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Rheinische Post

Tägliche Post aus der Chefredaktion

Stimme
des Westens

Moritz Döbler

03. Dezember 2020

Liebe Frau Do,

bei den aktuellen Infektionszahlen war es zu erwarten: Der Teil-Lockdown wird bis ins Jahr 2021 fortgesetzt. Kanzlerin Angela Merkel sagte gestern Abend nach Beratungen mit den Ministerpräsidenten, die vor einer Woche getroffenen Beschlüsse würden bis zum 10. Januar verlängert. Man sei noch lange nicht über den Berg, lautete das Fazit von Bund und Ländern. Über alle aktuellen Entwicklungen halten wir Sie wie gewohnt in unserem Liveblog auf dem Laufenden.

Die „Stimme des Westens“ erreichen gelegentlich Mails aus weiter Ferne. Eine Düsseldorferin, die vor mehr als 20 Jahren in die USA ausgewandert ist und an der Westküste lebt, schreibt mir, wir sollten uns um wichtigere Themen kümmern als um „Laschets Söhnchen“. Aber was ist wichtig? Für den einen ist es Borussia Dortmund: Die Schwarz-Gelben kamen am Mittwochabend nicht über ein 1:1 gegen Lazio Rom hinaus, zogen aber dennoch vorzeitig ins Achtelfinale der Champions League ein. Für jemand anders ist es vielleicht Bier: Horst Thoren und Georg Winters haben Traditionsbrauer interviewt, die ein düsteres Bild ihrer Branche zeichnen. Und die meisten Menschen nehmen sehr wichtig, dass ihre Geschenke pünktlich vor Heiligabend zugestellt werden. Wie das gelingt, hat Jana Marquardt recherchiert.

Das meine ich nur halb ernst. Fußball ist bekanntermaßen die schönste Nebensache der Welt, und natürlich gibt es Wichtigeres als Bier und Weihnachtsgeschenke. Aber selbst wenn ich nur auf die Politik sehe, finde ich „Laschets Söhnchen“ ein wichtiges Thema. Dass Johannes „Joe“ Laschet einen Kontakt zwischen seinem Vater, dem Ministerpräsidenten, und dem Modehaus van Laack hergestellt hat, der zu einem Millionenauftrag führte, ist ein politisch relevanter Vorgang. Ich habe Sie gestern auf einen Leitartikel von Florian Rinke verwiesen, der die Skandalisierung für Unsinn hält, und diese Meinung teile ich. Laschet junior hat klargestellt, er habe „keinen Cent, keinen Vorteil und keine Provision  erhalten“. Dennoch: Wie ein Ministerpräsident politisch agiert, der möglicherweise in einem Jahr Bundeskanzler ist, finde ich sehr spannend. Nach meinem Eindruck hat er hier Macherqualitäten gezeigt, indem er das drängende Problem des Maskennotstands gelöst hat. Und deswegen hat die „Söhnchen“-Recherche, die der Leserin nicht gefiel, durchaus Relevanz, denke ich. Die Corona-Themen, die sie angeregt hat, schauen wir uns natürlich auch an.

Wichtig ist auf jeden Fall, wann es mit den Corona-Impfungen losgeht. Der Chef der Impfkommission mahnt zu Geduld: Antje Höning hat Thomas Mertens interviewt. In dem Gespräch rechnet er vor, warum es nicht zu schaffen ist, die gesamte Bevölkerung im Laufe des kommenden Jahres zu impfen. In Großbritannien soll es in wenigen Tagen losgehen, denn dort ist der Impfstoff von Biontech aus Mainz und Pfizer seit gestern zugelassen. Klar ist: Corona-Impfstoffe gehören zu den weltweit begehrtesten Gütern und müssen daher gegen Diebstahl geschützt werden. Bei der Bundespolizei herrscht Personalmangel, aber die Bundeswehr und private Firmen sollen bei Lagerung und Sicherung der kostbaren Medizin helfen, wie Maximilian Plück recherchiert hat. In der Corona-Krise ist die Wissenschaft für den Alltag erkennbar wichtiger geworden, und das verändert die Gesellschaft: Martin Kessler schreibt in seiner Analyse über die „Hinwendung zum vermeintlich festen Fundament der Wissenschaft“.

Wie wichtig sind die vier Minuten, in denen ein Amokfahrer in Trier fünf Menschen, darunter ein neun Wochen altes Baby, getötet und 18 weitere verletzt hat? Wären sie wichtiger, wenn es eine politische Tat gewesen wäre? Es sind zynisch anmutende Abwägungen, die wir in der Redaktion immer wieder treffen müssen. Der Fahrer, ein Deutscher, soll betrunken gewesen sein, sein Motiv ist unklar. Wir haben uns dafür entschieden, die Tat wichtig zu nehmen: Verona Kerl schildert den Tag der Trauer in Trier.

Wichtig ist auch, wie die katholische Kirche mit den Missbrauchsfällen in ihren Reihen umgeht. Eine Studie im Auftrag des Bistums Münster, zeigt jetzt, wie systematisch die Vertuschung erfolgte. Lothar Schröder beschreibt die Ergebnisse der Historiker. Es wird sicher nicht die letzte Auseinandersetzung mit diesen schändlichen Taten sein.

Jetzt habe ich einige Themen mit Ihnen geteilt. Manche werden Sie wichtig finden, andere weniger. Das Wichtigste ist jetzt ohnehin, dass Sie gut in den Tag starten. Und am besten nehmen wir uns selbst nicht zu wichtig.

Herzlich

Ihr

Moritz Döbler

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