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Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 12.11.2024 | bewölkt bei 3 bis 5°C. | ||
+ Schöner grauer November + Schriftsteller Marko Martin kritisiert „Hofstaat“ bei Bundespräsident Steinmeier + Ex-Finanzsenator Kurth finanzierte Immobilie für rechtsextreme Terrorgruppe + Mieter werden bei Heizkosten abgezockt + Bringdienst liefert Sexspielzeug + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, frostige Zeiten sind das – aber frustig wollen wir sie natürlich nicht werden lassen. Deshalb beginnen wir hier mit einem kleinen Gruß aus der Kirche. Der einstige Pfarrerssohn, Bauingenieur, Gärtner und Schriftsteller Heinrich Seidel hat vor mehr als 100 Jahren in Berlin der Grauheit des Novembers ein buntes Gedicht entgegengesetzt, das wir heute wieder gut gebrauchen können: „Solchen Monat muss man loben: / Keiner kann wie dieser toben, / keiner so verdrießlich sein / und so ohne Sonnenschein! / Keiner so in Wolken maulen, / keiner so mit Sturmwind graulen! / Und wie naß er alles macht! / Ja, es ist ′ne wahre Pracht.“ Herbstlich Willkommen im Berliner Vorwinter! | |||
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Am langen Mauerfall-Jubiläums-Wochenende ging im Party-Feuerwerk fast ein Paukenschlag unter. Der Berliner Schriftsteller Marko Martin hielt bei der Feierstunde im Schloss Bellevue eine nahezu revolutionäre Rede, mit der er die gesamtdeutschen Lebenslügen in Bezug auf die osteuropäische Freiheitsbewegung offenlegte. Hausherr Frank-Walter Steinmeier, den Martin in seiner Rede wegen dessen jahrelang russlandfreundlichen Kurses als SPD-Außenminister auch persönlich kritisierte, verlor danach die Fassung und ging nach Augenzeugen-Berichten Martin persönlich an, dieser habe keine Ahnung, wie Außenpolitik funktioniere. Marko Martin hatte in der DDR den Kriegsdienst verweigert, wurde mit einem Hochschulverbot belegt und reiste noch vor dem Mauerfall in die Bundesrepublik aus. Im Checkpoint-Interview spricht der 54-Jährige, der sich auch gegen Antisemitismus engagiert, über die Reaktionen und seine Beweggründe. Herr Martin, haben Sie sich schon vom Schlagabtausch mit dem Bundespräsidenten erholt? Ich war erstaunt, dass Herr Steinmeier meine Worte offenbar als Majestätsbeleidigung empfunden hat. Mir ging es ja um die ungute Traditionslinie auch der westdeutschen Russlandpolitik und um die gesamtdeutsche Ignoranz gegenüber Osteuropa – dabei verteidigen Länder wie die Ukraine gerade die Werte, für die viele 1989 auch in Ostdeutschland demonstriert haben. Nach der Rede kam aber zum Glück nicht nur der aufgebrachte Bundespräsident zu mir. Viele der anwesenden polnischen Gäste beglückwünschten mich. Deren Freude darüber, dass jemand mal diese Wahrheit ausspricht, hat mich wiederum gefreut. Ich bekomme seitdem auch viele Mails von Menschen aus Ost und West, die schreiben: Sie sprechen mir aus dem Herzen. Viele fühlen sich mittlerweile isoliert, wenn sie Solidarität mit der Ukraine zeigen. Was Marko Martin über das „Rollback der SPD“ und über den „früheren Dorfschulze von Berlin, Michael Müller,“ denkt, warum ihn der Friedensbegriff der Sozialdemokraten an die DDR-Propaganda erinnert und weshalb viele westdeutschen Linke „noch gedanklich im Hitler-Stalin-Pakt“ feststecken, erzählt der Schriftsteller im weiteren Interview in der Checkpoint-Vollversion – nachzulesen hier. | |||
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Berlins früherer Finanzsenator Peter Kurth (CDU) versinkt immer mehr im rechtsextremen Sumpf. Kurth, bis vor kurzem Vorstand der „Vereinigung alter Gothen“ in der wegen völkischer Umtriebe umstrittenen Berliner Burschenschaft „Gothia“, hat nun offenbar den Aufbau eines mutmaßlichen rechtextremen Szenetreffs im sächsischen Gotha finanziert. Nach „Spiegel“-Recherchen überwies er 100.000 Euro auf ein Privatkonto des Terrorverdächtigen Kevin R., der damit die Immobilie finanzierte und vergangene Woche bei einer Razzia festgenommen wurde. Zuvor hatte die Bundesanwaltschaft die rechtsextreme Terrorgruppe namens „Sächsische Separatisten“ verboten. Die illegale Gruppierung hatte offenbar militärische Aktionen gegen die Bundesrepublik geplant und hat bereits paramilitärische Trainings organisiert, um in Teilen Ostdeutschlands ein am Nationalsozialismus ausgerichtetes Staats- und Gesellschaftswesen zu errichten. Drei der verhafteten acht Mitglieder sind laut Medienberichten Mitglieder der AfD; bei einem soll es sich um den sächsischen AfD-Kommunalpolitiker Kurt Hättasch handeln, der für die Partei im Stadtrat von Grimma sitzt. Zu den Festgenommenen gehört auch Kevin R., auf dessen Konto Kurths 100.000 Euro flossen und der auch lange in der Berliner Schülerverbindung „Iuvenis Gothia“ aktiv war. Der Sitz der Verbindung, das „Gothenhaus“ in Zehlendorf, gilt seit Jahren als Treffpunkt rechtsextremer und konservativer Milieus. Kurth, der schon länger in radikale Kreise abgerutscht ist, bestätigte sein Darlehen für die Immobilie in Gotha. Von den „Sächsischen Separatisten“ habe er aber erstmals „in der letzten Woche in den Medien gehört“ (via „Spiegel“). Zu den radikalen Ansichten seiner Geschäftspartner sagte er: „Ich habe dieses Gedankengut bei den genannten Personen nicht wahrgenommen.“ Bereits 2019 soll Kurth 120.000 Euro für ein „patriotisches Hausprojekt“ der rechtsextremen Identitären Bewegung überwiesen haben. Wegen seines Engagements steht Kurth im Blickpunkt der Verfassungsschutzbehörden. Berlins CDU blickt inzwischen mit Entsetzen auf den einstigen Parteifreund. „Peter Kurth ist kein Mitglied der CDU. Wäre er Mitglied, würden wir ihn rausschmeißen“, sagte CDU-Fraktionschef Dirk Stettner am Montag dem Tagesspiegel. „Ich kann überhaupt nicht verstehen, was mit ihm passiert ist. Er war einmal bürgerlich und demokratisch, heute ist er das offensichtlich nicht mehr. Das ist eine sehr traurige, erschreckende Persönlichkeitsentwicklung.“ | |||
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Die auf wann auch immer vorgezogene Bundestagswahl löst in Berlins Bezirksämtern bereits Alarmstimmung aus. Zwar herrscht kein Papiermangel für die Wahlzettel, wie zunächst kolportiert worden war, dafür stapelt sich aber womöglich der Personalmangel. „Je kurzfristiger der Wahltag angesetzt wird, desto mehr Personal wird aus der bezirklichen Verwaltung herangezogen werden müssen, um eine ordnungsgemäße Vorbereitung der Wahl zu gewährleisten“, sagt Reinickendorfs Vize-Landeswahlleiter Hauke Haverkamp auf Tagesspiegel-Anfrage und nennt als Beispiel: „Ein einzelner Bürgeramtsmitarbeitender bearbeitet bis zu 220 Termine pro Woche. Es ist noch nicht absehbar, wie viele Bürgeramtsmitarbeitende in das Bezirkswahlamt abgeordnet werden müssen. Die Schließung eines Bürgeramtsstandortes wird geprüft, ist aber noch nicht endgültig entschieden.“ Zudem müsse man bei einem Wahltermin etwa im Februar einen möglichen Winter-Räumdienst vor den Wahllokalen einkalkulieren und die Winterferien Anfang Februar beachten. „Bereits für die letzte Wiederholungswahl mussten Urlaube abgesagt und Stornokosten für gebuchte Reisen vom Bezirk erstattet werden.“ Welche Hürden für die Wahl in Ihrem Bezirk bestehen, erklären unsere Kiezreporter in den Bezirks-Newslettern – ein Abo Ihrer Wahl gibt’s hier. | |||
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Wie hoch hinaus will Berlin? Diese Frage stellen Architektinnen und Stadtplaner schon lange; nun hat sie Kai Wegner (CDU) bei seiner US-Reise wiederentdeckt: Braucht Berlin mehr Wolkenkratzer? Unsere Leserinnen und Leser sind von der Idee nicht so aufgekratzt. „Bestimmt träumt mancher Politiker von seinem Tower, ähnlich, wie es einen Trump Tower gibt. Ich denke aber, Wolkenkratzer würden Berlin verschandeln”, meint Leser Erik A. Leserin Yvonne H. empfiehlt dem Regierenden Bürgermeister einen anderen Blick auf die eigene Stadt: „Herr Wegner sollte sich mal öfter von außerhalb mit dem Auto Berlin nähern. Von weiten kann man da aus vielen Richtungen die Skyline mit dem gut sichtbaren Fernsehturm sehen.” Diese Skyline sei einmalig – ein Wolkenkratzer würde sie kaputt machen. Mit der Stadtnatur argumentiert dagegen Jeanette K.: „Berlins Plus sind die Bäume, die Parks, die Grünanlagen, die Uferzonen. In Berlin prägen Straßencafés und bunte Mischungen das Stadtbild. Das sollte sich Berlin erhalten.” Und Rüdiger D. gibt zu bedenken: „Wer weitere Verdichtung wünscht, hat von Klimawandel und Klimakrise nichts mitbekommen oder ist ein guter Verdränger.“ Andererseits müsste Berlin, würde es in die Höhe bauen, nicht in der Fläche verdichten. „Berlin könnte auch ein paar Wolkenkratzer vertragen“, meint deshalb Daniela Westrup. Auch Anneli Schwarz befürwortet neue Hochhäuser, „allerdings keine 0-8-15 Bauten wie am Breitscheidplatz, sondern ausgefallene“. Derzeit überarbeitet der Senat sein Hochhausleitbild. „Das Bauen in die Höhe kann einen Beitrag dazu leisten, der Nachfrage nach Wohnraum zu begegnen“, sagt Martin Pallgen von der Stadtentwicklungs-Verwaltung dem Checkpoint. „Auch bei der Frage nach dem Flächenverbrauch können Hochhäuser die richtige Antwort geben.“ Wie und wo Berlin in die Höhe wachsen könnte, diskutieren wir auch in unserer Tagesspiegel-Reihe „Stadt im Gespräch – Berlin im Wandel“. Am kommenden Montag ab 19.30 Uhr laden wir gemeinsam mit der Architektenkammer in die Urania zum Streitgespräch über Berlins Hochhäuser. Es diskutieren unter anderem Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt sowie der Baustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf Christoph Brzezinski (CDU), es moderiert diesmal mein Kollege Christoph Kluge. Der Eintritt ist frei, und neue Ideen für unsere Stadt sind wie immer willkommen. | |||
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