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Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 09.07.2024 | leicht bewölkt bei 17 bis 31°C. | ||
+ Berliner Polizei behindert Trauerkundgebung nach Angriff auf Kiew + Bildungs-Gewerkschaften zerlegen sich + Renate Künast tritt ab + Ein Gedicht für „Icke“ Häßler + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, na, das wurde auch mal Zeit. Der Bundespräsident hat während der Fußball-EM endlich die richtigen Worte gefunden für unser gern an sich selbst zweifelndes und verzweifelndes Land. Hören wir kurz rein: „Man kann immer Probleme sehen, und wir haben Probleme im Land, man kann aber auch von Lösungen sprechen. Ob die dann klappen oder nicht, weiß man vorher nicht. Aber man muss den Mut haben, es zu probieren – und wenn es dann nicht klappt, auch den Mut haben, etwas Neues zu machen. Anstatt immer nur zu meckern und zu sagen: Alles ist schlecht, alles ist blöd, alles ist traurig – aber ich bin nicht verantwortlich, der Andere ist schuld! Ich wünsche mir für dieses Land, dass wir verstehen, dass es gemeinsam einfach besser geht. Wenn wir immer nur in Tristesse verfallen, wird sich keiner verbessern.“ So hat Julian Nagelsmann, mit 36 Jahren jüngster deutscher Fußball-Nationaltrainer, der Nation ins Gewissen geredet. Von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (68, SPD) wartet man nach mehr als sieben Jahren Amtszeit noch immer auf ähnlich bleibende Worte. Aber auch darin liegt eine Chance: es zumindest einmal zu probieren. | |||
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Reden und reden lassen. Oft ist das schon ein erster Schritt aufeinander zu. Im auch auf Berlins Straßen tobenden Nahost-Konflikt kommen die versöhnenden Stimmen (die für das Überleben der palästinensischen Zivilbevölkerung eintreten, sich aber von der Terrorgruppe Hamas nach ihrem Massaker in Israel distanzieren) kaum zu Wort. Eine besondere und deutschlandweit bisher einmalige Initiative soll das nun ändern. „Wir wollen Dialogräume schaffen, in denen wir jüdisch-muslimische, israelisch-palästinensische und alle anderen vielfältigen und verschiedenen Positionen zusammenbringen“, erzählt Dervis Hizarci am Checkpoint-Telefon. Der 41-jährige Pädagoge ist Chef der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus und soll nun eine Art Runden Tisch für die etwa 20.000 jüdischen Menschen und gut 40.000 Einwohner mit palästinensischen Wurzeln organisieren. „Es geht um moderierte Gespräche mit gemeinsamen Regeln: aussprechen, zuhören, ausreden lassen, aushalten, bei gegenseitigen Verletzungen innehalten und nachfragen, die andere Person sehen und die andere Seite verstehen“, berichtet Hizarci. Dafür soll es drei Jahre lang sowohl öffentliche Veranstaltungen als auch vertrauliche Dialogrunden geben. „Viele sagen ‚Nie wieder ist Jetzt!‘, aber oft sind das nur leere Worte. Wir wollen die Worthülsen mit Inhalten füllen, eine echte Verständigung erreichen und Einstellungen zueinander ändern.“ Hizarci, selbst als Sohn einer türkischen Gastarbeiterfamilie in Neukölln aufgewachsen und als Lehrer und Aufsichtsrat der Türkischen Gemeinde seit 20 Jahren für die Verständigung in Berlin aktiv, berichtet im Gespräch auch von seinen eigenen Empfindungen: „Nach dem Massaker der Hamas waren viele engagierte Menschen in der Zivilgesellschaft in Schockstarre. Es gab nur noch extreme Reaktionen, die meisten pro-palästinensischen Demos waren anti-israelisch, auf Solidaritätskundgebungen für jüdische Bürger fühlten sich viele Palästinenser mit ihrem Leid nicht aufgehoben.“ Nun soll es Schritte für ein gemeinsames Verständnis füreinander geben. „Wir müssen das Schwarz-Weiß-Denken beenden und die Scharfmacher in den sozialen Medien die Argumente nehmen“, sagt Hizarci. Einer der Väter der Initiative hat selbst palästinensische Wurzeln: SPD-Fraktionschef Raed Saleh. „Ich bin froh, dass Profis neue Dialogräume organisieren, um Brücken zu schlagen zwischen den Religionen“, sagte Saleh dem Checkpoint. „Berlin hat es schon einmal geschafft, Mauern einzureißen. Und wir sind zu einer erfolgreichen Verständigung verdammt, damit Berlin Heimat für uns alle bleibt.“ Die Lottostiftung, in der auch Saleh tätig ist, hat 920.000 Euro für das Projekt bewilligt. „Dialog ist ganz wichtig für unsere Demokratie, denn nur Populisten profitieren davon, wenn sich jeder in seiner Ecke verschanzt“, sagt Saleh. „Unser Menschsein besteht darin, gegenseitig Empathie zu entwickeln. In jedem schlägt ein Herz, das groß genug ist für Menschlichkeit.“ Laut Projektleiter Hizarci sollen ab Januar kommenden Jahres zunächst mehrere Gruppen mit mehreren Dutzend Menschen den Dialog starten, über öffentliche Veranstaltungen etwa in der Volksbühne sollen dann auch tausende Menschen erreicht werden. „Jesus hatte am Anfang nur zwölf Jünger um sich, und da ist auch was Größeres draus geworden“, scherzt Hizarci. Seine Wunschvorstellung für einen erfolgreichen Prozess formuliert er so: „Ich möchte, dass am Ende auch ein arabischstämmiger Apotheker in Neukölln einen Zufluchtsort für verfolgte Jüdinnen und Juden anbietet.“ Nicht nur unserer Stadt würde solch ein Klima guttun. | |||
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Zu den traurigen Realitäten unserer Welt von heute gehört: Russland terrorisiert weiter Europas Zivilbevölkerung. Am Montag ließ Kriegsdiktator Putin unter anderem das größte Kinderkrankenhaus der Ukraine in Kiew bombardieren, bei einem der schwersten Luftangriffe auf den Nachbarstaat starben mindestens 37 Menschen. Sahra Wagenknecht, deren Populismus-Bündnis beständig das angegriffene Land zu einem Waffenstillstand zulasten der eigenen Freiheit auffordert, äußerte sich zum russischen Bombenterror am Montag nicht. Was auch alles sagt. Nichts sagen durfte gestern Abend zudem die trauernde ukrainische Gemeinde bei einer Demonstration vor der russischen Botschaft. Die Berliner Polizei erließ überraschend eine beschränkende Verfügung, dass keine Redebeiträge auf Ukrainisch erfolgen dürften. Zur Begründung erklärte die Polizeiführerin vor Ort, man habe keinen Dolmetscher auf Ukrainisch und könne die Redebeiträge deshalb nicht kontrollieren. Der richtige Hinweis von Patrick Heinemann, Anwalt der Vertretung ukrainischer Menschen in Deutschland Vitsche, dass bei der Trauerkundgebung keinerlei Anzeichen für eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestehe, wurde weggewischt. Für Heinemann ist das „grob rechtswidrig“, da die Beweislast für unzulässige Beiträge auf Ukrainisch bei der Polizei liege. Maria Borysenko von Vitsche sagte dem Checkpoint am Abend: „Unsere Sprache, die schon so oft unterdrückt wurde, ist wichtig für unsere Identität, für unsere Trauer. Gerade an diesem Tag.“ Kaum zu glauben, dass Berlins Polizei dies nach einem solch dramatischen Angriff nicht auch ohne Dolmetscher versteht. | |||
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Eine Umfrage unter Eltern, was wohl die ausgedehnten Lehrerinnen- und Kitastreiks mit ihnen machen, würde wohl so ausfallen wie das Geschrei in plötzlich allein gelassenen Krabbelgruppen. Dass aber auf der gestrigen „Verdi“-Kundgebung vor dem Rathaus Charlottenburg offenbar „Happy Birthday“ für alle Kinder gesungen wurde, die diese Woche nicht ihren Geburtstag in der Kita feiern können (so berichten es Teilnehmende), können sich wohl nur Gewerkschaftsfunktionärinnen ausdenken, die ihr widerständiges Hobby zum Beruf gemacht haben, von der Bühne gegen Kitas hetzen, die nicht auf Streiklinie sind und sich öffentlich damit brüsten, dass ihr eigenes kleines Kind bei jedem Streik dabei sei. Es hat wie viele Eltern, die inzwischen Urlaub nehmen müssen für die Betreuung, ja auch gar keine andere Wahl. Genauso wenig Wahlfreiheit blieb dem in seiner GEW nicht mehr beliebten Tom Erdmann, der in der bröckelnden Bildungsgewerkschaft vor allem links eingestellte Mitarbeiter unterbrachte, nun aber über die Speicherung eines illegal mitgeschnittenen internen Protokolls stolperte und am späten Montagabend seinen Rücktritt verkündete. „Die Konflikte waren zu groß, die Lösung dessen hat der Landesvorstand mir nicht zugetraut“, teilte er nach neun Jahren im Amt mit. Vielleicht sollten sich die Gewerkschaften erst einmal selbst nicht mehr benehmen wie im Kindergarten, bevor sie lauthals verkünden, die Lage für Berlins Bildung verbessern zu wollen. | |||
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Wir kommen zu Berlins Lieblingsbeschäftigung: der Selbstbefassung mit der Frage, wie die Stadt bald einmal besser funktionieren könnte. Nach dem Senatsbeschluss zur Verwaltungsreform (Checkpoint vom 2. Juli) machen sich bereits die CDU-geführten Senatsverwaltungen darüber Gedanken, wie sie künftig mit weniger Leuten besser ins Arbeiten kommen. Wie die Verwaltungen bald mit Künstlicher Intelligenz manch menschliche Dummheit bekämpfen wollen, lesen Sie in der Checkpoint-Vollversion – und zwar hier. | |||
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Politik ist nichts, was man mit links macht. Aber links gelabelte Politik kann auch in schweren Zeiten noch erfolgreich sein, wie die Wahlen in Großbritannien und Frankreich gerade gezeigt haben. In Deutschland dagegen kämpft die Linke als Partei gerade ums Überleben und muss massive Austritte verkraften wie etwa den von René Wilke, dem jungen, pragmatischen und weithin anerkannten Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder). Das einst aus der DDR-Staatspartei SED hervorgegangene Gebilde, das nach vielen Verwandlungen das soziale Gewissen Ostdeutschlands sein wollte, droht nun gerade im Osten aus der Wahrnehmung und aus den Landtagen zu fallen. Nach einer internen Wochenend-Klausur der Parteispitze versprach Parteichef Martin Schirdewan am Montag in Berlin „strukturelle Reformen für die Partei, damit wir als Organisation wieder politikfähiger werden“ und kündigte eine „strategische Richtungsentscheidung“ bei den „großen Themen unserer Zeit“ an. Dies seien Migration und Einwanderung sowie Außen- und Sicherheitspolitik. Fragt sich nur, wie lange die Linke noch braucht, um in der Realität einer sich krisenhaft verändernden Welt anzukommen. Warum im Osten die Linke untergeht, habe ich hier analysiert. Und unseren neuen, wöchentlichen Tagesspiegel-Newsletter „Im Osten“ zur Lage vor den wichtigen Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen können Sie kostenlos hier abonnieren. Danke für Ihr Interesse! | |||
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Sie pflegt die direkte Berliner Schnauze und hat eine ganze Menge Selbsthumor. Nun sagt Renate Künast trocken und für die Berliner Grünen sicher auch schmerzvoll: „Es ist Zeit, um Platz für Jüngere zu machen.“ Schon in den Achtzigern in der West-Berliner Alternative Liste (AL) aktiv, stieg Künast nach der Einheit bei Bündnis 90/Die Grünen zur führenden Realo auf, bevor sie als Bundesministerin den Verbraucherschutz erstmals zur Politik erhob und die Agrarwende anschob. Vor nunmehr schon 13 Jahren scheiterte sie bei der zunächst für sie aussichtsreichen Berliner Wahl zur Regierenden Bürgermeisterin. Aktiv blieb sie dennoch weiter, bis heute geht die 68-Jährige mit der ihr eigenen Energie gegen Hass und Hetze vor. Eine jute Type, wie sie selbst wohl sagen würde, findet einen guten Ausgang. Auch das schaffen in der Politik nicht viele. | |||
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