Aber wissen Sie was? Ich erkenne unsere 70-jährige Ex-Kanzlerin in den PR-Glamour-Gewittern nicht mehr. Drei Jahre nach ihrem selbstbestimmten Abschied aus Regierungsverantwortung, Politik und Scheinwerferlicht jetzt so eine Rückkehr? Warum?
Das Buch kann nur Selbstverteidigung oder -beweihräucherung werden. Selbstkritik ist eher nicht zu erwarten. Das konnte sie schon früher nicht. Stattdessen wird ein bisschen gegen die Alphamännchen gestichelt: Trump und Putin, Scholz, Lindner und Merz. Erste Buch-Passagen, die von der „Zeit“ veröffentlicht wurden, lassen zumindest stilistisch nicht viel Gutes ahnen. Selbst ihre eigene Jugend beschreibt die Autorin eher spröde: „Als kontaktfreudiges Kind hatte ich überall meine Andockpunkte.“ Vielleicht hätte doch noch mal jemand übers Manuskript gehen sollen außer Merkels ewiger Büroleiterin Beate Baumann. Vor allem aber: Es gibt längst zwei Merkels, deren Image sie selbst nicht mehr im Griff hat. Das eine Bild verblasst allmählich: die nimmermüde Krisenkanzlerin, die Euro, Europa und die Weltfinanz gleichermaßen gerettet hat und abends zu Hause ihrem Gatten noch Kartoffelsuppe kochte. Eine Frau zwischen UNO und Uckermark. Bedeutend + bescheiden = beliebt. Da fehlen mir inzwischen sozusagen die persönlichen „Andockpunkte“, denn das andere, aktuellere Bild ist weniger schmeichelhaft: Es zeigt jene Merkel, die 16 Jahre lang Friedensdividenden geschenkt bekam. Fürs billige Gas sorgte Russland, für gute Exportzahlen China, und für die Sicherheit war die USA zuständig. Das Land wurde bequem und ließ sogar seine Infrastruktur peu à peu verrotten. Merkels trotzigem „Wir schaffen das!“ in der Flüchtlingskrise 2015 verdankt die AfD ihren Einzug in den Bundestag zwei Jahre später. Und während Corona gerierte sich die Regierungschefin als kalte Technokratin, die mit dem Infektionsschutzgesetz auch mal Grundrechte wegdesinfizierte. Wir hätten damals bisweilen eine Psychologin im Kanzleramt gebraucht, bekamen aber nur die promovierte Physikerin. Migrations- wie Corona-Fehler – beides wirkt bis heute sehr nach. Zumindest Heiligsprechungen sind angesichts dieser ambivalenten Bilanz nicht nötig, oder? feedback@focus-magazin.de |