Erst vor zwei Wochen verkündete man einen umfassenden Deal mit General Motors, der nicht nur die Konstruktion und Fertigung des Pickup Trucks „Badger“, sondern auch die Belieferung mit Batterien und Brennstoffzellen für die geplanten schweren Lastkraftwagen des Unternehmens vorsieht. Bei genauerer Betrachtung wirft die Transaktion allerdings einige Fragen auf, denn General Motors erhält zunächst vorab ohne wirklich konkrete Gegenleistung 47,7 Millionen neue Nikola-Aktien, die rund 11 Prozent des Unternehmens entsprechen. Zusätzlich muss Nikola bis zu 700 Millionen US-Dollar für die Bereitstellung von Produktionskapazitäten für den Badger an GM zahlen. Darüber hinaus wird General Motors eine garantierte Marge für jeden produzierten Pickup Truck kassieren. Vor allem aber wirft der Deal die Frage auf, welche Kerntechnologien eigentlich im Hause Nikola vorhanden sind, wenn offensichtlich sowohl die Antriebseinheiten als auch die Fahrzeuge komplett von anderen Unternehmen entwickelt und integriert werden? Die Börsenteilnehmer zeigten sich allerdings weit weniger kritisch und die Aktie schnellte unter hohem Volumen binnen eines Handelstages um fast 50% hoch. Die Ereignisse überschlagen sich Doch zwei Tage später war die Party bereits wieder vorbei. Der in den USA bereits bekannte Shortseller „Hindenburg Research“ veröffentlichte eine umfassende Recherche zu Nikola und seinem Gründer und Executive Chairman Trevor Milton. Unter anderem wurde dem Unternehmen vorgeworfen, die Öffentlichkeit und potentielle Investoren mit einem gefakten Video seines Brennstoffzellen-LKW Prototypen „Nikola One“ getäuscht zu haben. Statt wie von Trevor Milton bei verschiedenen Gelegenheiten behauptet und im Video suggeriert, bewegte sich das Fahrzeug keinesfalls mit eigenem Antrieb auf einer ebenen oder teilweise sogar leicht ansteigend erscheinenden Straße, sondern war auf eine Kuppe geschleppt und von dort dann ganz einfach den Berg herunter gerollt worden. Dank geschickter Kameraführung entstand für den nichtsahnenden Betrachter der Eindruck eines voll funktionsfähigen LKW. Tatsächlich besaß der Prototyp aber überhaupt keinen eigenen Antriebsstrang. Der Hindenburg Report enthält zudem reihenweise weitere, gravierende Anschuldigungen insbesondere zur Person Trevor Miltons, die teilweise bis zu zehn Jahre zurück reichen. Nachdem Nikola zunächst nicht im Detail auf die Vorwürfe einging, wurde nach einigen Tagen dann doch eine, ganz offensichtlich von der eilends beauftragten Anwaltskanzlei Kirkland & Ellis abgefasste Stellungnahme zu einzelnen Vorwürfen veröffentlicht, die allerdings den oben angesprochenen Hauptvorwurf im Großen und Ganzen bestätigte. Mittlerweile hatten sowohl die amerikanische Wertpapieraufsichtsbehörde SEC als auch das Justizministerium eine Untersuchung der Vorgänge eingeleitet. Am Montag platzte dann die Bombe: Trevor Milton trat von seinen Posten als Executive Chairman und Mitglied des Board of Directors mit sofortiger Wirkung zurück, nach eigener Angabe um den Fokus wieder auf die Mission des Unternehmens zu lenken. Der Rücktritt traf die Markteilnehmer völlig unvorbereitet, schließlich hatte Milton auf seinem mittlerweile geschlossenen Twitter-Account nach der Veröffentlichung des Hindenburg-Reports noch vollmundig getönt, dass „Feiglinge weglaufen, Anführer aber bleiben und für Integrität kämpfen würden“. Offensichtlich hatte die Konsultation mit den Anwälten von Kirkland & Ellis und den Gremien des Unternehmens seine Meinung geändert. Aktie stürzt ab – Wenden sich die (potenziellen) Partner ab? Im Tagesverlauf fiel die Aktie anschließend bis zu 30 Prozent, um letztlich mit einem Minus von knapp 20 Prozent aus dem Handel zu gehen. Zu allem Überfluss sah sich Milton dann auch noch Vorwürfen sexueller Belästigung seitens einer Cousine ausgesetzt. Auch eine undurchsichtige Erpressungsgeschichte aus dem Frühjahr, die letztlich mit dem Tod des mutmaßlichen Erpressers endete, erfuhr neue Aufmerksamkeit. Am Mittwoch berichtete das Wall Street Journal, dass bereits weit fortgeschrittene Verhandlungen mit BP bezüglich einer Partnerschaft für das geplante Wasserstofftankstellennetz des Unternehmens aufgrund der aktuellen Entwicklungen vorerst ausgesetzt wurden. Damit bestätigten sich Befürchtungen, dass die im Hindenburg Report erhobenen Vorwürfe nicht folgenlos für Nikola bleiben würden. Die Errichtung eines umfassenden Wasserstofftankstellen-Netzwerkes ist eine elementare Voraussetzung für den Absatz der geplanten Brennstoffzellen-LKW des Unternehmens. Aufwand und Kosten sind jedoch enorm. Nikola hatte bereits angekündigt, bis zum Jahresende einen Partner für diesen extrem wichtigen Bereich zu benennen. Dazu wird es nun aber aller Voraussicht nach zunächst nicht kommen. Zudem ist auch der Deal mit General Motors noch nicht in trockenen Tüchern. Zwar hat GM bislang seinen Willen zur Zusammenarbeit bekräftigt, allerdings dürfte der zwischenzeitliche Wertverlust der an GM auszugebenden Nikola-Aktien von rund 50 Prozent zumindest eine Nachverhandlung erfordern. Für General Motors wäre die Transaktion ein gutes Geschäft – sofern denn der Aktienkurs von Nikola sich stabilisieren würde. Schließlich trägt man kein relevantes finanzielles Risiko und kann zudem seine neuen Batterie- und Brennstofftechnologien für den späteren Einsatz in eigenen Fahrzeugen verbessern und testen. Auch die europäischen Partner Bosch und Iveco haben Nikola bislang nicht den Rücken gekehrt. Analog zu GM halten auch sie große Pakete an Nikola-Aktien, die bei einem Rückzug vermutlich binnen kürzester Zeit nahezu wertlos werden würden. Zudem möchten sowohl Bosch als auch Iveco natürlich zukünftig gerne elektrische Antriebsstränge und Brennstoffzellen bzw. Fahrzeuge in großer Stückzahl absetzen. Diese Ziele würden bei einem Rückzieher in weite Ferne rücken, ganz zu schweigen von den potentiellen Auswirkungen auf den Nikola-Aktienkurs. Mitgefangen, mitgehangen heißt es wohl für die bestehenden Partner des Unternehmens, schließlich stehen Milliarden an Nikola-Börsenwert und zukünftigen Umsätzen auf dem Spiel. Wie jedoch am Beispiel von BP zu sehen, dürfte sich die Anbahnung zukünftiger Partnerschaften in Anbetracht der jüngsten Ereignisse äußerst schwierig gestalten. Mit Trevor Milton fehlt dem Unternehmen zudem sein bisheriges Aushängeschild. Wie deckt Nikola künftig seinen Kapitalbedarf? Mindestens ebenso problematisch dürfte sich für Nikola zukünftig die Aufnahme neuer Finanzmittel am Kapitalmarkt gestalten, die laut Geschäftsplan spätestens Ende nächsten Jahres notwendig sein wird. Bis zum Jahr 2024 müssen laut Plan und aufgrund der neuen Verpflichtungen durch den Badger satte 3,7 Milliarden US-Dollar an frischem Kapital beschafft werden. In der aktuellen Situation ist an eine Barkapitalerhöhung oder gar die Begebung von Anleihen jedenfalls nicht zu denken. Das Negativ-Szenario ist in diesem Fall für Nikola, dass bereits jetzt das Rennen gegen die Insolvenz-Uhr begonnen haben könnte. Halten sich potenzielle neue Partner weiter zurück, müsste man den Geschäftsplan eindampfen, um Geld zu sparen. Damit würde man noch mehr Zeit bis zur Marktreife seiner Produkte verlieren. Alternativ stünde man zum Jahreswechsel 2021/2022 ohne Geld da. Allerdings sehe ich die Situation noch nicht als aussichtslos an. Wir haben einen enormen politischen Rückenwind, was die Elektrifizierung des Straßenverkehrs betrifft. Das zeigt die jüngste Entwicklung in Kalifornien. Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom kündigte an, dass es ab 2035 ein Verbot für Benziner und Diesel im Sunshine State geben wird. Konkret bedeutet das, dass alle neuen verkauften Fahrzeuge dann Null-Emissions-Vehikel sein müssen. Während solche Langfristplanungen immer mit Vorsicht zu genießen sind und Kalifornien bis dahin auch noch stark an seinem Stromnetz arbeiten müsste, um das so zu realisieren, ist es doch ein starkes Signal. Kalifornien für sich genommen ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt auf Basis des Bruttoinlandsprodukts. Die Ankündigung könnte den Wandel zu Elektrofahrzeugen sowohl im geschäftlichen Bereich als auch in der Logistik und beim Ride-Sharing weiter beschleunigen. Morgan Stanley-Analyst Adam Jonas prognostiziert eine kumulierte jährliche Wachstumsrate für die globale Elektrofahrzeug-Industrie von 20 Prozent bis 2040 während der Markt für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren in diesem Zeitraum um durchschnittlich 5 Prozent pro Jahr fallen wird. In einem solchen Umfeld ist es wesentlich leichter aus einer Krise herauszufinden und neue Deals zu arrangieren – selbst wenn diese Krise so schwer ist wie bei Nikola. Nikola Corp. (ISIN: US6541101050) | | WKN / Kürzel | Börsenwert | GpA 20e/21e/22e | Kurs | A2P4A9 / NKLA | 7,2 Mrd. USD | -1,05 / -1,11 / -1,15 USD | 19,73 USD |
MEIN FAZIT: In Anbetracht der aktuellen Lage ist meine Einschätzung zur Aktie neutral. Wer investiert ist, sollte meiner Ansicht nach seine Papiere jetzt nicht mehr auf den Markt werfen. Für Neueinstiege würde ich aber erste Anzeichen einer Trendwende abwarten. Kollateral-Schaden Nel ASA Ein weiterer Leidtragender der Ereignisse um Nikola ist der norwegische Spezialist für Elektrolyseure und Wasserstofftankstellen NEL. Das Unternehmen ist bekanntlich als exklusiver Lieferant für das von Nikola geplante Wasserstofftankstellennetz vorgesehen. NEL hat Umsätze von mehreren Milliarden Norwegischen Kronen aus dieser Vereinbarung prognostiziert und investiert entsprechend derzeit massiv in die Erweiterung seiner Produktionskapazitäten. Auch NEL-Aktionäre müssen natürlich ein Worst Case-Szenario im Hinterkopf behalten: Sollte Nikola aufgrund des Skandals nicht in der Lage sein, die benötigten Mittel zum Aufbau des Tankstellennetzes zu beschaffen oder gar in nicht allzu ferner Zukunft in die Insolvenz gehen, würde sich die ganze Angelegenheit für NEL in einen Riesenverlust verwandeln. Schließlich hätte man dann ohne unmittelbaren Bedarf in eine riesige Elektrolyseur-Fabrik investiert und auch die erst kürzlich bekannt gegebene Elektrolyseur-Order in Höhe von 30 Millionen US-Dollar wäre damit hinfällig. Zudem hält NEL rund 1,1 Millionen Nikola-Aktien, die zum 30.06.2020 mit rund 75 Millionen US-Dollar bewertet waren. Zum aktuellen Kurs würde NEL im nächsten Quartal einen Verlust von mehr als 50 Millionen US-Dollar aus dieser Position ausweisen. Ohne Frage ist ein Großteil der äußerst ambitionierten Bewertung von NEL durch erwartete Umsätze und Gewinne aus dem Ausbau von Nikolas geplantem Wasserstofftankstellennetz begründet. Allerdings sind die Chancen auf eine Realisierung nach den jüngsten Ereignissen gesunken. Ein erheblicher Teil des aktuellen Auftragsbestandes von Nel fällt auf Nikola, was in nicht allzu ferner Zukunft eine empfindliche Berichtigung erfordern könnte. Allerdings sehe ich durchaus Chancen, dass selbst bei einem Ausfall oder Teilausfall von Nikola als Kunde andere Fahrzeugbauer Interesse an den Elektrolyseuren anmelden könnten. Die Aufbruchsstimmung und die politische Unterstützung sind auch in Europa enorm. Zudem musste NEL auch schon in der Vergangenheit die Umsatz- und Gewinnplanungen zeitlich nach hinten verlagern, ohne dass dies dauerhaft negative Auswirkungen auf den Kurs gehabt hätte. Nel ASA (ISIN: NO0010081235) | | WKN / Kürzel | Börsenwert | GpA 20e/21e/22e | Kurs | A0B733 / D7G | 2,0 Mrd. EUR | 0,28 / -0,11 / -0,01 EUR | 1,44 EUR |
MEIN FAZIT: Insofern wundert es mich auch nicht, dass die NEL-Aktie von ihren jüngsten Hochs bislang lediglich 25 Prozent verloren hat. Ich sehe keinen akuten Grund, die Aktie auf dem nun ermäßigten Niveau zu verkaufen. Mittel- und langfristig sehe ich aber nach wie vor Nikola als die interessantere Spekulation an, weil das Unternehmen im Erfolgsfall wesentlich attraktivere Margen generieren könnte als ein Zulieferer wie Nel ASA. Allerdings ist der Weg dahin für Nikola nun um einiges schwerer und unsicherer geworden. Hinweispflicht nach §34b WpHG: Der/die Verfasser ist/sind in ein oder mehreren der oben genannten Wertpapieren/Basiswerten zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels nicht investiert. Es können daher keine Interessenskonflikte vorliegen. Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.
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