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+ Die wahrscheinlich langsamste Notbremse der Welt + Miet-Missverständnisse + Abwarten und Astra trinken +
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  Tagesspiegel Checkpoint vom Samstag, 17.04.2021 | Samstags Regen, sonntags Gewitter möglich, bei maximal 13°C.  
  + Die wahrscheinlich langsamste Notbremse der Welt + Miet-Missverständnisse + Abwarten und Astra trinken +  
Anke Myrrhe
von Anke Myrrhe
  Guten Morgen,

die wahrscheinlich langsamste Notbremse der Welt lässt weiter auf sich warten, während der Zug der Zeit ungebremst davonrast. In Berlin haben gestern erste Bezirke die Marke der 200er Inzidenz wieder überfahren, Neukölln (206,1) und Reinickendorf (201,6) liegen schon drüber, Spandau rettet sich mit 199,8 ins Wochenende. Endlich legt Berlin mal irgendwo den Turbo ein und steigert seine Zahlen innerhalb einer Woche um 50 Prozent. Auf rote Ampeln achtet hier schon lange niemand mehr. Liegt vielleicht an der verfassungsrechtlich attestierten Rot-Rot-Grün-Schwäche.

Derweil rät die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Berlin solle der Änderung des Infektionsschutzgesetzes im Bundesrat nicht zustimmen, da diese kaum etwas zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beitrage und sich zum größten Teil in Symbolpolitik erschöpfe. Wir verkneifen uns jetzt alle Kommentare zur linken Symbolpolitik und rasen zügig weiter zum Regierenden himself, der bekanntlich ebenso wenig von den geplanten Ausgangssperren hält wie seine Koalitionspartner. Über die Zustimmung im Bundesrat werde am Dienstag beraten, sagte Senatssprecherin Melanie Reinsch am Abend. CP-Tipp für Politprofis: Der Vorteil eines noch nicht beschlossenen Bundesgesetzes ist übrigens, dass die Länder noch selbst handeln könnten (wie es gestern MeckPomm und Brandenburg taten). Notbremsen gibt es dem Vernehmen nach auch in Regionalzügen.
 
     
 
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  Die Notbremse weniger zögerlich gezogen hat bekanntlich das Bundesverfassungsgericht und Berlin damit ein Mietenchaos beschert, von dem sich hier niemand was kaufen kann. Panik (hier), Fragen (und Antworten: hier), Beschuldigungen (hier) und Belustigungen gab es am Tag danach an jeder Straßenecke. Wobei das Chaos vielmehr die regierenden Politiker verursacht haben als das geltende Recht, denn bekanntlich ist gut gemeint noch lange nicht gut gemacht (zumindest darin ist Berlin spitze). „Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet in der Hauptstadt des Behördenpingpongs und der organisierten Unzuständigkeit der Senat mit seinem kühnsten Vorhaben eben daran scheiterte: an seiner Unzuständigkeit“, schreibt Chef-Checkpointer Lorenz Maroldt heute im Tagesspiegel.

Während hektisch nach einer neuen Lösung für das Mietenproblem gesucht wird (geht durch Untätigkeit ebenso wenig weg wie Viren) und sich die Zahl der Suchanfragen nach der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ seit Donnerstag vervierfacht hat, arbeitet die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (Linke) an einem neuen Gesetzentwurf: für staatliche Hilfen bei Mietschulden durch den Mietendeckel. Weil die Zeit drängt (und erste Vermieter drängeln, dazu gleich mehr), soll das möglichst schon am Dienstag im Senat beschlossen werden. Die Mopo rechnet mit 420 000 Berliner:innen, die nachzahlen müssen, die Verwaltung allerdings nur mit etwa 40 000 Haushalten, die Hilfe benötigen (Q: Tagesspiegel). Weil die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen, aber auch einige Konzerne keine Nachzahlungen eintreiben wollen. Der Mieterverein aber warnt: Lassen Sie sich das lieber schriftlich geben. Nicht dass sich das noch jemand anders überlegt (soll ja zuweilen vorkommen).
 
     
 
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  Schriftlich bekommen haben einige Mieter:innen bereits die Freude einer Hausverwaltung in Schöneberg (Hauptsitz in Florida). „Zu früh gefreut“ beginnt die Mail, die in etwas unterschiedlicher Form an mindestens zwei Mieter rausging. „Wir fordern sie hiermit auf bis spätestens zum 23.04.2021 jegliche Mietminderung nachzuzahlen, sollten wir bis dahin nicht die vollständige Nachzahlung ihres Mieternkontos erhalten haben, werden wir dies unverzüglich an unseren Rechtsbeistand übergeben, was ihnen weitere Kosten verursachen wird.“ Als freundlichen Zusatz gibt es dann noch den „Vorschlag“, so schnell wie möglich das Mietverhältnis zu beenden „da wir solche Mieter wie sie sowieso nicht bei uns wohnen haben wollen“ oder auch „solche Mieter brauchen wir nicht“. Schöne neue Welt.

Auch bei den Google-Bewertungen wurde die Firma (ausgewiesen als Vermögensverwaltungsgesellschaft) zuletzt auffällig schlecht bewertet, weil sie zum Beispiel Mietern Instandhaltungsmaßnahmen verweigert habe, „da sie Gebrauch vom Mietendeckel machen“. Auf Checkpoint-Anfrage, ob diese Mails gestern tatsächlich an Mieter:innen rausgegangen seien, antwortete die Firma: „?????????????“ (Mail 1) und „wie kommen sie darauf uns diese fragen zu stellen?“ (Mail 2). Sorry, war wohl alles nur ein Missverständnis.
 
     
 
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  Ein großes Missverständnis ist offenbar auch die Erzählung, wir kämen in Sachen Gleichberechtigung voran. Kinderbetreuung in der Coronakrise bleibt Frauensache. Die deutliche Mehrheit der Kinderkrankengeldtage, die Eltern pandemiebedingt in Anspruch nehmen können, wurden bisher von Frauen beantragt, wie Daten der Krankenkassen DAK und Barmer belegen (zusammen 14,5 Millionen Versicherte). Und wenn Sie jetzt denken: „Aber er muss doch ins Büro!“, haben wir wenigstens diese revolutionären Nachrichten für Sie: Bundesweit wurden 72 Prozent der Anträge von Frauen gestellt, in Berlin waren es mit 64 Prozent immerhin ein paar weniger. Mann, ey!

(Hörempfehlung zum Thema übrigens die aktuelle Folge des Gyncast über Mütter in der Pandemie)
 
     
 
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  „Man, ey!“ ist auch ein allseits eingeübter Aufschrei, wenn an den Schulen Briefe der Bildungsverwaltung reinflattern (Lernerfolg!). Der zuletzt versendete in Sachen Testpflicht hat allerdings mehr als nur einen Aufschrei verursacht: Protestbriefe, Beschwerden und verzweifelte Bitten erreichten uns in den vergangenen Tagen, weil die Kinder ab Montag zwei mal pro Woche in den Schulen getestet werden sollen. Die Eltern würden es gern selbst machen, die Schulen ungern, oder wenigstens: Selbst entscheiden. Was passiert mit einem Kind, wenn es vor den Augen der ganzen Klasse positiv getestet und isoliert wird? „Noch mehr Cybermobbing“, sagt eine Berliner Grundschullehrerin.

Nach den Lehrern haben sich gestern Abend auch die gesammelten Elternvertreter in einem Offenen Brief an die Bildungsverwaltung gewandt: „Ihre Entscheidung, die Antigen-Selbsttests für alle Schüler:innen verpflichtend zu gestalten, um an Präsenzangeboten teilnehmen zu können, ist richtig!", schreiben die Elternvertreter:innen an die Bildungssenatorin. Doch es sei dabei „wichtig zu bedenken, dass die Schulen vor Ort diejenigen sind, die ihre Schüler:innen sowie die Eltern am besten kennen“. Jede Schule solle selbst entscheiden, wo getestet wird. „Nie zuvor in der Krise haben sich so viele Schulgemeinschaften so entschlossen gegen eine Anweisung gestellt!“ Und wie wird es ihnen gedankt? Hmmm.
 
     
 
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  Um am Präsenzangebot im Unternehmen teilnehmen zu können, bedarf es auch in Berlin übrigens nach wie vor keiner verpflichtenden Gruppentestung vor Ort: „Private und öffentliche Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, einschließlich der Justiz, sind verpflichtet, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ihre Arbeit mindestens zum Teil an ihrem Arbeitsplatz in Präsenz verrichten, zweimal pro Woche ein Angebot über eine kostenlose Testung in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 mittels eines Point-of-Care (PoC)-Antigen-Tests zu unterbreiten und diese Testungen zu organisieren. Die Pflicht nach Satz 1 kann dadurch erfüllt werden, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Point-of-Care (PoC)-Antigen-Tests zur Selbstanwendung zur Verfügung gestellt werden.“ Alles andere wäre unzumutbar – oder?  
     
 
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  So, jetzt aber mal zu den guten Nachrichten: Das Land Berlin, „vertreten durch das Konzerthaus Berlin, Gendarmenmarkt 2, 10117 Berlin“, beabsichtigt die Organisation und Besetzung der Tickethotline für den Verkauf von Konzertkarten, Kundenberatung, sowie Serviceleistungen rund um den Konzertbesuch im Konzerthaus Berlin zu beauftragen. Leistungsbeginn: 1. Juli 2021. Dass der Auftrag nur für zwei Jahre vergeben wird (mit maximal zwei Verlängerungen um jeweils ein Jahr) überlesen wir jetzt einfach mal und singen laut und ungeniert: Let it ring!  
     
 
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  Die Ausgangssperre gilt übrigens bereits für Berliner Hühner. Mit der Schließung der Clubs hat das allerdings nichts zu tun: „Die Berliner Hausgeflügelbestände müssen wegen der grassierenden Geflügelpest weiterhin in den Ställen bleiben.“ Die Anordnung wurde um einen weiteren Monat bis zum 15. Mai verlängert. Versendet ausgerechnet von der Senatsverwaltung für Verbraucherschutz und Antidiskriminierung. Bei denen piept’s wohl.  
     
 
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  Weitere Meldungen des Tages:

+++ Charité versorgt mehr als 100 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen. Erstmals in der dritten Welle ist diese Zahl dreistellig.

+++ Immerhin wird auch beim Impfen langsam der Turbo eingelegt: Fast 20 Prozent der Deutschen haben zumindest die erste Spritze erhalten, Anfang Juni könnten es 50 Prozent sein. Locker in Sichtweite!

+++ Die CDU Berlin stellt heute ihre Landesliste für die Bundestagswahl auf. Bis auf den Ost-West-Showdown der ehemaligen Senatoren Heilmann und Czaja, ist wenig Überraschendes zu erwarten, außer vielleicht: Eine Frage nach der K-Frage an alle Kandidat:innen, wie gestern jemand mit Einfluss anregte.

+++ Und wo wir gerade dabei sind, JETZT sind wir ABER WIRKLICH kurz davor, einen neuen Kanzlerkandidaten der Union zu bekommen. „Entscheidung zwischen Laschet und Söder rückt offenbar näher“, lautete gestern Abend die Schlagzeile. Hoffentlich wahren alle den nötigen Abstand.
Es kommentiert Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU): „Es ist nicht zu ertragen.“ Zumindest da sind wir uns einig.

+++ Einen Nominierungsparteitag führen heute auch die Freien Wähler durch, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Spoiler: Es wird zwei Überraschungskandidaten geben.

+++ Wenig überraschend haben sich gestern Angela Merkel und Olaf Scholz (unabhängig voneinander) mit AstraZeneca impfen lassen. Für jüngere Menschen heißt es weiterhin: Abwarten und Astra trinken.

+++ Berlins Biber haben sich bis an ihre natürlichen Grenzen vermehrt. Und an einem brutalen Tiermord beißen sich die Ermittler die Zähne aus. Überschrift von Checkpoint-Kollege Stefan Jacobs heute im Tagesspiegel: Nagin‘ On Heaven’s Door.

(beste Überleitung zum Gitarristen der Checkpoint-Band: Thomas Wochnik)
 
     
 
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  Wochniks Berlin-Tipps für drinnen, draußen und drumherum: Von Fahrradkunst, Kettenhemd-Mode und einem Hollywood-Star, der nach Zeuthen floh.

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