Ich glaube, dass wir Menschen darauf konditioniert sind, bei Live-Begegnungen erst mal Gemeinsamkeiten zu suchen, nicht Sollbruchstellen. Wir sind Herdentiere und geborene Diplomaten. Aber seit dem Aufkommen sozialer Netzwerke kultivieren wir eine wachsende Verachtung für Andersdenkende. In der Anonymität des Netzes, wo kein Lächeln Brücken bauen kann, unterstellen wir dem Gegenüber von vornherein dunkelste Absichten.
Wahlweise sind alle anderen Demokratiefeinde oder links-grüne Spinner. 0 oder 1 – wir verhalten uns inzwischen so holzschnittartig wie unsere Computer. Kein Wunder: der Algorithmus unterstützt vor allem unsere Empörung, die ihn zugleich füttert. Meta, Alphabet & Co. verdienen mit.
Dabei schreien wir im echten Leben ja auch nicht gleich jedem unsere eigene Meinung ins Gesicht, sondern hören zu, wägen ab, halten bisweilen sogar die Klappe. Unser Vertrauensvorschuss ist dort zu Recht viel größer.
Auch Parteien, Promis, Medien haben sich da übrigens mitverändert: Es wimmelt nur so vor Haltung, Moralpredigten und Selbstbekenntnissen. Weil die großen Probleme so komplex sind, widmen wir uns mit Hingabe symbolpolitischen Scharmützeln, bis die nächste Sau durchs globale Dorf getrieben wird.
Ich garantiere Ihnen: Der nun beginnende Kurzzeit-Bundestagswahlkampf wird uns bis 23. Februar noch viele „Aufreger“ liefern, die nur weiter ablenken. Bevor ich mich auf all das einlasse, rede ich lieber mal wieder mit meinem Nachbarn. Ist authentischer. Und informativer. Wie sind Ihre Erfahrungen? Schreiben Sie mir: feedback@focus-magazin.de |