Masseschulden als
Sanierungsblocker
 


Sehr geehrter Herr Do,

wir freuen uns über den Beitrag unseres BRSI-Mitglieds Herrn RA Stephan Ries, Curator AG,  den Sie komplett im neuen INDat Report 02_2022 finden, mit dem Thema:
 
 

Falsche Richtung: Wachsende Masseschulden behindern die Sanierung und beschädigen den Gleichbehandlungsgrundsatz
 

Masseschulden als Sanierungsblocker
 
Die Kommunikation über das, was zum eigentlichen Regelungskern von Insolvenzrecht zählt und was damit letzthin bewirkt werden soll, läuft aktuell eher schlecht. Gegenwärtig ziehen Eyecatcher wie das neue StaRUG eine große Aufmerksamkeit der Fachwelt auf sich, haben aber in der Fallzahl und volkswirtschaftlich eher nachrangige Bedeutung.1 Währenddessen untergraben, kaum angegriffen und beachtet, eine fehlgesteuerte Pacta-sunt-servanda-Rechtsprechung des BAG oder die Rechtsprechung des BFH zum vermeintlichen Wesen der steuerlichen »Erhebung« längst das eigentliche Fundament des Ganzen. Nach Ansicht des Verfassers bleibt die Fachwelt viel zu still angesichts des Sprengstoffs, den diese Rechtsprechung an die Grundpfeiler von Sanierungsaussichten und/oder die par conditio creditorum anlegt. Ist grundlegende Dogmatik inzwischen so unsexy, dass kaum jemand noch Wert auf sie legt? Wie kann es denn überhaupt passieren, dass höchste Gerichte das sich eigentlich stellende Thema gleichmäßig gerechter Verteilung von Geld im Mangelfall so dermaßen verfehlen? Warum greifen sie die eigentlich maßgeblichen Fragen insolvenzrechtlicher Durchsetzungssperren nicht sachgerecht auf und beleuchten stattdessen sehr ausführlich materiell-rechtliche Aspekte, die an dieser Stelle gar nicht ins Rampenlicht gehören? Der nachfolgende Beitrag will das beispielhaft untersuchen, aber auch die Gefahren aufzeigen, die die künftige »Sinnhaftigkeit« von Insolvenzverfahren immer fragwürdiger machen, wenn am Ende kaum Sanierungsaussichten bleiben und für Insolvenzgläubiger per se keine Dividende mehr zahlbar ist. Es muss sich jetzt endlich etwas in die richtige Richtung (zurück)bewegen, und dazu ist längst der Gesetzgeber gefragt.

 
Insolvenzverfahren währen stets nur eine bestimmte Zeit. Damit ist die Aktivseite (Summe aller Einnahmen) in ihrer Maximalhöhe klar begrenzt. Das eigentliche Verfahrensziel bestmöglicher Gläubigerbefriedigung2 lässt sich im Rang des § 38 InsO nur erreichen, wenn aus dem gedeckelten Geldbestand nicht deutlich zu viel als Masseschuld gem. § 55 InsO vorweg abgegriffen wird. Unternehmen, die in Insolvenz fallen, leiden regelmäßig unter schwerwiegenden strukturellen Krisenmerkmalen.3 Solche kann ein Insolvenz- oder Eigenverwalter4 nicht stets sofort beheben, zumal gewisse Gestaltungsinstrumente (z. B. §§ 103 ff., 120 ff. InsO) überhaupt erst mit der Verfahrenseröffnung nutzbar werden und anschließend zudem Auslauffristen Platz greifen. Der Verwalter braucht also Zeit. Die Mittel der Gesellschafter waren meist erschöpft; das Insolvenzverfahren benötigt aber zusätzliches Geld (§ 54 InsO). In Märkten mit eng getakteten Lieferketten werden Kunden schnell nervös. Im Regelfall gibt es zunächst kein – auf längere Strecke – tragfähiges Umsatzsteigerungs potenzial. Damit sind Betriebsfortführungen – und die aus ihnen zu schöpfenden Sanierungsaussichten – überhaupt nur unter deutlich abgesenktem Kostendruck möglich. Genau dies will die InsO teleologisch ermöglichen.5 Eine besondere Schlüsselrolle nehmen bei alledem Dauerschuldverhältnisse ein. Sie verursachen häufig zu hohe, turnusgemäß wiederkehrende Belastungen (meist monatlich, aber auch jährlich, etwa bei Betriebskostennachzahlungen zur Miete oder Sonderzahlungen an Arbeitnehmer). Wer als Schuldner ein zu großes Filialnetz besitzt, muss einzelne unrentable Betriebsstätten schließen und dort tätiges Personal entlassen können. Das hilft der Masse und dem Insolvenzverfahren aber nur, wenn nicht doch im Neumasserang von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO dafür sofort weitergezahlt werden muss. Auch andere Lasten, etwa zu teure Leasingverträge, müssen bei Bedarf alsbald abzuschütteln sein.

Ganz am Anfang hilft bei Betrieben mit größerer Personalstärke das Insolvenzgeld, um überhaupt fortführen zu können. Es ist aber schnell verbraucht. Zwischenzeitliche Verluste der Betriebsführung fängt dann am Ende nur eine ertragreiche, die wichtigsten Strukturen erhaltende Weiterveräußerung auf. Aus diesen Erlösen müssen regelmäßig dingliche Sonderrechte vorinsolvenzlicher Kreditgeber vorab befriedigt werden (§ 170 Abs. 1 Satz 2 InsO). Und am langen Ende sollen auch Insolvenzgläubiger, denen man zuvor die Individualvollstreckung verboten hatte, als von Art. 14 GG zwingend gefordertes Korrelat6 dafür angemessen befriedigt werden. Massegläubiger begleiten letztlich nur das Verfahren; es findet nicht ihretwegen statt.7 Sie haben vielfach, ausgenommen nur Sonderfälle wie z. B. § 210 a InsO, nicht einmal in der Gläubigerversammlung ein Stimmrecht (§ 77 InsO). Mathematisch ist die Hebelwirkung vorrangiger Masseverbindlichkeiten ganz enorm. Nachfolgend ein Beispiel aus der Praxis: Die Betriebsfortführung war für sich genommen schwierig und leicht verlustreich. Der Verlust fiel aber spürbar geringer aus als die nackten Auslaufkosten bei sofortiger Betriebsstilllegung; auch begründete das Weitermachen einen später höheren GoingConcern-Erlös für die Masse. Es gab eine Reihe nicht betriebsbedingter Themen abzuwickeln. In der Ausgangsvariante stecken in den Insolvenzforderungen zusätzlich ./. 300.000 Euro8 an Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen (vgl. § 108 Abs. 3 InsO). Rücken diese nunmehr in den Rang von Masseverbindlichkeiten auf, verschlechtert sich die Insolvenzquote auf einen Schlag rasant, im Beispielfall sogar um das Zehnfache, nämlich von 10 % auf lediglich noch verbleibende 1 % (siehe Schaubild).



Weitergehende Informationen finden Sie im neuen INDat Report 02_2022

 

Beste Grüße

Ihr

Dr. Dieter Körner




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