Mit Stockstreet in die nächste Rally
Mit Stockstreet in die nächste Rally von Torsten Ewert Sehr verehrte Leserinnen und Leser, zunächst ein Hinweis: Aufgrund des Feiertags erscheint morgen keine Ausgabe der Börse-Intern. Wer Antworten will, muss richtig fragen! Zu unseren Beiträgen in diesem und unseren anderen Börsenbriefen erhalten wir immer wieder Fragen der unterschiedlichsten Art von Ihnen. Meist beziehen sie sich auf die besprochenen Themen, aber mitunter wollen einige einfach nur unsere Gutmütigkeit testen. Nach dem Motto: Sie haben neulich über die Belastungen der Märkte aufgrund der Fed-Entscheidung geschrieben – was bedeutet das denn nun für die Aktie XY? Die meisten von Ihnen wissen längst, dass wir solche Fragen – freundlich, aber bestimmt – abschlägig bescheiden müssen, und zwar aus vier Gründen: Erstens, dürfen wir grundsätzlich keine Einschätzungen zu einzelnen Werten, Branchen, Märkten usw. abgeben. Das wäre eine individuelle Anlageberatung, die uns juristisch untersagt ist – insbesondere im Rahmen eines kostenlosen Newsletters. Zweitens sind derartige Fragen unfair, und zwar den anderen Leserinnen und Lesern gegenüber, die nicht fragen. Würden wir also dem Fragesteller antworten hätte dieser sich einen Vorteil erschlichen. Und drittens ist bei derartigen Fragen nie davon die Rede, dass die Fragesteller bereit wären, den Aufwand, den eine Antwort unter Umständen macht, anzuerkennen. Hier will sich also jemand etwas „für lau“ erschnorren. Da machen wir natürlich nicht mit. Und viertens schließlich würden wir zu nichts anderem mehr kommen, wenn alle unsere mehr als 40.000 Leserinnen und Leser auch nur einmal im Jahr eine solche Frage stellen… Mal eine ganz andere Frage Dennoch gibt es Fragen von Ihnen, die „nicht zum Thema gehören“, die wir aber trotzdem aufgreifen. Zum Beispiel, weil sie von allgemeinem Interesse sind und dann z.B. in eine neue Ausgabe der Börse-Intern einfließen. (Solche Fragen lieben wir, weil sie uns der Mühe entheben, uns selbst ein „neues“ Thema auszudenken.) Manche Fragen sind auch so „abwegig“ und doch so spannend, dass wir mitunter verblüfft sind, dass sie offenbar noch nie gestellt, geschweige denn beantwortet wurden. Dann packt uns der Ehrgeiz, hinter das „Geheimnis“ zu kommen. Vor einiger Zeit erreichte uns eine solche Frage: Warum wir immer „Rally“ für einen (starken) Kursanstieg schreiben und nicht „Rallye“, wie die meisten anderen Kommentatoren, wollte der Fragesteller wissen. Er glaubte offenbar, uns bei einem Fehler ertappt zu haben. Zwar bat er um eine Begründung für unsere Schreibweise, aber wir hatten den Eindruck, dass er erwartete, dass wir keine befriedigende Erklärung liefern können. Das hätten wir wissen müssen Und tatsächlich waren wir zunächst etwas kleinlaut, denn keiner von uns konnte auf Anhieb einen plausiblen Grund nennen. Es kamen nur die üblichen Allgemeinplätze: „Das machen wir doch schon immer so!“, „Die Amis schreiben auch nur ‚Rally‘!“ oder „Eine Rallye ist ein Autorennen.“ Schön und gut. Aber damit hätten wir unseren Leser wohl kaum zufriedenstellen können. Klar, wir hätten einfach sagen können, dass wir jahrelang einen Fehler gemacht haben. Aber dazu waren wir (noch) nicht bereit. Außerdem hätten wir dann die Schreibung generell ändern müssen. Und wer weiß, dann hätten vielleicht andere nachgefragt und wir hätten uns nochmals erklären müssen. Aber eigentlich hätten wir es wissen müssen. Als Jochen Steffens und ich 2009 unser Buch „Die hohe Kunst des (Day-)Tradens“ veröffentlicht haben, bemängelte der Korrektor ebenfalls die Schreibweise „Rally“. Und er ließ sich auch nicht erweichen, so dass wir am Ende klein beigeben mussten. Hier haben er und der Verlag uns überstimmt und dabei sogar den Duden auf ihrer Seite. Die Rally im Duden Zwar bezeichnen die obersten Hüter der deutschen Sprache einen „meist kurzen, starken Anstieg des Kurses an der Börse“ ebenfalls als „Rally“. Sie verweisen aber dazu auf die zweite Bedeutung des Wortes „Rallye“. Und im „Finanzmarkt-Wörterbuch" aus dem Duden-Verlag (ISBN 978-3411740017) steht inzwischen nur noch der Begriff „Rallye“. Eine Nachfrage bei der Duden-Sprachberatung ergab letztlich, dass zwar beide Schreibweisen möglich sind, der Duden aber die Variante mit „e“ (Rallye) empfiehlt. Warum das so ist, bleibt offen. Die offizielle Begründung lautet, dass die Schreibweise empfohlen wird, die „häufiger“ vorkommt. Nun mag zwar der Begriff „Rallye“ tatsächlich öfter verwendet werden, aber dann wohl vor allem in der Bedeutung für „Autorennen“. Im Börsenjargon wird „Rally“ benutzt, eben um jede Verwechslung mit dem Motorsport zu vermeiden. So jedenfalls wurde es mir früher beigebracht. Rally oder Rallye? Weil der Duden letztlich auch nicht richtig konsequent ist, hätten wir die Sache mit einem kurzen Kommentar zu den Akten legen können. Aber so richtig zufrieden waren mit dieser „Lösung“ nicht. Schließlich brauchen wir den Begriff ständig und möchten ungern gegen die Regeln der deutschen Sprache verstoßen. Und schließlich muss es ja einen Grund geben, warum es beide Schreibweisen gibt. Also haben wir selbst recherchiert und kamen dabei zu dem folgenden Ergebnis: Der Begriff „Rally“ stammt aus dem Englischen. Hier bedeutet er so viel wie Zusammenkunft oder (Ver-)Sammeln. Außerdem steht er für Erholung im übertragenen Sinne. Das Wort ist damit eines der vielen dieser Sprache, die aus irgendwelchen Gründen mehrere, heutzutage scheinbar völlig verschiedene Bedeutungen auf sich vereinigen. Der Duden gibt eine ähnliche Bedeutung an, bezieht sich allerdings auf das Französische: „zu französisch rallier, zusammengezogen aus: re- = wieder- und allier, alliieren“, wobei „allieren“ laut Duden „sich verbünden“ bedeutet. Zudem verweist der Duden ebenfalls auf die Herkunft vom Englischen „rally“. In Bezug auf die Börse geht der Ausdruck „Rally“ wohl auf den englischen Begriff im Sinne von „(Kurs-)Erholung“ zurück, denn im Englischen, speziell im amerikanischen Englisch ist stets nur von „Rally“ die Rede, wenn es um einen Kursanstieg geht, niemals von „Rallye“. Kursanstieg oder Autorennen? Aber speziell in den USA wird der Begriff „Rally“ auch für Autorennen verwendet, die hierzulande in der französischen Schreibweise „Rallye“ bekannt sind. Das geht auf die andere Bedeutung (Zusammenkunft, Treffen) des englischen bzw. französischen Wortes zurück, die auch der Duden angibt. Die Hintergründe finden sich in der historischen Entwicklung des Automobils. Als nämlich die ersten Autos auf den Straßen erschienen, wurden sie nicht nur als unsicher angesehen, sondern von den Verfechtern der Pferdefuhrwerke geradezu verteufelt. Denn natürlich erschreckten die knatternden und qualmenden Vehikel die Pferde, was zu diversen Unfällen führte. Schnell fanden sich die Protagonisten der Kutschen zusammen – wir würden sie heute „Lobby“ nennen –, um Maßnahmen gegen das vermeintliche neue Unheil zu ergreifen. Das nahm skurrile bis radikale Züge an. So bildete sich zum Beispiel eine „Farmer’s Anti-Automobile Society of Pennsylvania“, die unter anderem folgende Forderungen erhob: „Fahrer, die mit einem Auto nachts auf (öffentlichen) Landstraßen unterwegs sind, müssen nach jeder Meile eine Signalrakete abschießen und danach zehn Minuten warten, bis etwaige andere Fahrzeuge die Straße geräumt haben. Begegnet ein (Automobil-)Fahrer einer Gruppe Pferde, muss er sein Fahrzeug am Straßenrand abstellen und mit einer (Tarn-)Hülle verdecken oder mit Staub überziehen, damit es unauffälliger wird und die Tiere nicht erschreckt.“ Das ultimative Totschlag-Argument für die Autohasser war aber natürlich: „Wollen Sie sich wirklich freiwillig auf eine Maschine setzen, in der es andauernd explodiert?“ Der geniale Marketing-Trick der Auto-Lobby Unter diesen Umständen ist es eigentlich erstaunlich, dass sich das Auto schließlich doch noch als Fortbewegungsmittel durchgesetzt hat, insbesondere, wenn man bedenkt, dass es anfangs eine ganze Palette von Antriebsystemen gab: neben Benzinmotoren auch Gas- oder Dampfantriebe und sogar Elektrobatterien! Doch die Auto-Enthusiasten verfielen auf eine geniale Idee. Sie versuchten gar nicht erst, die Leute mit Argumenten zu überzeugen („Glauben Sie mir, es ist absolut ungefährlich, in einem Auto zu fahren!“). Sie veranstalteten einfach Autorennen. Dabei wurde den Zuschauern unmittelbar und eindringlich vor Augen geführt, wie schnell und leistungsfähig ein Auto gegenüber einem Pferdefuhrwerk sein kann (wenn es zum Beispiel ohne Geschwindigkeitsverlust eine Anhöhe hinauffährt). Natürlich hatten die Zuschauer auch ihre helle Freude, wenn einer der Teilnehmer mit seinem motorgetriebenen Gefährt in einer Wolke von Staub und Rauch sowie mit viel Krach und splitternden Teilen an irgendeiner Ecke liegenblieb und hustend, rußverschmiert und schimpfend – aber hoffentlich unversehrt – unter dem Schrotthaufen wieder hervor kletterte. Europäer fahren Rallye, Amerikaner fahren Rally Solche Veranstaltungen, die zuerst Ende des 19. Jahrhunderts in den USA durchgeführten wurden, bürgerten sich unter dem Namen „Rally“ ein. Dabei war zunächst nicht die eigentliche Wettfahrt gemeint, die natürlich ebenfalls über Stock und Stein ging wie auch die heutigen Rallyes. Denn die Teilnehmer, die ihre Fahrzeuge ja meist noch in Eigenregie zusammenbastelten, mussten erst einmal den mehr oder weniger langen Weg bis zum Wettkampfort zurücklegen – also zusammenkommen (engl.: „to rally“). Dabei gehörte es zum guten Ton – und war auch die eigentliche anspruchsvolle Prüfung – den Treffpunkt pünktlich und in einer Verfassung zu erreichen, die Fahrzeug und Fahrer dann auch noch die Teilnahme an der eigentlichen Veranstaltung ermöglichte. Das war in der Anfangszeit des Automobils durchaus nicht selbstverständlich! Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurden solche Autowettkämpfe auch in Europa durchgeführt, wofür sich dann hier die französische Schreibung „Rallye“ durchsetzte (mutmaßlich durch die „Rallye Monte Carlo“, die es seit 1911 gibt). Eine Rallye ist keine Hausse! Das französische Wort „Rallye“ wird zumindest in Frankreich unserer Kenntnis nach nur für den Automobilsport und nicht für die Börse verwendet. Bekanntlich ist der (starke) Kursanstieg im Französischen eine „Hausse“ bzw. das Gegenteil die „Baisse“, beides Wörter, die in Europa dafür noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts allgemein Verwendung fanden (siehe auch die Bücher und Artikel von André Kostolany). Erst der Siegeszug der Amerikanismen in Europa sorgte für einen Wechsel der Bezeichnungen – nicht nur bei der Beschreibung des Kursverhaltens. So war der langjährige Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, seinerzeit unwidersprochen ein Bankier (franz.), seine heutigen Kollegen sind dagegen ebenso eindeutig Banker (engl.). Mit Stockstreet zur nächsten „Rally“! Bei Stockstreet werden wir auch künftig die Schreibung „Rally“ verwenden, denn unserer Ansicht nach ist es der ursprüngliche Begriff, um einen Kursanstieg zu beschreiben (und kein Autorennen). Im Deutschen ist er damit eindeutig. Insofern folgen wir zwar nicht der Empfehlung der Duden-Redaktion, fühlen uns aber aufgrund unserer Recherchen durchaus darin bestätigt. Und wir sind überzeugt, damit auch unserem Leser eine plausible Begründung geliefert zu haben. Jedenfalls haben wir nichts Gegenteiliges von ihm gehört. Mit besten Grüßen Ihr Torsten Ewert
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