Daniel Stelter Ein Traum von einem Land
 
 
 
 
 
Liebe Leserinnen und Leser,
 

man soll sich als norddeutscher Protestant ja streng genommen kein Bildnis machen – von Gott nicht, von  den katholischen Bayern nicht und von Markus Söder eigentlich auch nicht. Nun leben wir aber im sogenannten „iconic turn“, einer Ära, in der Pics und Fotos allgegenwärtig geworden sind. Für verkopfte Sprachnostalgiker stehen die Zeiten somit nicht wirklich zum Besten.

Gestern beim Politischen Aschermittwoch der CSU zum Beispiel: Während Markus Söder minutenlang an einer abgestandenen Cola light nuckelte – ganz stilecht übrigens im Keferloher Keramikhumpen – zoomte die Kamera gelegentlich an die vielen kleinen und großen Fotografien heran, die irgendein ausgebuffter Bühnenbildner dem bayerischen Ministerpräsidenten in den Rücken gehängt hatte: Ein Schwarzweiß-Bild vom „Stoiber Ede“ war da zum Beispiel zu sehen oder ein Farbfoto vom blau-weißen Urviech Franz-Josef Strauß. Dann war da noch das getöpferte Täfelchen mit dem Merkspruch „Aschermittwoch dahoam“ und ein niedliches Foto von Söders neuem Schäferhund-Welpen Molly. Letzteres Bild hatte Söder im Januar übrigens schon einmal auf seinem Twitter-Account testen lassen und damit ein großes „Hallooo!“ unter seinen Followern geerntet: Die Kleine sei ja „sooo süß“.
 

Wer solch emotionale Bilder produzieren kann, der muss am Ende gar keine großen Worte mehr machen – zumindest nicht für den männlichen Teil seines Publikums. Eine aktuelle Umfrage aus Italien nämlich legt den Verdacht nahe, dass Männer längst viel weniger anfällig für ein offenes oder auch nur hingenuscheltes Wort sind als Frauen. Den Italienern sei das jüngst bei der Auswertung einer Umfrage zum Leseverhalten ihrer Landsleute aufgefallen: Während immerhin noch 44,3 Prozent der Frauen angaben, im vergangenen Jahr mindestens ein Buch gelesen zu haben, waren es unter den Männern nur noch 35,5 Prozent. Gut also, dass es mittlerweile Twitter, Insta und YouTube gibt, viele noch „sooo süße“ Botschaften wären andernfalls gar nicht mehr geschlechtsübergreifend über den Sender zu bringen.
 

Der gepflegten Bildpolitik gehört die Zukunft. Doch ab und an muss sich das Auge auch mal ausruhen. Seit der ikonischen Wende tut es das merkwürdigerweise übrigens im Museum und auf Kunst-Biennalen. Wo Söder & Co immer mehr Bilder aufhängen lassen, scheint man etwa auf der Biennale di Venezia immer öfter die Bilder im Keller zu verstauen. Gerade wurde etwa bekannt gegeben, dass der Deutsche Pavillon 2022 von der Berliner Konzeptkünstlerin Maria Eichhorn bespielt werden wird. Kunstkritikerin Elke Buhr geht in Ihrem Kommentar davon aus, dass wir uns auf eine karge und bildlose Ausstellung einstellen dürfen.
 

Und bildlos sollte es eigentlich auch in der Wissenschaft zugehen. Statt um hübsche Talkshow-Inszenierungen und alarmierende Sprachbilder sollten sich Wissenschaftler dieser Tage daher eher um nüchterne Zahlen und Analysen kümmern. „Es ist an der Zeit, dass die Wissenschaftler gegen ihre politische Vereinnahmung aufbegehren“, fordert daher Tobias Unruh, Professor am Institut für Physik der Kondensierten Materie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in einem Cicero-Gastbeitrag.
 

Legen Sie also mal die bunten Bilder  beiseite und lesen Sie stattdessen einen guten Artikel auf Cicero-Online!
 

Ihr Ralf Hanselle, stellvertretender Chefredakteur

 
 
 
 
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