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  Tagesspiegel Checkpoint vom Samstag, 09.11.2019 | Samstag düster und verregnet, Sonntag heiter bis wolkig bei 9°C.  
  + 30. Mauerfall-Jubiläum + Nach Justiz-IT: Virusbefall auch in Uni-Netz + BER verliert Führungskraft +  
Lorenz Maroldt
von Lorenz Maroldt
  Guten Morgen,

es ist der 9. November, und wir erinnern uns – aber woran? An das, was wir selbst erlebten? An das, was uns andere erzählten? An Fotos, die wir gesehen und an Geschichten, die wir gelesen haben?

Der 30. Jahrestag des Mauerfalls markiert eine Zäsur: Es beginnt die Zeit der Revision aus zweiter und dritter Hand. Die Geschichte wird nicht umgeschrieben, noch nicht; aber sie wird umgedeutet, neu vermessen, nach dem Abstand der Zeit und der Versuchung des Vergleichs.

Der 81. Jahrestag des Pogroms steht im Schatten einer Mauer, die nicht mehr steht – nicht nur, weil heute Sabbat ist und eine Gedenkfeier deshalb gestern war. Vor dem jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße verlasen Berlinerinnen und Berliner die Namen von 55.696 Menschen, die in dieser Stadt lebten, bis sie von den Nazis ermordet wurden. Sie sollen nie vergessen werden. Aber sie werden verdrängt, Jahr für Jahr mehr.

Niemand fragt heute mehr: „Was hast Du am 9. November 1938 getan?“ Wen auch?

Aber auch, wer heute fragt: „Was hast Du am 9. November 1989 getan?“, bekommt oft schon keine Antwort mehr (von unter 30-Jährigen) oder nur eine vage (von unter 40-Jährigen) – oder auch eine falsche (von allen, die älter sind). 

Der Soziologe Harald Welzer erinnerte am Donnerstagsabend beim „Fest der Meinungsfreiheit“ in der Volksbühne (veranstaltet vom Tagesspiegel, der Berliner Zeitung und der Bundeszentrale für politische Bildung) an seine Zeit als Gedächtnisforscher. Welzers These: Gehen Sie davon aus, dass das Meiste, an das Sie sich zu erinnern glauben, so nicht stattgefunden hat.

Das ist ein wahrer Gedanke – wer sich selbst ernsthaft prüft, wird das bestätigen können (und wer es nicht glaubt, sollte „Vom Ende einer Geschichte“ von Julian Barnes lesen). Zugleich blitzt die Gefährlichkeit dieses Gedankens auf: Er macht die reine Erzählung angreifbar bis zur Leugnung. Die Demokratie braucht den Dokumentar.
 
     
 
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Am Mittwochabend war im ZDF Anna Loos zu Gast bei Markus Lanz – hören wir mal rein:

Lanz: „Am Freitag gibt’s ‘ne schöne Doku, ‘ne Musik-Doku, genau auch zu diesem Thema, Wendethema und so weiter, und du bist da eine sehr, sehr glaubwürdige Protagonistin, finde ich, da geht’s um Musik, vor allen Dingen, und auch um dieses riesige Konzert, das stattgefunden hat damals in Ost-Berlin, Bruce Springsteen hat da gesungen, das war, glaube ich, das größte Konzert, das es je in der DDR…“

Loos: „Das war wann? Weißt Du das zufällig? Ne, ne?“

Lanz: „Ähhhh… ’88?“

Loos: „Kann sein, ja.“

Lanz: „Warst Du dort, auf diesem Konzert?“

Loos: „Ne.“

Ne, war ‘se nicht.

Vergangene Nacht lief dann im ZDF die von Lanz angekündigte Musik-Doku, der Titel: „Soundtrack der Freiheit“. Und da hören wir jetzt auch noch mal rein:

Loos: „Bruce Springsteen! Das hatte so gar nichts zu tun mit der DDR, das war so die große freie Welt, das war Amerika, das war der Wahnsinn.“

Sprecher aus dem Off: „Die 17-jährige Anna Loos stand damals in der Menge.“

Loos: „Das war ja jetzt nicht so, dass der große revolutionäre Reden gehalten hat oder so. Der hat einfach nur seine Musik gespielt und die Leute wirklich in die Arme genommen. Ich weiß nur, dass man danach dachte: Ok, hier platzt gleich irgendwie der Kessel.“

Wahrscheinlich waren bei diesem größten Konzert, das je in der DDR stattgefunden hat, ungefähr 17 Millionen Menschen. Und wahrscheinlich können alle irgendeine Geschichte darüber erzählen. Eine gute Geschichte. Eine von Wahnsinn und Freiheit. Und das ist ja auch ok – so lange die andere, die böse Geschichte dieses Tages, nicht verdrängt, vergessen oder umgeschrieben wird.
 
     
 
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  Hier noch ein paar Hinweise zum Jahrestag des Mauerfalls:

Um 10:09 Uhr startet unser „Sonderzug aus Pankow“ – gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Berliner Zeitung fährt die Tagesspiegel-Redaktion in einem extra gekennzeichneten Wagen auf der Linie U2 durch die Stadt bis nach Ruhleben und zurück (Abfahrt Ruhleben: 11:03 Uhr) und nochmal zurück (Abfahrt Pankow: 11:59 Uhr). Mit an Bord: viele prominente und interessante Gäste. Und Sie können auch dabei sein und mitdiskutieren – Fahrschein genügt. Das ganze Programm und die genauen Abfahrtzeiten finden Sie hier.
Ich steige übrigens an der Station Märkisches Museum zu, dort fährt unser Zug um exakt 10:23:30 Uhr ein (gehe ich jedenfalls mal fest von aus).

Ganz neu ist unsere Spezial-App „Tagesspiegel 89/19”.
Damit lassen sich historische Fotos aus der geteilten Stadt im heutigen Stadtbild durch die Handykamera erkunden (funktioniert auf allen neueren iPhones und iPads).
Alternativ gibt es auch eine Browserversion mit 360-Grad-Fotos.

Der heutige Tagesspiegel ist übrigens ein ganz besonderer – und das aus gleich zwei Gründen:

1) Wir feiern die Ausgabe Nr. 24.000 im 75. Jahr des Bestehens unserer Zeitung – sie war die erste, die nach dem 2. Weltkrieg im freien Teil Berlins gegründet wurde. Ich bin übrigens seit 25 Jahren dabei, und ich freue mich darüber jeden Tag (ok, fast jeden Tag).

2) Wir feiern den Mauerfall mit 48 Sonderseiten (zusätzlich zu den 44 aktuellen Seiten) – und wir schauen darin neugierig zurück und mutig nach vorne, mit vielen spannenden Gästen (darunter ein weiser Präsident und ein nackter).
 
     
 
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  Heute im Checkpoint für Abonnenten:

+ Polizeipräsidentin Barbara Slowik kündigt im Checkpoint-Interview eine Änderung der „Konzepte und Maßnahmen“ in der Rigaer Straße an. Außerdem (u.a.): Was linke von rechter Gewalt unterscheidet, wie politisch motivierte Einzeltäter rechtzeitig zu entdecken sind und welche Wünsche sie hat – als Polizeipräsidentin und als Frau Dr. Slowik.

+ Ole von Beust berät die Berliner CDU – und verrät uns, was er von Kai Wegner und Burkhard Dregger hält. Und ob er als Spitzenkandidat zur Verfügung steht. Und eine revolutionäre Idee hat er auch noch.

+ Der hoch gefährliche Computervirus Emotet hat wieder zugeschlagen – nach dem Kammergericht hat es jetzt eine Universität erwischt. Wir dokumentieren die interne Warnung des IT-Sicherheitsbeauftragten.

+ Die BVG veröffentlicht eine märchenhafte Stellenanzeige – und sucht nebenbei eine neue Chefin. Ein erster Name macht bereits die Runde.

+ Wo die „Deutsche Wohnen“ wieder Mieter frieren lässt.

+ Das neue Politbarometer: Im Bund wäre bei Neuwahlen nur eine einzige Zweierkoalition möglich – die jetzige ist es nicht.

+ Am BER macht schon wieder eine Führungskraft den Abflug – mit der Luftfahrt will sie nichts mehr zu tun haben.

+ Außerdem: Unser Wochenrätsel – Sie müssen sich zwischen „Held“ und „Idiot“ entscheiden (zu gewinnen gibt’s den legendären Checkpoint-Checkpott).

Zur Anmeldung fürs Checkpoint-Abo geht’s übrigens hier. Achtung: Heute ist der letzte Tag unserer Aktion „3 für 3“ – drei Monate das volle Checkpoint-Programm plus Zugriff auf unsere Website für insgesamt drei Euro. Und eine Lektion „Mathe mit dem Checkpoint“ gibt’s gratis dazu. Die Aufgabe: Was kostet das Abo zur Zeit pro Tag? Na? Richtig, war ja auch superleicht heute: 300:75=4. Team Checkpoint freut sich auf Ihre Unterstützung!
 
     
 
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