Liebe/r Leser/in, mal angenommen, Sie sind gläubig. Ist es der leidende und am Kreuz sterbende Christ, an den Sie glauben? Oder ist es der Auferstandene? Derjenige, der dem Tod den Stachel nimmt und etwas verheißt, was nicht zu fassen ist? Diese beiden möglichen Wege Ihres Glaubens (wenn Sie denn glauben) verlaufen getrennt, Sie können auf dem einen wandern, ohne sich um den anderen zu kümmern. Nur an einer Stelle kommen sich die Wege nah, ja scheinen sich zu berühren und ineinanderzugehen. Das ist an Ostern. Ihr Glaube (sollten Sie glauben) richtet sich auf die Geschehnisse des Karfreitags oder die des darauffolgenden Sonntags. Hoffnung, so heißt es, sei das Geheimnis dieser Nächte und Tage. Wir werden jetzt wieder von Hoffnung lesen und hören – und sicher viel davon, wie wichtig Hoffnung gerade in der heutigen Zeit ist. Wir werden hören, nicht zum ersten Mal, dass wir ohne Hoffnung nicht leben können. Dass wir ein Licht brauchen, einen Hinweis darauf, dass alles gut wird. Irgendwann. Ich frage mich: Wird alles gut? Wo ist das Licht? Müssen wir wirklich hoffen, um zu überleben – oder müssen wir vielmehr von der Hoffnung lassen, um uns mit aller Kraft und klarem Blick dem zu stellen, was das Dasein an Leid und Liebe für uns bereithält? In der Ostergeschichte lesen wir von der verzweifelten, dann überraschten Maria Magdalena und von ihrem Meister, der sie davon abhält, ihn festzuhalten. Wir lesen vom leeren Grab. Es erschüttert uns. Weil es davon erzählt, dass wir alles und jeden verlieren. Dass wir die Menschen, die uns Halt geben, die wir brauchen und lieben, ohne die wir nicht sein wollen, dass wir diese Menschen verlieren. Wir sind sterblich, davon erzählt das leere Grab. Ausgeliefert der Gewalt, dem Alter, dem Siechtum. Woher rührt unsere Kraft, all das auszuhalten? Brauchen wir Hoffnung auf etwas Unbeschreibliches? Oder bauchen wir den klaren Blick – auf einen Ort, der uns zeigt, wer und was wir sind und sein können? Jene, die glauben (auch wenn sie an ihrem Glauben bisweilen zweifeln), scheinen einen anderen Weg zu gehen als jene, die nicht glauben (auch wenn diese an ihrem Unglauben nicht immer festhalten). Ostern zeigt uns, dass beide Wege an denselben Ort führen – an ein leeres Grab. Die Autorin Joan Didion sagt, wir erzählen uns Geschichten, um zu leben. Sie hat Recht, glaube ich. |