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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Mittwoch, 25.05.2022 | Wolkig bei max. 21°C. | ||
+ Bundeswahlleiter fordert: Halb Berlin muss neu wählen + Ordnungsamt verbietet sonntags Verkauf von Zeitungen + Giffey verteidigt Bildungssenatorin Busse – und warnt Kritiker + |
von Lorenz Maroldt |
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Guten Morgen, schauen wir zunächst mal kurz auf eine Studie des Rheingold-Instituts – denn demnach versuchen „wir“ (gemeint sind die Deutschen), den Krieg in der Ukraine zu verdrängen und „Normalität zu beschwören“. Und deshalb fangen wir, obwohl es spannende Nachrichten aus Berlin gibt, hier auch heute wieder wie in den vergangenen drei Monaten mit einem Blick auf die Kriegsereignisse der vergangenen Stunden an: +++ In den drei Monaten des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind nach Kiewer Angaben etwa 20.000 mutmaßliche Kriegsverbrechen angezeigt worden. Allein 13.500 solcher Taten hätten die Ermittler der Polizei registriert, sagte Innenminister Denys Monastyrskyj im ukrainischen Fernsehen. +++ Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban verhängt wegen des Kriegs in der benachbarten Ukraine den Notstand in seinem Land. Dieser erlaubt es Orban, Gesetze aufzuheben und Zwangsmaßnahmen auf dem Verordnungsweg zu treffen. Die verfassungsrechtliche Grundlage für diese Art von Notstand hatte Orban erst wenige Stunden zuvor im Parlament schaffen lassen. +++ Russische Truppen haben nach Angaben des ukrainischen Militärs während der Angriffe in den Regionen Luhansk und Donezk im Osten des Landes mindestens 14 Zivilisten getötet und 15 weitere verletzt. In unserem Tagesspiegel-Newsblog informieren wir Sie rund um die Uhr über die Entwicklungen in dem Krieg. | |||||
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Zu den Meldungen aus Berlin: Was Bundeswahlleiter Georg Thiel gestern im Wahlprüfungsausschuss des Bundestags über die Vorgänge vom 26.9.21 Berlin sagte, kann eigentlich nur diejenigen überraschen, die bisher nach dem Motto „Nichts sehen, nichts hören, nicht sagen“ alle bekannten Pannen als Teil der ortstypischen Folklore abgetan und das Gerede über Neuwahlen für oppositionellen und medialen Klamauk gehalten haben („Berichterstattung zu aufgeregt“). Denn jetzt wird es ernst, aus 3 Gründen: 1.) Thiel fordert, dass in 6 von 12 Berliner Wahlkreisen die Bundestagswahl wiederholt werden muss. 2.) Was für die Bundestagswahl gilt, hat Folgen für die Abgeordnetenhauswahl – hier droht jetzt das gleiche (mindestens). 3.) Thiels Bewertung der Berliner Zustände ist erschütternd: Wer hier eine Verbesserung erkannt haben will, sollte schleunigst zum Arzt gehen. Schauen wir uns an, was der Bundeswahlleiter von Berlin hält: + „Wir sind hier in einer Bundeshauptstadt eines zivilisierten Landes. Da darf so etwas nicht vorkommen.“ + „Das war ein komplettes systemisches Versagen der Wahlorganisation“. + „Es gab grundlegende verwaltungsorganisatorische Missstände und gravierende Wahlmängel“. + „Was muss sonst noch passieren, dass wir Wahlen als nicht optimal gelaufen oder rechtswidrig oder wiederholungsfähig ansehen?“ Checkpoint-Autor Julius Betschka fasst die Anhörung so zusammen: „Diese Wahl verlief wie ein schiefgegangener Slapstick-Auftritt, bei dem niemand lacht und der Veranstalter am Ende so tut, als sei das genau das Konzept gewesen.“ | |||||
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Giffey könnte recht behalten – aber auch eine halbe Neuwahl wäre ein Desaster für Berlin. Der Bundeswahlleiter hält die Pannen für so gravierend, dass er in folgenden Bundestagswahlkreisen neu wählen lassen will: + 75 Mitte + 76 Pankow + 77 Reinickendorf + 79 Steglitz-Zehlendorf + 80 Charlottenburg-Wilmersdorf + 83 F‘hain-Kreuzberg / Prenzlauer Berg Ost Bisher festgestellt wurden „erhebliche Mängel“ in mindestens 311 von 2257 Wahllokalen. | |||||
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Jetzt kommt es auf den Bundestag an – und, was das Abgeordnetenhaus betrifft, aufs Landesverfassungsgericht. Aber egal, wie wer entscheidet: Die Wahlen in Berlin werden vor dem Bundesverfassungsgericht landen, und zwar auf dem Bauch. Ob neu gewählt werden wird, und wenn ja wann, bleibt weiter offen – und auch deshalb entbrennt jetzt der politische Streit: Der Berliner CDU-MdB Thomas Heilmann sagte uns gestern: „Die Wahlfehler in Berlin sind hochpeinlich für den Senat und haben dramatische Ausmaße.“ Noch schlimmer als bei der Bundestagswahl sei es bei der Abgeordnetenhauswahl zugegangen. „Hier muss es nicht nur eine Neuwahl, sondern auch politische Konsequenzen geben.“ Die Berliner SPD-MdB Cansel Kiziltepe hält dagegen: „Die Wahlen werden von den Bürgerinnen in Selbstorganisation durchgeführt. Somit bilden die Wahlhelferinnen das Fundament der Organisation der politischen Beteiligung. Es ist ein Trauerspiel, dass die CDU versucht, diese Schwierigkeiten parteipolitisch zu instrumentalisieren.“ Und der frühere Berliner MdA Marcel Luthe, einer der Kläger gegen das amtliche Wahlergebnis, schickte uns diese Nachricht: „Noch stärker als die Bundestagswahl war wegen der kleineren Wahlkreise natürlich die Abgeordnetenhauswahl betroffen. Angesichts des jetzt bereits bekannten, in meinem Einspruch schon im Oktober 2021 vorgetragenen systematischen Organisationsversagens der SPD-geführten Innenverwaltung kann das aktuelle 19. Abgeordnetenhaus keinen Bestand haben und ist durch den Verfassungsgerichtshof wie beantragt aufzulösen. Bis zu einer Wahlwiederholung muss dann das 18. Abgeordnetenhaus wieder zusammentreten – und einen Senat bestimmen, der in der Lage ist, eine Wahl auch halbwegs demokratisch durchzuführen.“ Soweit für heute der Stand der Dinge zur Wahl, die ab sofort nicht mehr als „die vergangene“ zu bezeichnen ist: Das Chaos wirkt fort, die Wahl bleibt gegenwärtig, das Ergebnis ist nur vorläufig – und Berlin schreibt weiter an der Fortsetzung der Story von der „Failed City“. | |||||
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Was in Berlin verlässlich funktioniert, ist die Gängelung von Familienbetrieben, die auch an Sonntagen ein wenig weltstädtische Offenheit wagen (CP vom 22.5.). Der kleine Zeitungskiosk am Kurfürstendamm Ecke Uhlandstraße, stets betrieben hart am Rand der Profitabilität von einem älteren alevitischen Herren (Sie kennen ihn vielleicht, wenn Sie dort schon mal vorbeigeschlendert sind), hat Post vom Ordnungsamt bekommen. In einem mehrseitigen Schreiben wird der Betreiberfamilie vorgeworfen, dass sie ihren Kiosk „am Sonntag, den 08.05.2022 um 9:20 Uhr (…) zumindest fahrlässig geöffnet gehalten und ihr aus Zeitungen, Tabakwaren, Souvenirs, Berlin-Postkarten Süßwaren und Erfrischungsgetränken bestehendes Warensortiment zum Verkauf angeboten“ habe. Verkauft werden dürfe aber nur, was „den Bedarf von Touristen“ nach §4 Abs.1 Nr.1 BerlLadÖffG erfüllt, und den kennt das Ordnungsamt Charlottenburg-Wilmersdorf ganz genau: „Mindestens die durch Sie auch angebotenen Zeitungen und Zeitschriften sowie die Sonnenbrillen gehören nicht zum Warensortiment des §4 Abs.1 Nr.1 BerlLadÖffG.“ Denn mit Zeitungen und Sonnenbrillen, das wissen wir in Berlin seit dem Kalten Krieg, verkleiden sich nicht Touristen, sondern Spione. | |||||
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Kleine Zugabe gefällig? Ok, machen Sie sich auf was gefasst, sonst lachen Sie sich gleich einen Ast… In Pankow drechselt das Grünflächenamt, vom Checkpoint bereits vor Jahren in Grauflächenamt umbenannt, weiter an seinem Ruf: Für einen neuen Fußweg an der Werneuchener Wiese (Volkspark Friedrichshain) sollen 26 stattliche, gesunde Eschen abgeholzt werden. Bevor sie die Sägen kreischen lassen, nahmen sich die Graufäller aber noch Zeit, um die Vorsitzende des Vereins „Pro Kiez Bötzowviertel“ anzuzeigen – und in einem Tempo, das jedes Bürgeramt vor Scham erröten lässt (vom Einbürgerungsamt ganz zu schwiegen, mehr dazu weiter unten), verhängte das Ordnungsamt nur wenige Tage später ein Ordnungsgeld (AZ 21-1007/22 OWi). Der Vorwurf: Die Vorsitzende habe „zumindest am Montag, den 02.05.2022 um 08:00 Uhr (…) auf Seiten der Werneuchener Wiese fahrlässig ohne Erlaubnis mehrere geschützte Bäume durch das Plakatieren von Flyern mit dem Aufruf ‚Bezirksamt Pankow will die Eschenallee fällen‘ beschädigt.“ Wir fassen nochmal zusammen: Wer aus Protest gegen das Fällen von Bäumen Flyer an Bäume anheftet, wird bestraft wegen der Beschädigung von Bäumen, die gefällt werden sollen. Tja, um das zu verstehen, muss man wohl ein Abschlusszeugnis von der Baumschule haben (oder ein dickes Brett vorm Kopf). | |||||
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Die im Checkpoint vorgerechnete Lehrkräftelücke fürs kommende Schuljahr (knapp 1000) wird jetzt auch offiziell bestätigt – Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse spricht von 920 fehlenden Lehrerinnen und Lehrern. Es ist nicht ihr einzige Problem – in der Koalition wird ihr die fehlende Gegenwehr bei den Haushaltseinsparungen, Unkenntnis der Verwaltung sowie ablehnendes Verhalten gegenüber türkischen und arabischen Communities vorgeworfen. | |||||
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Und wie steht Franziska Giffey zu ihrer Wahl? Nach der Senatssitzung sagte sie gestern: „Unsere, meine Unterstützung gilt der Bildungssenatorin“. Es gebe „überhaupt keinen Anlass, über Rücktrittsszenarien zu sprechen“. Wer dergleichen behaupte, tue dies „nicht im Sinne des Berliner Senats“. Tja, das klingt doch ziemlich deutlich nach einer Botschaft an ihre Nächsten – da bahnt sich wohl eine Machtprobe an. Und was meinen Sie? | |||||
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Neues aus der beliebten Reihe „Plagiate Made in Berlin“ – heute vergleichen wir die Jubel-PR auf der Website der Immobilienfirma Groth zum „Quartier Neulichterfelde“ mit einem „redaktionellen Beitrag“ des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf auf der Senatsplattform berlin.de. Erkennen Sie den Unterschied? Groth: „Geschaffen wird ein Zukunftsquartier, das neue Maßstäbe setzt: innovativ, nachhaltig und lebenswert.“ Bezirksamt: „Geschaffen wird ein Zukunftsquartier, das neue Maßstäbe setzt: innovativ, nachhaltig und lebenswert.“ Na? Ok, noch eins: Groth: „Eine Lebenswelt für ca. 6.000 Menschen, die mit- statt nebeneinander leben und arbeiten und sich als Teil eines großen Ganzen sehen, in dem Umwelt, Klima und natürliche Ressourcen höchste Wertschätzung erfahren und mit Umsicht behandelt werden.” Bezirksamt: „Eine Lebenswelt für ca. 6.000 Menschen, die mit- statt nebeneinander leben und arbeiten und sich als Teil eines großen Ganzen sehen, in dem Umwelt, Klima und natürliche Ressourcen höchste Wertschätzung erfahren und mit Umsicht behandelt werden.” So ein Zufall aber auch! Und das Beste: So geht das über drei Absätze weiter (ersparen wir uns hier mal lieber) – stolzer Eigenanteil des BA: ein einziger Satz. Tja, was sagt denn Bürgermeisterin Maren Schellenberg zu dieser subtilen Form der elefantösen Schleichwerbung? „Dieser Informationstext wurde aus Gründen der Effizienz ausgewählt.“ Aha! Da wäre es doch eigentlich noch effizienter, die Groth-Gruppe würde gleich das ganze Bezirksamt… oder etwa nicht? (Q: DS 062/VI, Anfrage Dennis Gonzales). | |||||
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