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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Montag, 04.04.2022 | Endlich Regen bei bis zu 7°C und Böen. | ||
+ Ukraine-Botschafter Melnyk kritisiert die deutsche Politik + CDU nennt A100 „Klimaautobahn“ + Berliner Bildungsverwaltung nimmt Schulen Millionensummen weg + |
von Lorenz Maroldt |
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Guten Morgen, als Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine, am Donnerstag vergangener Woche in seiner Dahlemer Residenz unsere Kollegin Claudia von Salzen und den Tagesspiegel-Hauptstadtbüroleiter Georg Ismar zum Interview traf, war Butscha nur der Name eines Vororts von Kiew, den meisten Menschen außerhalb des überfallenen Landes völlig unbekannt. Melnyk beschrieb, warum er sich von der deutschen Politik im Stich gelassen fühlt – und auch von wem: + Über den Tag des Kriegsbeginns: „Ich habe am frühen Vormittag Gespräche bei allen wichtigen Akteuren angefragt, Scholz, Baerbock, Lambrecht, Lindner, Habeck, alle Fraktionsspitzen der Ampel und auch Oppositionsführer Merz. Lindner war übrigens einer der wenigen, die sich mit mir an diesem Tag getroffen haben. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.“ + Über Christian Lindner: „Was kann man jetzt noch tun, fragte Lindner. Jetzt ist endlich der Zeitpunkt gekommen, dass die Deutschen uns Waffen liefern, sagte ich. Er meinte, dafür sei es viel zu spät. Jetzt mache es keinen Sinn, das hätte man früher tun können. „Ich habe erwidert, wir werden kämpfen. Lindner schaute mich mit diesem Lächeln an, das ich nicht vergessen kann. Er saß da, teilnahmslos.“ + Über Christine Lambrecht: „Am 17. März war ich das letzte Mal bei ihr. Das Treffen war zwar freundlich, aber sehr angespannt. Frau Lambrecht hat mitgeteilt, dass sie aus Sicherheitsgründen zu den Waffenlieferungen nichts mehr sagen würde. Die Ministerin hat beschlossen, uns erst dann zu informieren, wenn die Lieferung erfolgt ist.“ + Über Annalena Baerbock: „Es gibt da bisher gar keinen persönlichen Kontakt. Merkwürdig. Ich habe Ministerin Baerbock bis heute kein einziges Mal getroffen, obwohl ich seit dem Kriegsausbruch immer wieder Gesprächsanfragen gestellt habe.“ + Über Robert Habeck: „Er ist der Einzige in der Regierung, mit dem ich regelmäßig einen engen Kontakt habe, der antwortet, wenn ich ihm eine SMS schreibe.“ + Über Frank-Walter Steinmeier: „Ich habe auch Steinmeier nach dem Kriegsausbruch um ein Gespräch gebeten. Keine Reaktion. (…) Feingefühl ist für Steinmeier ein Fremdwort, zumindest in Bezug auf die Ukraine. (…) Für Steinmeier war und bleibt das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht, auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle. (…) Steinmeier hat seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft. Darin sind viele Leute verwickelt, die jetzt in der Ampel das Sagen haben. (…) Ich kaufe Herrn Steinmeier nicht ab, dass er seine Fehler in der Russland-Politik erkannt hat.“ Und dann war da noch dieser eine Satz, der am Sonntag, als das Interview im Tagesspiegel erschien, auf mörderische Weise von der Wirklichkeit überholt wurde: „Den Deutschen ist bis heute die Dimension des russischen Überfalls nicht klar.“ Dann kamen die Nachrichten und Bilder aus Butscha. Was über das Massaker bisher bekannt ist, haben Oliver Bilger und Sandra Lumetsberger hier für Sie aufgeschrieben. | |||
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In der Tagesschau behauptete der ARD-Korrespondent Georg Restle gestern Abend: „Für Journalisten war es heute nicht möglich, sich ein eigenes Bild von der Lage in Butscha zu machen.“ Doch das stimmt nicht. Einigen Journalisten ist es durchaus möglich gewesen. Einer von Ihnen ist der erfahrene Berliner Kriegsreporter Enno Lenze. Für den neuen Checkpoint-Podcast, der heute Nachmittag um 17 Uhr zum ersten Mal erscheint, schickt er uns eine aktuelle Sprachnachricht mit seinen Beobachtungen und Einschätzungen (mehr zum Podcast weiter unten). | |||
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Hier noch ein Blick auf die Ereignisse und Meldungen der vergangenen Stunden: +++ Die nordukrainische Stadt Tschernihiw ist nach Angaben des dortigen Bürgermeisters inzwischen zu 70 Prozent zerstört. Die Folgen der russischen Angriffe seien schwerwiegend, „wie in Butscha und Charkiw, und vielleicht sogar wie in Mariupol“, sagte Wladyslaw Atroschenko. +++ Der ukrainische Präsident Selenskyj hat die frühere Bundeskanzlerin Merkel zu einer Reise in die von schweren Gräueltaten erschütterte Stadt Butscha eingeladen. In dem Kiewer Vorort könnten sich Merkel – ebenso wie der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy – ein Bild von ihrer gescheiterten Russland-Politik der vergangenen Jahre machen. +++ Bei russischem Beschuss in der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw sind nach ukrainischen Angaben 34 Menschen verletzt worden. Mindestens sieben Menschen seien getötet worden, schrieb die Staatsanwaltschaft der Region Charkiw auf Telegram. | |||
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Es ist nicht zu vermuten, dass Botschafter Melnyk die Drucksachen des Berliner Abgeordnetenhauses liest – und das ist vielleicht auch ganz gut so. Seine Meinung über die teils indifferente Haltung der Deutschen zu angemessenen Reaktionen auf den Krieg Russlands in der Ukraine würde die Lektüre jedenfalls eher bestärken. Hier zwei Beispiele; + Frage MdA Stefan Förster (FDP): „Welche weiteren Gründemüssen noch erfüllt sein, damit eine Aussetzung der Städtepartnerschaft mit Moskau aus Sicht des Senats ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann?“ Antwort Severin Fischer Chef der Senatskanzlei: „Die Situation wird fortwährend analysiert und auf Grundlage von aktuellen Informationen bewertet.“ + Frage MdA Katalin Gennburg (Linke): „Gibt es zwischen dem Land Berlin und russischen Banken Geschäftsbeziehungen – und wenn ja: Wie lassen sich diese nachvollziehen?“ Antwort Staatssekretärin Daniela Brückner: „Hierzu liegen keine Kenntnisse vor.“ | |||
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Bekannt dürfte Melnyk dagegen die Rede Steinmeiers vom 15.8.2018 in der Uni Jekaterinburg sein („Schön, wieder zurück zu sein!“) – wir haben sie hier für Sie nochmal herausgesucht: Den russischen Kriegsminister Lawrow spricht der damalige deutsche Außenminister mit „lieber Sergej“ an, die Annexion der Krim ist für Steinmeier „kein Grund, einander den Rücken zuzukehren, im Gegenteil“, seinen Ehrendoktortitel empfindet er „bis heute (…) als große Auszeichnung“. Und eine interessante Frage stellte Steinmeier: „Können wir einander lesen? Sind wir in der Lage, (…) die Signale, die der andere sendet, richtig zu interpretieren?“ Was die Signale aus Russland betrifft: offenbar nicht – dabei erwähnte Steinmeier sie in Jekaterinburg sogar: Putins Rede von 2007, Georgien, Syrien, Krim, „die eskalierende Ukraine-Krise“, „den Zusammenbruch der Sowjetunion, der im Rückblick nicht als Befreiung, sondern von vielen (Russen) als Katastrophe gesehen wird, als Trauma“. Das ist keine vier Jahre her. | |||
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Unterdessen rollten gestern Russland-Fans in Militärmützen und mit wehenden weiß-blau-roten Fahnen laut hupend als Autorkorso durch Berlin – die Route führte sie, von der Polizei begleitet, am Hauptbahnhof an den geflüchteten ukrainischen Familien vorbei. Wie werden diese das wohl „lesen“? | |||
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Botschafter Melnyk ist, allem Frust über die deutsche Politik zum Trotz, dennoch dankbar für die Hilfe der Gesellschaft: „Die Ukrainer, die fliehen müssen, werden mit offenen Armen barmherzig aufgenommen.“ Dazu noch ein Hinweis: Weil die „Spendenbrücke“ in Tempelhof nicht genügend Hilfsgüter aufnehmen kann, werden über adiuto.org jetzt auch am Hauptbahnhof wieder Hygieneartikel und Tierprodukte gesammelt (bitte auf die Listen schauen). Wie Berliner Ehrenamtliche sich um die Haustiere von Geflüchteten kümmern, können Sie hier lesen. | |||
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Monika Herrmann ist wieder im Dienst – allerdings nicht als Bürgermeisterin, sondern als ehrenamtliche Koordinatorin in der Gesundheitsverwaltung. Dem Checkpoint sagte sie gestern Abend, nach dem Ukraine-Hilfsaufruf von Franziska Giffey an Verwaltungsangehörige habe sie erstmal geklärt, ob das auch für sie als Ruheständlerin in Frage kommt („Aktivrente“). Am Freitag hat sie angefangen, in den kommenden Tagen bezieht sie ein Büro, das als Verbindungsstelle zur Integrationsverwaltung fungiert – im Zentrum der Arbeit: die Unterstützung Geflüchteter mit Pflege- und sonstigem medizinischem Hilfsbedarf. | |||
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