Alleinsein will gelernt sein
Dieser Ausspruch ist keine Floskel. Ein bewusster Umgang mit dem Alleinsein ist lebensnotwendig, damit aus dem Alleinsein nicht Einsamkeit wird. Vor einiger Zeit las ich einen Spruch: „Allein sein zu müssen ist das Schwerste, allein sein zu können das Schönste.“ Warum muss man das Alleinsein üben? Ganz einfach, weil der Mensch ein soziales Wesen ist und die Gemeinschaft braucht. Wenn er allein ist, muss er sich auf seine Stärken und Fähigkeiten besinnen und verlassen können. Im Kindesalter ist das Alleinsein oft angstbesetzt und manchmal auch bedrohlich, dadurch ist es negativ gespeichert. Wir müssen erst lernen, damit umzugehen und zwischen angenehmen und unangenehmen Gefühlen zu differenzieren, wenn wir alleine sind. So kann es überaus schön sein, als Kind mal alleine zu Hause zu sein und die Schokoladenvorräte aufzuessen oder ein verbotenes Fernsehprogramm zu schauen. Wenn aber plötzlich durch einen Kurzschluss der Fernseher kaputt geht oder der Magen die viele Schokolade wieder ausspuckt, entstehen Gefühle der Hilflosigkeit oder der Verlassenheit und das Alleinsein ist nicht mehr erwünscht. Kinder, die allein gelassen werden, fühlen sich verlassen, hilflos und reagieren mit Panik. Sie werden das Alleinsein verinnerlichen und als stete Bedrohung mit sich tragen. Der Zustand des Alleinseins wird dann mit dem negativen Gefühl der Einsamkeit verbunden und in Zukunft weitestgehend vermieden. Machen wir überwiegend angenehme Erfahrungen und lernen, dass Alleinsein entspannend, bereichernd und auch aufregend sein kann, entwickeln wir die Sicherheit, dass wir in der Lage sind, diese Situationen zu bewältigen. Was können wir tun, wenn wir als Erwachsene plötzlich alleine leben und nicht einsam sein wollen? Zuerst sollten die eigenen Bedürfnisse im Vordergrund stehen: Was will ich? Was tut mir gut? Welche Fähigkeiten habe ich? Unsere Interessen oder Bedürfnisse führen uns zu anderen Menschen, denen es ähnlich ergeht. So knüpfe ich Außenkontakte, die meinem Temperament und Interesse entsprechen. Die Treffen und der Austausch mit Menschen tragen dazu bei, den Alltag zu verschönern. Sich selbst ein Programm oder eine Struktur zu geben, erfordert einiges an Disziplin und Selbstbewusstsein, ist aber letztendlich bereichernder als passiv zu bleiben. Wie wir mit dem Alleinsein umgehen, ist sicherlich auch eine Frage der Mentalität und der Umstände, die dazu geführt haben. Menschen, die selbstbewusst auf andere zugehen können und sich in Gesellschaft wohlfühlen, haben es leichter als Menschen, die introvertierter sind und sich im Umgang mit Anderen unsicher oder unwohl fühlen. Hinderlich sind die Gedanken der Außenwirkung: Was denken die Anderen von mir? Was erwarten sie von mir? Es kommt nicht auf die Menge der Kontakte an, sondern auf die Qualität. Es ist schon ein Segen, eine Handvoll Menschen um sich zu haben, mit denen ein offenes Gespräch möglich ist oder mit denen man aktive Zeit verbringen kann. Unfreiwilliges Alleinsein, zum Beispiel durch den Verlust eines Partners, ist sicherlich besonders schwer zu bewältigen. Die Gefahr, in die Einsamkeit und Isolation zu geraten, ist dann besonders groß. Aber auch hier ist entscheidend, auf welche Ressourcen wir zurückgreifen können, um wieder aktiv am Leben teilzunehmen. Hilfreich ist es, wenn schon vorher eigene Kontakte, Aktivitäten oder Hobbys gepflegt wurden, an die wir wieder anknüpfen können. Ist dies nicht der Fall, kann es sinnvoll sein, die Bereitschaft zu zeigen, individuelle oder institutionelle Hilfsangebote und Unterstützungen anzunehmen. Eine Freundin, die seit ein paar Jahren Witwe ist, antwortete auf die Frage, ob sie einsam sei: „Ich bin zwar alleine, aber ich habe keine Zeit, einsam zu sein!“ Alt? na und! Nr. 124 (TI, www.alt-na-und.de) |