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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 08.06.2021 | Überwiegend blauer Himmel bei 27°C. | ||
+ Drei Durchsuchungen im Jahr 2020: Müllers Sonderbehandlung bei einer Beleidigung + Grün geframed ist halb gewonnen: Was Bettina Jarasch wirklich meint + Bitte draußen bleiben: BVG darf nicht auf der Messe impfen + |
von Anke Myrrhe |
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Guten Morgen, morgen, Kinder, geht’s wieder los. Dass die Schule mal am 9. Juni beginnen würde, hätte wohl auch niemand erwartet. Aber den Schlingerkurs der Bildungsverwaltung (und der Pandemie) nehmen Schüler, Eltern und Lehrerinnen inzwischen ähnlich gelassen zur Kenntnis wie eine Vier in Bio. Frei nach dem Motto: Was kommt als nächstes dran? Hält wenigstens gedanklich flexibel. Und wenn das so weiter geht, gibt’s eh bald hitzefrei. Wir haben mal bei verschiedenen Schulen nachgefragt, was sie denn nun planen für die letzten zwei Wochen Vollbeschulung vor den Ferien (exakt 15 Tage). Ergebnis: Die meisten haben gar nicht geantwortet (wahrscheinlich mit Vorbereitungen beschäftigt), die Ellen-Key-Schule in Friedrichshain teilte kurz und effizient mit: „Unterricht“. Oh, du schöne Normalität. | |||
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Mit Normalität hat das, was der Regierende Bürgermeister mit seiner Intervention bei der Staatsanwaltschaft erreicht hat, hingegen wenig zu tun. Sie erinnern sich an die Geschichte von Karina F.? (CP vom 14.5.) Ihre Wohnung war durchsucht worden, nachdem sie im April 2019 ein gefälschtes Foto bei Facebook gepostet hatte: Es zeigte Michael Müller mit einem Schild, auf dem „Alle nach #Berlin“ steht und den Eindruck erwecken könnte, der Regierende Bürgermeister heiße hier alle Bootsflüchtlinge willkommen. Müller gefiel das nicht: Er schrieb dem Leitenden Oberstaatsanwalt Jörg Raupach persönlich einen Brief („Strafantrag des Dienstvorgesetzten“), eine rekordverdächtige Woche später teilte die Staatsanwaltschaft dem Landeskriminalamt mit: „Die Ermittlungen sind aufzunehmen.“ Es folgte die Durchsuchung bei Karina F. im Februar 2020, Handys und Tablets wurden beschlagnahmt – was sich später als rechtswidrig herausstellte: Eine Strafkammer des Landgerichts urteilte, es handele sich bei dem Facebook-Post schlicht „um eine Meinungsäußerung“. Dass sich ein Senatsmitglied mit einer Strafanzeige direkt an den Leiter der Staatsanwaltschaft wendet, ist ebenso ungewöhnlich wie die Härte des Vorgehens. Und die Tatsache, dass der Leitenden Oberstaatsanwalt Jörg Raupach nicht wie üblich die Amtsanwaltschaft Berlin mit dem Verfahren betraute, sondern die Staatsanwaltschaft – wie eine Aussage des Justizsenators aus dem Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses im Mai deutlich macht. Ob in den Jahren 2019 bis 2021 weitere Fälle gegeben habe, in denen die Berliner Strafverfolgungsbehörden Durchsuchungen veranlasst haben, um Beweismittel für einen Verdacht der üblen Nachrede oder der Verleumdung aufzufinden“, wollte CDU-Rechtsexperte Sven Rissmann wissen, „und – falls ja – wie viele?“ Antwort Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne): „Von daher kann ich ihnen nur mitteilen, dass ihre Frage ungeachtet des Umstands, dass Verfahren wegen Verleumdung oder übler Nachrede überwiegend bei der Amtsanwaltschaft Berlin geführt werden, nicht beantwortet werden kann. Eine gesonderte statistische Erfassung der abgefragten Parameter, die eine entsprechende Eingrenzung der Verfahren im elektronischen Daten-Verwaltungssystem der Staatsanwaltschaft ermöglichen würde, ist nicht erfolgt.“ Erfolgt ist nun allerdings eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Peter Trapp an die Innenverwaltung: „Wie oft wurde im Jahr 2020 bei dem Straftatbestand Beleidigung Deliktschlüsselzahl 673000 der Anwendungsfall „Durchsuchung“ in Poliks angelegt?“ Im Deliktschlüsselzahl 673000 der Polizeilichen Kriminalstatistik werden alle Beleidigungstatbestände nach §§ 185-187 (Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung) und 189 StGB (Verunglimpfen des Andenkens Verstorbener) erfasst. Also: Wie häufig wurde bei Beleidigungstatbestände – wie im Fall von Müllers Strafantrag – eine Durchsuchung angeordnet? Antwort der Innenverwaltung: „Im Jahr 2020 wurde der erfragte Straftatbestand mit dem genannten Anwendungsfall dreimal angelegt.“ Anders ausgedrückt: Im Jahr 2020 wurden 19.319 Beleidigungsstraftaten erfasst, bei 0,015 Prozent der Verfahren gab es Durchsuchungen, in Zahlen: 3. Eine davon galt dem beleidigten Regierenden höchstpersönlich. | |||
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Ähnliche Zahlen weist das Wahlergebnis der Grünen in Sachsen-Anhalt aus, sorry, fiese Überleitung, Statistik-Profis würden jetzt sagen: doppelt so viel! Also gut: 5,9 Prozent fuhren die Grünen mit dem Fahrrad nach Hause, nur minimal gewonnen (0,7 Prozentpunkte) trotz der vermeintlichen Bundesrückenwindkraft. Hauptsache die Fünf steht, schien sich die Berliner Spitzenkandidatin Bettina Jarasch kurz nach 18 Uhr am Sonntag zu denken und twitterte: „Der Zugewinn von @GRUENE_LSA zeigt, dass unsere Themen wie Klimaschutz mittlerweile in allen Regionen fest verankert sind.“ Grün geframed ist halb gewonnen. Also noch mal nachgefragt: Frau Jarasch, kann dieses Ergebnis wirklich als Erfolg gewertet werden? „Die Grünen haben sich ein bisschen verbessert, wenn auch weniger als erwartet“, sagte Jarasch dem Checkpoint. In Sachsen-Anhalt hätten viele Menschen aus Sorge vor der AfD die CDU gewählt. „Das kann ich gut verstehen.“ Mit Berlin habe das aber wenig zu tun: „Berlin tickt anders, die Herzen der Menschen ticken nicht rechts. Hier sind wir der deutliche Gegenpol zur AfD. Wir können einen Wahlkampf über Inhalte führen.“ Während die Bundesgrünen sich angesichts des erfolgreichen Wahlergebnisses weniger ums Klima kümmern wollen (oder zumindest darüber sprechen), sieht Jarasch dieses Problem für Berlin nicht: „Wir treten mit dem Anspruch an, uns um die ganze Stadt zu kümmern.“ Die große soziale Frage sei hier die Wohnungsfrage „und die spielt bei uns eine sehr große Rolle. Wir sind ja hier in sämtlichen Themen unterwegs.“ Anders ausgedrückt: „Wir passen zu dieser Stadt, wir sind die Berlin-Partei.“ Na, darüber können die Berlinerinnen und Berliner glücklicherweise selbst entscheiden. Klar ist aber auch, dass Benzinpreisdebatten auch den 70 Prozent der Stadtbevölkerung stinken könnten, die außerhalb des S-Bahn-Rings wohnen. Es grüßt Renate Künast, die mit Tempo-30-Fantasien einst Klaus Wowereit zu einer weiteren Amtszeit verhalf (mehr zu Künast unten im Zitat). „Wir sind nach der Benzinpreisdebatte nicht mit Mails geflutet worden von empörten Autofahrern“, sagt Jarasch, die während des Interviews tatsächlich auf dem Fahrrad sitzt. „Meine Zuversicht gründet sich darauf, dass die Debatten sich weitergedreht haben. Wir müssen heute nicht mehr über Tempo 30 sprechen, die Stadt ist weitgehend eine Tempo-30-Zone, ohne dass es jemanden stört.“ Das merke sie auch beim Thema A100: „Die Debatte, die wir heute führen, wäre vor 10 Jahren undenkbar gewesen. Heute fühlt es sich für viele nicht mehr richtig an, eine Betonschneise durch die Stadt zu bauen, wo wir Grünflächen und Wohnungen brauchen. Wir kriegen da viel Zuspruch.“ Ach so, und die offenbar wichtigste Frage derzeit für eine grüne Spitzenkandidatin soll der Vollständigkeit halber auch noch gestellt werden: Ist Ihr Lebenslauf aktuell? Antwort: „Es ist alles öffentlich einsehbar.“ Es kommentiert Franz Beckenbauer (vom grasgrünen Flügel): Schaun mer moi, dann sehn mer scho. | |||
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Genau hingesehen haben viele bei der Einführung des Landesantidiskriminierungsgesetzes im vergangenen Jahr, das Bürgerinnen und Bürger besser gegen Diskriminierung durch die Polizei schützen soll. Kurz vor dem 1. Jahrestag des Inkrafttretens (21. Juni) zeigt sich: Viel Aufregung, wenig Anwendung. Bislang (Stand 3. Juni) sind bei der Polizei 49 Diskriminierungsbeschwerden gestellt worden – darunter Beschwerden wegen des Geschlechts (2) oder der geschlechtlichen Identität (2), des sozialen Status (4), der Weltanschauung (4), der chronischen Erkrankung (3) und auch eine wegen des Lebensalters – die meisten aber wegen ethnischer Herkunft (31) und rassistischer Zuschreibung (21). „Bei der polizeilichen Beschwerdebearbeitung wurden bisher keine Vorwürfe als berechtigt eingestuft“, teilte die Polizei auf Checkpoint-Anfrage mit. Doris Liebscher, Leiterin der entsprechenden Ombudsstelle bei der Justizverwaltung, sagt allerdings: Die Ombudsstelle habe entgegen der Entscheidung der Polizei in fünf Fällen die Diskriminierungsbeschwerde als berechtigt oder teilweise berechtigt anerkannt. Bei 18.000 Vollzugsbeamten eine sehr kleine Zahl. Doch bei allen ging es um Rassismus. Und da ist jeder Fall einer zu viel. | |||
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Noch mal schnell zurück in die Schule (Wechselmodell, Überraschung!). Da die Pandemie nun offenbar beendet ist, fragen wir doch mal nach, wie die Luft in den Schulen in Zukunft sein wird. Eine aktuelle Liste der Luftfilter nach Bezirk konnte die Bildungsverwaltung gestern auf Anfrage nicht liefern (Status: in Bearbeitung), allerdings sind zumindest fast alle bestellten Geräte inzwischen ausgeliefert: Von 7724 bestellten Luftfiltern wurden 6712 geliefert, Prozentrechnung: rund 87 Prozent. Kosten 14,6 Millionen Euro. „Die Auslieferung der Geräte soll innerhalb der nächsten zwei Wochen abgeschlossen sein“, teilte die Bildungsverwaltung mit. Pünktlich zu den Sommerferien ist die Sache komplett, wobei: Bei 16.000 Klassenräumen bleibt da immer noch die Hälfte der Beschulten dauerhaft im Dickicht der Aerosole sitzen, oder etwa nicht? „Der Einsatz von Luftreinigungsgeräten ist nur eine flankierende Maßnahme und ersetzt nicht das Lüften der Räumlichkeiten und auch nicht das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen!“, hieß es gestern aus der Bildungsverwaltung. „Es bleibt dabei, dass das vom Hygienebeirat erarbeitete und in den Musterhygieneplänen hinterlegte Lüftungsmanagement das Mittel der Wahl zur bestmöglichen Reduzierung virushaltiger Aerosole darstellt. Es ist daher nicht sinnvoll, wie mitunter populistisch gefordert, jeden Klassenraum mit einem teuren Luftreinigungsgerät auszustatten.“ Gut, dann fragen wir doch mal ganz unpopulistisch bei der Senatorin nach: Alles sauber zum Start des vollen Präsenzangebots am Mittwoch? „Mir ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler noch einmal im gesamten Klassenverband zusammenkommen, um sich auszutauschen und wieder zueinander zu finden“, sagt Sandra Scheeres, SPD. „Das wird den Kindern und Jugendlichen guttun.“ Den Lehrkräften biete sich im persönlichen Gespräch zudem die Möglichkeit herauszuhören, wie es dem jeweiligen Schüler, der jeweiligen Schülerin im Wechselunterricht ergangen ist. „Insofern können sich hier auch weitere Ansätze zur individuellen Förderung ergeben. Dies kann dann in die Lernstanderhebungen einfließen, die zu Beginn des neuen Schuljahres an allen Schulen durchgeführt werden sollen.“ Die Präsenzpflicht bleibt allerdings zunächst ausgesetzt, heißt: Komme, wer wolle. Pünktlich zu den Ferien sucht die Bildungsverwaltung übrigens eine „Schulserverlösung für den edukativen Bereich“. Hoffentlich ist da nichts abgestürzt. | |||
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