Die Millionenklage

Umweltschützer*innen mit horrenden Klagen mundtot machen – das geschieht europaweit immer häufiger. Ein besonders drastischer Fall wird jetzt in Südtirol entschieden. Weil sie den massiven Pestizideinsatz im Obstanbau kritisierten, droht Aktivist*innen eine Strafe in Millionenhöhe. Wir fordern mit unserem Appell: Das darf nicht passieren! Unterzeichnen Sie jetzt.

 

Hallo John Do,

„Ganz ehrlich – das könnte uns ruinieren“, fürchtet Karl Bär. Der Pestizid-Gegner setzt sich mit dem Münchner Umweltinstitut seit Jahren für den Ökolandbau ein – nun soll er schweigen. Der Südtiroler Landesrat Arnold Schuler verklagt den Agrarexperten, es geht um Millionen. Das „Verbrechen“: Bär hat den massiven Pestizideinsatz auf Südtiroler Apfelplantagen kritisiert[1] – denn zwischen Bozen und Meran kommen sechsmal so viele Ackergifte auf die Felder wie im italienischen Durchschnitt.[2] Für Äpfel, die zum großen Teil auf unseren Tellern landen.

Klagen wie diese haben System: Wer gewinnt, ist fast egal. Was zählt, ist ein langes und teures Verfahren – denn das lähmt die Gegenseite. Das wahre Ziel: Kritiker*innen mundtot machen. So sieht es auch die Süddeutsche Zeitung: „Können Umweltschützer auch künftig auf Missstände hinweisen? Oder wird in Südtirol ein Präzedenzfall für ganz Europa geschaffen, um genau das zu verhindern?“[2]

Es ist kein Zufall, dass es um Aktivist*innen aus Deutschland geht. Die Bundesrepublik ist größter Importeur von Äpfeln aus Südtirol, zudem stammt rund die Hälfte der Tourist*innen aus Deutschland.[3][4] Südtirol will deshalb schlechte Presse vermeiden – denn die Vorwürfe rütteln am idyllischen Alpen-Bild. Und Risse kann dieses Bild nicht gebrauchen. Auf die Stimmung in Deutschland schaut Schuler, der in der Landesregierung für Landwirtschaft und Tourismus zuständig ist, also ganz besonders.

Und die öffentliche Meinung dreht sich gerade – erste große Tageszeitungen haben bereits über den Fall berichtet. Noch kann der Landesrat handeln und die Klage zurückziehen. Doch dafür müssen wir schnell sein: Der Prozess beginnt schon in der nächsten Woche. Karl Bär und seine Mitstreiter*innen wollen dann protestieren – und mindestens 100.000 Unterschriften präsentieren. Unterstützen Sie die Umweltschützer*innen und unterzeichnen Sie jetzt den Appell.

„Kritische Stimmen per Klage zum Schweigen bringen – solche Knebelklagen haben System“, weiß Karl Bär. Der Energiekonzern RWE fordert 2,1 Millionen Euro von fünf Klimaaktivist*innen, weil sie friedlich ein Kohlekraftwerk besetzt haben.[5] PayPal hat die gemeinnützige Organisation SumOfUs verklagt – die protestierte gegen eine Zusammenarbeit des Bezahldienstes mit Neonazis.[6] Weltweit haben sich Anwaltsbüros auf solche Klagen spezialisiert; auch überall in Europa nutzen Konzerne und Politiker*innen die Strategie.[6]

Dabei ließe sich das verhindern: mit einem Gesetz gegen Klagen, die nur einschüchtern und Aktivist*innen behindern sollen. Kanada hat es bereits vorgemacht.[7]Auch die EU könnte es Gerichten ermöglichen, Knebelklagen früh abzuweisen und den Angeklagten so hohe Anwaltskosten ersparen. Ein Schutz, den einige EU-Parlamentarier*innen bereits fordern – doch die EU-Kommission bleibt untätig.[6] Sie wird nur handeln, wenn Protest gegen solche Klagen immer wieder Schlagzeilen macht. So wie jetzt.

Am kommenden Dienstag stehen nicht nur die beschuldigten Aktivist*innen vor Gericht – es geht auch um die Zukunft der europäischen Zivilgesellschaft. Deshalb stehen wir jetzt solidarisch zusammen und zeigen: Wir nehmen diesen Angriff auf die Meinungsfreiheit nicht hin – und fordern Redefreiheit für Pestizid-Kritiker*innen. Dafür brauchen wir Ihre Stimme. Unterzeichnen Sie den gemeinsamen Appell von WeMove, Umweltinstitut und Campact – zeigen Sie sich solidarisch mit Karl Bär.

Herzliche Grüße
Friederike Gravenhorst, Campaignerin

PS: Nicht ganz Südtirol ist vergiftet: Das Dorf Mals will der Agrarlobby trotzen und sein Obst pestizidfrei anbauen. Bemerkenswert, oder? Das dachte auch der Autor Alexander Schiebel und schrieb ein Buch über den Kampf des Dorfes. Dafür steht auch er nun mit vor Gericht.[2] Bitte schließen Sie sich dem Protest gegen diese Einschüchterungsversuche an – und unterzeichnen Sie jetzt unseren Eil-Appell.

[1]„Luft in Südtirol durch Pestizide belastet“, Deutschlandfunk Online, 8. März 2019

[2]„Zank um Äpfel“, Süddeutsche Zeitung, 7. September 2020

[3]„Außenhandel 2018: Äpfel sind für Südtirol nicht mehr das wichtigste Exportgut“, Südtirol Online, 3. März 2020

[4]„Tourismusjahr 2019 – Nächtigungen nach den wichtigsten Herkunftsländern“, Tiroler Landesstatistik, eingesehen am 7. September 2020

[5]„Millionen-Klage gegen Aktivist*innen“, die tageszeitung, 19. Februar 2019

[6]„Sued into Silence. How the Rich and Powerful Use Legal Tactics to Shut Critics Up“, greenpeace.eu, eingesehen am 7. September 2020

[7]„B.C. legislature unanimously passes anti-SLAPP legislation“, CBC NEWS, 8. März 2019