weitgehend vom betroffenen Unternehmen entkräftet werden können und sich als unhaltbar herausstellen, werden diese Art Short-Attacken zumeist anonym gestartet. Das vermeintliche Research-Haus ist völlig unbekannt und versteckt sich hinter einer Website, die kein Impressum hat und keine Verantwortlichen benennt. Jedes Unternehmen kann einer solche Attacke zum Opfer fallen und die Aufsichtsbehörden erweisen sich regelmäßig als wenig bisssicher, wenn sie die Täter zur Verantwortung ziehen wollen. Die Kehrseite Doch es gibt nicht nur Betrüger, sondern eben auch seriöse Shortseller, die sich an wirklichen Problemen in den Bilanzen und/oder dem Unternehmen abarbeiten. Und sie leisten dem Kapitalmarkt damit einen großen Dienst, weil sie betrügerisches Verhalten aufdecken, mit dem das Unternehmen seine Anleger über den Tisch zieht. Und da geht es nicht um kleine Klitschen, sondern durchaus auch um Welt-Konzerne. Um Namen wie Worldcom, die damals drittgrößte Telekomgesellschaft der Welt, oder Enron, einer der größten Energie-Konzerne der USA, oder Valeant Pharmaceuticals. Und nun auch Wirecard. Valeant Pharmaceuticals Der Absturz von Valeant ist auf eine Short-Attacke von Citron Research zurückzuführen, die von einem vernichtenden Bericht über Valeants unethische Geschäftspraktiken sowie eine ganze Reihe an Betrugs-Vorwürfen und Bilanz-Manipulationen flankiert wurde. Wesentlicher Treiber von Valeant waren teure Übernahmen von Pharma-Firmen oder -Produkten, deren Preise anschließend vervielfacht wurden. Oft in Nischen-Segmenten, wo es keine Konkurrenz-Produkte gab, so dass die Patienten sich nicht gegen die Erhöhungen wehren konnten. Star-Investor Bill Ackmann hielt ein riesiges Aktien-Paket und lobte Valeant als die neue Berkshire Hathaway über den grünen Klee. Doch der Aktienkurs von Highflyer Valeant brach in sich zusammen und verlor in der Spitze über 90 Prozent – und Citron Research und andere Shortseller verdienten sich dabei eine goldene Nase. Valeant musste Bilanz-Manipulationen und betrügerisches Handeln samt Bestechungen einräumen und es kam sogar zu Untersuchungen durch den US-Kongress. Am Ende musste Valeant Preiserhöhungen zurücknehmen und Milliarden auf seine überteuerten Zukäufe abschreiben, was die Gewinne und das Eigenkapital pulverisierte. Was übrig blieb, waren die zweistelligen Milliardenschulden und große Zweifel, ob Valeant diese jemals würde zurückzahlen können. Und natürlich jede Menge geprellter Anleger, zu denen auch Bill Ackman und seine Investoren zählten. An dieser Stelle muss betont werden, dass Citron nicht den Skandal verursacht, sondern den Betrug und die Bilanz-Manipulationen lediglich aufgedeckt hat. Dass Citron hieran eine Menge Geld verdient hat, ist nur legitim. Sie machten die Arbeit, die die Aufsichts-Behörden nicht getan hatten, sie setzten ihr eigenes Geld ein, nahmen mehrere Jahre der öffentlichen Verunglimpfungen durch Valeant und deren bezahlte Lobbyisten in Kauf – und hatten die ganze Zeit Recht. Allerdings hat der Ruf von Andrew Left, der hinter Citron Research steht, in letzter Zeit auch gelitten. In der gerade abgelaufenen Woche brachte er mit einem Short-Report die Aktie von Cytodyn (US-Kürzel: CYDY) zum Einsturz. Kurz danach wurde der Artikel wieder von der Homepage genommen, weil er offensichtlich fehlerhaft war. Als weiterer seriöser Shortseller kann Carson Block von Muddy Waters gelten. Auch er geht mit offenem Visier gegen Unternehmen vor, wenn er Bilanz-Manipulationen wittert. Und er hatte nicht selten Recht. Im Fall Wirecard stieg er spät in den Ring, aber als er im September 2019 öffentlich gegen Wirecard schoss, spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten bei allen Wirecard-Anlegern die Alarm-Sirenen losheulen müssen. Nicht etwa, weil Block immer Recht hätte oder sich niemals irren würde. Nein, sondern weil er einer derjenigen ist, die sich nicht auf eine Short-Attacke einlassen, ohne vorher akribisch das Unternehmen und die Bilanzen durchleuchtet zu haben. Mein Fazit Short-Attacken tun Anlegern weh. Finanziell durch den Kurs-Absturz und emotional, wenn sich herausstellt, dass jemand anders bei der Analyse so viel besser war als man selbst, weil man die offenen Flanken und Probleme nicht erkannt oder einfach ignoriert hat. Aus Short-Attacken lassen sich allerdings einige positive Lehren ziehen. Stammen sie von unseriösen Angreifern, die erkennbar nur auf den schnellen Profit aus sind und unerkannt agieren, dann kann der Kurseinbruch eine attraktive Einstiegs-Chance darstellen. Ist man Aktionär eines Unternehmens, bei dem eine Short-Attacke zu Recht erfolgte, ist man natürlich erstmal gekniffen. Man hat bei der Auswahl des Unternehmens, seiner Aktie, keinen guten Job gemacht und dafür bezahlt man nun. Das passiert fast jedem mal, manchen auch mehrfach. Als Erkenntnis hieraus kann man für sich ziehen, dass man keine Aktie kaufen sollte, bei der man noch erhebliche Zweifel hat. Charlie Munger rät, sich nicht auf das zu konzentrieren, was klappen könnte, sondern auf das, was schiefgehen kann. Und mit diesen Aspekten sollte man sich gründlich befassen und die Aktie erst und nur dann kaufen, wenn man sich der möglichen Risiken wirklich bewusst ist. Denn Risiken bestehen immer; entscheidend ist, sie zu erkennen und richtig zu bewerten. Ein weiser Rat von Munger, denn die meisten Anleger schauen alleine auf die Chancen und blenden mögliche Risiken einfach aus. Diese Anleger sind genau jene, die dann auch bei Short-Attacken hilflos agieren, weil sie sich in der Situation nicht zurechtfinden und die erhobenen Vorwürfe weder einordnen noch bewerten können. Wer nichts weiß, muss alles glauben. Und zahlt am Ende fast sicher drauf. Short-Seller sind also nicht per se „die Bösen“, nur weil sie auf fallende Kurse setzen. Und nur weil sie an fallenden Kursen Geld verdienen, sind ihre Vorwürfe nicht zwangsläufig falsch. Wie die Fälle Wirecard oder Valeant zeigen. Wirecard hat wohl keine Zukunft mehr, wichtige Vertragspartner springen ab und die werthaltigen Teilbereiche werden verkauft. Zurück bleibt ein nicht lebensfähiger Rumpf; für die Aktionäre dürfte da kaum etwas übrig bleiben. Bei Valeant lief es anders. Das Unternehmen musste ebenfalls Töchter notverkaufen, konnte den Total-Absturz allerdings verhindern. Unter dem Namen Bausch Health, der auf die wichtigste verbliebene Tochter-Firma Bausch & Lomb zurückgeht, wagte man unter einem neuen CEO den Neustart. Zwar drücken noch immer enorme Schulden, aber das operative Geschäft verdient wieder genug, um die Zinsen und die Rückzahlung zu stemmen. Der nun seit knapp fünf Jahren amtierende CEO Joe Papa hat einen exzellenten Ruf in der Branche und verspricht nichts, was er nicht auch halten kann. Das hat sogar Citron Research eingeräumt, als sie Joe Papa und Bausch Health für ihr neues Business lobten. Aus dem einstigen Shortseller, der Valeant mit seiner Attacke in die Knie zwang, wurde ein Long-Investor bei Bausch Health. Auch solche Geschichten schreibt die Börse... Die heutige Ausgabe entstand wieder in Zusammenarbeit mit Michael C. Kissig, Value Investor und Betreiber des Blogs iNTELLiGENT iNVESTiEREN. Autorenprofil Michael C. Kissig studierte nach Abschluss seiner Bankausbildung Volks- und Rechtswissenschaften und ist heute als Unternehmensberater und Investor tätig. Neben seinem Value-Investing-Blog „iNTELLiGENT iNVESTiEREN“ verfasst er regelmäßig eine Kolumne für das „Aktien Magazin“. | |
Hinweispflicht nach §34b WpHG: Der/die Verfasser ist/sind in ein oder mehreren der oben genannten Wertpapieren/Basiswerten zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels investiert: Bausch Health. Es können daher Interessenskonflikte vorliegen. Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.
Meine neuesten Videos
Viel Erfolg bei Deinen Finanzentscheidungen & ein schönes Wochenende wünscht Dir Dein Armin Brack Chefredakteur Geldanlage-Report >> Die nächste Ausgabe erscheint am 11. Juli Wir freuen uns über Lob, Kritik und Anregungen. Gerne kannst Du uns auch Themenvorschläge unterbreiten. Fragen und Anregungen bitte per Mail an redaktion@geldanlage-report.de Tradesignal® ist eine eingetragene Marke der Tradesignal GmbH. Nicht autorisierte Nutzung oder Missbrauch ist ausdrücklich verboten! Hier kommst Du zu Tradesignal Online. Geldanlage-Report weiterempfehlen! Wir würden uns freuen, wenn Du den Geldanlage-Report Deinen Freunden und Kollegen weiterleiten würdest! Kostenlose Anmeldung unter www.geldanlage-report.de |