Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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3. November 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
Der November gilt als Trauermonat. In diesen grauen Wochen liegen die offiziellen Tage für Trauer und Tod: am Monatsanfang „Allerheiligen“ und „Allerseelen“, die katholischen Gedenktage; am Monatsende der „Totensonntag“ der Protestanten. Dazwischen liegt der Volkstrauertag als staatlicher nationaler Gedenktag. Dieser Volkstrauertag wird seit 1952 zwei Sonntage vor dem ersten Advent begangen, das ist diesmal der 17. November. Womöglich kommt in diesem Jahr noch ein zweiter, ein internationaler Volkstrauertag hinzu: Am kommenden Dienstag, am 6. November, wird in den USA gewählt. Sollte Donald Trump wiedergewählt werden, ist das Anlass für internationale Trauer und für globales Entsetzen.  Trauer und Entsetzen gelten der Tatsache, die vor Trump kaum jemand für möglich hielt: dass man mit haarsträubenden Lügen nicht nur einmal, sondern gar zweimal Präsident werden kann. 

Ein großer internationaler Trauertag

 Die Lüge war und ist für Trump das Mittel für den Machterwerb. Schwindel, Betrug, Fälschung, Unverschämtheiten: Das alles hat es seit jeher in der großen und kleinen Politik immer wieder gegeben – aber selten so dreist, so unverfroren, so alltäglich und drecksfrech wie bei Trump.  Zwar hat schon Niccolò Machiavelli vor fünfhundert Jahren das Lob der Lüge gesungen. Er war der politische Philosoph, der lehrte, dass zur Erlangung oder Erhaltung politischer Macht jedes Mittel erlaubt sei, unabhängig von Recht und Moral: Wer ein großer Mann werden wolle, der müsse ein „gran simulatore e dissimulatore“ werden, ein großer Lügner und Heuchler.

Man hatte bisher gedacht, das sei in Demokratien anders, man hatte gedacht, dass in Demokratien die Lüge den Lügner immer schneller einholt. Trump widerlegt diese These. Dem Mann gebührt nicht die Wiederwahl, sondern die Verdammung seines Angedenkens. Aber einen gewissen Dank hat sich der Trampler Trump verdient: Er hat den bequemen Glauben daran zerstört, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Kernstaaten der sogenannten freien Welt sich, und sei es auch langsam, quasi weiterentwickeln. Wir lernen mit Trump: Das Sichergeglaubte ist nicht sicher, weil Aufklärung nicht ein einmaliges und dann bleibendes Ereignis darstellt. Aufklärung ist immer notwendig. Wie notwendig sie ist, zeigt die Faszination, die ein Diplom-Lügner wie Trump auf eine Vielzahl von Wählerinnen und Wählern ausübt. Vor 240 Jahren, im September 1784, hat Immanuel Kant einen seiner berühmtesten Sätze zu Papier gebracht: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit".  Der Hype um Trump zeigt, wie wichtig dieser Ausgang noch und gerade im Herbst 2024 ist.

Und ein kleiner nationaler Freudentag

Vielleicht, hoffentlich gibt es im grauen November aber auch noch einen nationalen Tag, der kein Trauertag ist, sondern ein Tag des Ausgangs aus der Unmündigkeit, ein Tag der Erleichterung und Befreiung: Es wäre dies der Tag, an dem Bundeskanzler Olaf Scholz die Entlassung des Finanzministers Christian Lindner verkündet. Es wäre dies der probate Notausgang aus der deutschen Regierungsmalaise, aus der Unmündigkeit der Regierung Scholz. Dazu schreibe ich heute in meinem SZ-Plus-Text.

Lindner ist 2024 vertragsbrüchig geworden. Und er hat sich als unfähig erwiesen, das Land in schwierigen Zeiten zu stabilisieren. Das erinnert an den November 2017, als Lindner, auch damals schon FDP-Chef, die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP platzen ließ.
SZPlus "Prantls Blick"
Warum Scholz seinen Minister Lindner entlassen muss
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Ich wünsche uns Zeiten der Aufklärung
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Ein Aufklärungsbuch, ein Buch für den kommenden Dienstag und Mittwoch
Ich bin erst auf Seite 120, das ist ein gutes Drittel des Buches, zählt man die Seiten mit den Fußnoten nicht mit. Trotzdem nehme ich mir heraus, es Ihnen schon zu empfehlen, aus aktuellem Anlass: Timothy Snyder, „Über Freiheit.“ Snyder, Professor für Geschichte an der Yale University, hat 2014 vorausgesagt, dass Russland in die Ukraine einmarschieren würde. 2020 hat er prognostiziert, dass Trump einen Staatsstreich versuchen würde. „Ich habe einfach nur genau zugehört, was er sagte“, erklärt Snyder seine scheinbar prophetische Gabe lakonisch. Seine Hellhörigkeit und -sichtigkeit hat aber nicht allein mit seinem scharfen Gehör zu tun, sondern auch damit, wie er Freiheit versteht und praktiziert.

„Den Amerikanern wird beigebracht, dass uns die Freiheit durch unsere Gründerväter, unseren Nationalcharakter oder unsere kapitalistische Wirtschaft gegeben ist. Nichts davon stimmt. Freiheit kann nicht gegeben werden. Sie ist kein Erbe. (...) In dem Moment, in dem wir glauben, dass Freiheit gegeben ist, ist sie weg.“ Dieses Credo über die Freiheit dekliniert Snyder dann durch, philosophisch, biografisch, sozio-politisch, bisweilen auch aktivistisch und durchgängig sehr persönlich. Er betrachtet es als ein fatales Missverständnis zu glauben, Freiheit sei vor allem die Abwesenheit oder Beseitigung von etwas, von Zwang, von Hindernissen, von Verboten, gar die Abwesenheit von Regierung und Staat. 

 Freiheit ist etwas Positives. Sie ist nicht angeboren, sondern wird erlernt in einem Generationenprojekt. Sie ist unberechenbar und sie ist leiblich, weil sie im Einsatz des eigenen Körpers real wird. Ein Beispiel dafür ist in Snyders Augen die Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Selenskij, das Land nicht zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Es kann die höchste Form von Freiheit sein, an einem entscheidenden Punkt nicht anders zu können als so und so zu handeln, weil man wahrhaftig bleiben will. 

Es ist dieses Buch eine entschiedene Abfuhr an den Zynismus, der Tyrannei und Unrecht als normal hinnimmt. „Wenn wir akzeptieren, dass ‚alles Scheiße‘ ist, wenn nichts besser ist als irgendetwas anderes, gibt es keine Grundlage für souveräne Entscheidungen und wir bekommen keine Übung im Aufbau eines Selbst, keinen Zugang zu einer spontanen Welt, in der das, was gut ist, einer anderen Logik folgt als das, was da ist. Wir werden vor uns hingrummeln und unseren Platz im System akzeptieren.“

Das werden wir nicht, nachdem wir das Buch gelesen haben, darum sollten wir es kommenden Dienstag und Mittwoch in Reichweite liegen haben.

Timothy Snyder: Über Freiheit. Das Buch ist kürzlich im Beck-Verlag erschienen. Es  hat 420 Seiten und kostet 29,90 Euro.
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Inklusion – Alpha und Omega  
Im SZ-Wirtschaftsteil vom Samstag findet sich ein Stück von vier Autoren, die über soziale Werkstätten schreiben mit der Überschrift, „das umstrittene Geschäft mit Behinderten“ Am Schluss des  kritischen Textes heißt es dann versöhnlich:  „Werkstätten sind zugleich Sozialbetriebe und ein Schutzraum für Menschen, die vielleicht noch nicht bereit sind für ein reguläres Arbeitsverhältnis oder es nie sein werden. Und dieses Spannungsverhältnis zwischen einem sozialen und einem wirtschaftlichen Anspruch sorgt dafür, dass es im System knarzt“. Der Text verdient eine Ergänzung: Jeder soll arbeiten können nach seinen Fähigkeiten und seinen Möglichkeiten. Das gehört zum Wesen des Menschen. Arbeit strukturiert den Alltag und das Leben, Arbeit ist Teilhabe an der Welt. Menschen mit Behinderung brauchen das in besonderer Weise. Für psychisch Kranke, mit Menschen mit geistiger Behinderung, die auf dem ersten Arbeitsmarkt völlig untergehen würden, ist das ganz besonders wichtig; sie brauchen den geschützten und betreuten Raum der Sozialwerkstätten ganz dringend. Für sie ist die Diskussion über den Mindestlohn heikel, weil sie die Werkstätten in ihrer Existenz bedroht. Werkstätten sind eine Reha-Maßnahme. Die Menschen dort werden rund um die Uhr betreut. Es gibt dort Therapieangebote, Rentenanspruch und Kündigungsschutz. Es geht, darum geht es ja auch den Autoren des SZ-Textes, um eine respektvolle Kultur des Helfens.
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