| Warum wählen Frauen rechte Parteien? |
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Als die amerikanische Feministin Andrea Dworkin im April 2005 starb, war sie so gut wie überall unbeliebt: bei den Konservativen, die mit einer dicken, jüdischen Lesbe denkbar wenig anfangen konnten. Aber auch in der Frauenbewegung und bei den Linken. Hatte sie doch zu zwei Themen, über die sich Feministinnen seit jeher streiten – Pornographie und Prostitution – eine klare Meinung: Sie war dagegen. Um beides zu bekämpfen, scheute sie sich nicht, sogar mit der Rechten zusammenzuarbeiten, die sie an anderer Stelle so scharf kritisierte. | Anna Vollmer | Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin. | |
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| In Bezug auf den Feminismus war Dworkin kompromisslos: Sie glaubte nicht an eine Veränderung unseres bestehenden Systems, sie wollte die Revolution, den kompletten Umsturz. Den Umsturz einer Gesellschaft, die Frauen inzwischen zwar deutlich mehr Rechte zuschreibt, aber trotzdem von der Idee geprägt ist, dass Männer und Frauen sich unterscheiden. Wer daran festhalte, sagte Dworkin, wer Frauen in irgendeiner Weise als anders, sei es im Guten – als einfühlsam und moralisch, als bessere Eltern – oder im Schlechten – als inkompetent, hysterisch, was auch immer – ansehe, der mache aus ihnen einen Sonderfall. Und meine eigentlich – und hier kommt eine ihrer typischen steilen Thesen: Sie sei kein Mann und somit kein Mensch. Über sich selbst sagte die Schriftstellerin, die 1946 in den Vereinigten Staaten geboren wurde und einen Großteil ihres Lebens dem politischen Kampf widmete, sie sei eine Radikalfeministin – „not the fun kind“. Vielleicht ist es bezeichnend, dass Dworkin nun, da uns allen der Spaß ein bisschen abhandengekommen ist, wieder in Mode ist. Es begann vor einigen Jahren, während der ersten Amtszeit Donald Trumps. Und was seitdem passiert ist – die Einschränkung des Rechts auf Abtreibung, eine wachsende Attraktivität von Männern mit Überlegenheitsgestus, um nur zwei Beispiele zu nennen –, schien viele von Dworkins Beobachtungen zu bestätigen. Nun gibt der britische Penguin-Verlag drei ihrer Werke aus den Siebziger- und Achtzigerjahren neu heraus, wohl nicht nur, weil sich Dworkins Todestag zum zwanzigsten Mal jährt, sondern auch, weil sie teilweise so aktuell sind, wie man sich das vor einiger Zeit nicht hätte vorstellen können. Eines davon, erschienen 1983, trägt den Titel „Right-Wing Women“, „Rechte Frauen“, und geht der Frage nach, warum manche Frauen eine politische Einstellung haben, die ihnen schadet. Auf die heutige Zeit bezogen: Warum wählen Frauen rechte Parteien, wählen Frauen Donald Trump?
Eine neue amerikanische Familienpolitik | Inmitten des gesellschaftlichen Umbaus, den die Trump-Regierung in den letzten Monaten vorangetrieben hat, ist die Familienpolitik nicht unbedingt das, was die größte Aufmerksamkeit bekommt. Dabei ist sie das allererste von vier Zielen im sogenannten „Project 2025“, einem über 900-seitigen Strategiepapier der Heritage Foundation für eine Neuorientierung der Vereinigten Staaten, es lautet: „Die Familie wieder zum Zentrum der amerikanischen Gesellschaft zu machen und unsere Kinder zu schützen“. Was das bedeutet, wird im „Project 2025“ genau dargelegt: Frauen sollen trotz schwieriger Lebenssituationen nicht abtreiben, das macht sie zu Heldinnen. Die Mutter-Kind-Beziehung soll gestärkt werden, denn die Rollen der Eltern sind klar verteilt: Die Mutter ist für „Liebe und Fürsorge“ da, der Vater für „Spiel und Schutz“. Kinderbetreuung soll zu Hause stattfinden. Das gute Leben gibt es nur in der Familie, und Familie, das bedeutet für die Verfasser: „Ehe, Kinder, Thanksgiving Dinners“. In den letzten Wochen hat die amerikanische Regierung begonnen, diese Ziele umzusetzen. Obwohl Eltern in den Vereinigten Staaten mehr Kinder bekommen sollen, werden Gelder für deren Betreuung gekürzt. Stattdessen soll „ein Elternteil“ (wer das wohl sein wird?) zu Hause bleiben. Im „Project 2025“ ist oft von „family-supporting jobs“, also Arbeitsplätzen, die Rede, von denen eine ganze Familie leben kann. Diese sollen „zum Zentrum der amerikanischen Wirtschaft“ werden. Abgesehen von der Realisierbarkeit: Was bedeutet das für Frauen? Und warum sollten die das gut finden?
Warum handeln Frauen gegen ihre Interessen? | Dworkins Antwort ist einfach: aus Selbstschutz. Wer sich männlichen Vorstellungen fügt, hat weniger Stress, glaubt weniger geschlagen, vergewaltigt, erniedrigt zu werden und hat – im politischen Bereich – größere Aufstiegschancen. Das sei zwar ein Trugschluss, schließlich passiere einem das alles auch zu Hause, und die Entscheidungen träfen am Ende dann doch immer die Männer. Trotzdem attestiert sie rechten Frauen ein oft realistischeres Weltbild als linken: Sie hätten ihre Situation erkannt und beschlossen, dementsprechend zu handeln. Dworkin ist keine Schriftstellerin der subtilen Zwischentöne. Ihre Aussagen sind oft pauschal, ihre Beispiele drastisch, sie schmettert sie ihren Leserinnen in stilistisch ausgefeilten Aufzählungen um die Ohren, die nicht nur inhaltlich überzeugen, sondern sich durch Sprache und Stil in die Köpfe einbrennen sollen. Ihr Weltbild ist deprimierend pessimistisch, und einige ihrer Äußerungen sind so extrem (Pornographie, sagte sie einmal, habe Dachau ins Schlafzimmer gebracht), dass auch Feministinnen sich verständlicherweise nicht mit ihnen gemein machen wollten.
| Die amerikanische Feministin Andrea Dworkin ddp |
| Trotzdem sollte man sie lesen. Viele von Dworkins Beobachtungen sind hellsichtig und genau, auch wenn das für die Schlüsse, die sie daraus zieht, manchmal nicht gilt. In einem besonders interessanten und überraschenderweise sehr unterhaltsamen Kapitel in „Right-Wing Women“ versucht Dworkin, die Motive verschiedener Protagonistinnen des rechten oder religiösen Spektrums zu erklären. Da gibt es Ruth Carter Stapleton, die Schwester des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, die schon nach der Geburt ihres ersten Kindes verzweifelt, dann noch drei weitere Kinder bekommt, sich aus einem fahrenden Auto wirft und anschließend zu Jesus findet. Oder Marabel Morgan, Autorin des Bestsellers „Die totale Frau“, die ihre Ehekrise löst, indem sie sich ihrem Ehemann vollständig unterwirft: „Die totale Frau nimmt sich jeder Macke ihres Mannes an, sei es bei Salaten, beim Sex oder beim Sport.“ Am interessantesten ist das Beispiel von Anita Bryant, die als Sängerin begann und danach zu einer Aktivistin gegen Rechte von Homosexuellen wurde. Wie, fragt Dworkin, hätte sich deren Wunsch, weiterhin eine öffentliche Figur, ein Star zu sein, mit der Rolle als guter Mutter und Ehefrau vereinbaren lassen können? Mit einer Karriere als Sängerin wohl kaum, so wurde sie eben eine religiöse Aktivistin. „Bryant“, schreibt Dworkin, „versucht, wie wir alle, eine ‚gute‘ Frau zu sein. (...) Bryant hat, wie wir alle, eine verdammt harte Zeit.“ Eine erstaunliche Äußerung für eine lesbische Frau über eine Person, die ihre Rechte beschneiden will.
Gibt es für Frauen freie Entscheidungen? | Obwohl Dworkin die betreffenden Frauen ausführlich zitiert, hat sie für die Motive ihrer Entscheidungen natürlich keine Belege, sie muss interpretieren. Doch ihre Analysen passen zu Frauen, die es im rechten Amerika weiterhin gibt. Eine der bekanntesten Abtreibungsgegnerinnen der USA, Kristan Hawkins, arbeitet Tag und Nacht, während ihr Ehemann das Homeschooling der Kinder übernimmt. Karoline Leavitt, Sprecherin des Weißen Hauses, war vier Tage nach der Geburt ihres Sohnes wieder bei der Arbeit. Auch diese Frauen wollen offenbar Kinder und Karriere. Glauben sie, wenn auch nicht immer bewusst, das mit einer offen rechtskonservativen Einstellung besser umsetzen zu können? Weil, wer den Männern zuarbeitet, weniger kritisiert wird? Teile der modernen Frauenbewegung verstehen unter Feminismus Wahlfreiheit: Wenn sich eine Frau frei zu etwas entscheidet, zu Schönheits-OPs, dem Dasein als Hausfrau oder zur Sexarbeit, ist das ihre Wahl und deshalb als solche legitim. Andrea Dworkin sieht das anders. Sie glaubt, dass diese Entscheidungen nicht frei sind, weil eine Frau, die attraktiv oder sexuell verfügbar ist, mehr Chancen hat als eine, die es nicht ist. Dworkin verurteilt dabei einzelne Frauen nicht, sie glaubt nicht an die Schuld des Individuums. Aber sie denkt auch nicht, dass Frauen in einer Gesellschaft, in der Äußerlichkeiten bei der Karriere helfen, frei sind. Wer es den Männern auf die eine oder andere Weise recht macht, auf eigenes Einkommen verzichtet oder mit seinem Körper oder seiner Schönheit Geld macht, bleibt weiterhin abhängig vom Geld oder Urteil eines Mannes. Dass Dworkin sich mit dieser Ansicht nicht nur Freunde machte, wundert nicht. Denn in gewisser Weise spricht sie Frauen ihre Autonomie ab, macht sie zu bloßen Opfern. Vielleicht nicht alle, aber viele Frauen sind sich bewusst, dass sie sich in – möglicherweise temporäre – Abhängigkeiten begeben, und entscheiden sich dennoch dafür. Auch zu Dworkins Zeiten gab es alternative Lebensentwürfe, sie selbst hatte einen gewählt. Andererseits: Wenn es nicht nur, aber vor allem Frauen sind, die für die Familie ihren Beruf aufgeben, sich Schönheits-OPs unterziehen oder sich prostituieren, dann hat die Gesellschaft damit wahrscheinlich doch irgendwas zu tun. Die Schriftstellerin und Journalistin Ariel Levy schrieb in einem Vorwort zu Andrea Dworkins Buch „Intercourse“: „zu akzeptieren, was sie sagt, bedeutet, alles zu hinterfragen: die Art, sich zu kleiden, zu schreiben, die eigenen Lieblingsfilme, den eigenen Humor, und ja, auch die Art, wie man fickt.“ Das macht, verständlicherweise, niemand sonderlich gern. Und vielleicht erklärt sich ein Teil des Hasses, der sich über Dworkin ihr ganzes Leben lang ergoss, auch damit: dass sie ihre Leserinnen und Zuhörer herausforderte, sich nicht mit der bequemen Lösung zufrieden zu geben. Weil diese Lösung, so glaubte Dworkin, unfrei macht. In einem Interview ein Jahr vor ihrem Tod sagte die Aktivistin, sie könne sich nicht vorstellen, beinahe sechs Jahrzehnte ihres Lebens verbracht zu haben, ohne etwas getan zu haben, über das sie sagen könne: „Ich habe alles aufs Spiel gesetzt. (...) Ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt.“ Nicht jeder kann, nicht jeder muss so radikal sein. Aber angesichts dessen, was passiert, wünschte man sich, Dworkin wäre noch da, würde alles hinterfragen, alles ordentlich durchschütteln.
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