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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 05.09.2023 | Teils bewölkt bei bis zu 28°C. | ||
+ Berliner Senat antwortet auf CDU-Chef: „Ein bisschen Kreuzberg für alle wäre auch gut“ + Hunderte Dateien verschwunden: Die E-Akte wird zum Aktenschlucker + „Medienhetze und Rufmord“: Chef der Jüdischen Gemeinde interviewt sich selbst + |
von Julius Betschka und Margarethe Gallersdörfer |
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Guten Morgen, Lederhosen und Dirndl raus, Ohropax und Ochsenbraten rein: Friedrich Merz hat die Bundesrepublik Deutschland am Montag zur Bierrepublik Gillamoos erklärt. Auf dem gleichnamigen bayerischen Volksfest rief der CDU-Parteivorsitzende sicherheitshalber gleich zweimal während seiner Rede: „Sie sind Deutschland! Nicht Berlin, nicht Kreuzberg! Gillamoos ist Deutschland!“ Was für eine Vision! Deutschland, aber als Bierfest! O’verzapft is! Aber ruhig Blut … das Unverständnis für die (von der CDU regierte) deutsche Hauptstadt ist inzwischen ein Friedrich-Merz-Klassiker, die Ablehnung von Kreuzberg Kern seiner anti-grünen Erzählung. Hier die anständigen Biertrinker vom Land, dort die autohassend verträumte Großstadtelite (die hat die englischsprachigen Soja-Cappuccino-Trinker ersetzt). Das ist die neue beziehungsweise uralte CDU, die in den Reden ihres Chefs aufscheint. Warum das Land von BMW und VW, Siemens und Solarwende und Laptops und Lederhosen deshalb nun im Ganzen in Richtung eines stabilen Festzeltdeliriums taumeln soll, erschließt sich trotzdem nur mit Mühe. Ist Merz’ Botschaft „Ab jetzt hilft nur noch Alkohol“? Mit dieser Vision sollte man tatsächlich lieber früher als später zum Arzt gehen. | |||
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In Berlin verhallt naturgemäß kein Wort von Merz ungehört. „Auch im Sauerland sind mehr Leute mit dem Fahrrad unterwegs als mit dem Privatjet“, antwortet Friedrichshain-Kreuzbergs Bürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) auf den merzschen Angriff. Bei der Berliner CDU ist man sowieso schon länger not amused über den eigenen Parteichef. Führende Mitglieder halten Merz’ ausgeprägte Berlinphobie nicht nur für eine gut geplante Kommunikationsstrategie, sondern für die Offenbarung seines Innersten. „Er versteht die Welt nicht mehr“, sagte kürzlich eine wichtige Parteistimme. Eine drastischere Diagnose gibt es für einen (von mindestens drei) möglichen CDU-Kanzlerkandidaten kaum. Geradezu diplomatisch gerät dagegen die offizielle Reaktion aus Parteifreund Kai Wegners Senatskanzlei. Berlin ist nicht Deutschland? Regierungssprecherin Christine Richter sagte dem Checkpoint dazu: „Wir mögen Kreuzberg, und Deutschland, und das Sauerland, und Gillamoos. Und ein bisschen Kreuzberg für alle wäre auch gut.“ Hätten wir das geklärt. | |||
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Müll, Müll, Aktenmüll: Bei der Einführung der sogenannten E-Akte sind in der Berliner Verwaltung hunderte Dateien verschwunden. Das bestätigte am Montag Berlins Chief Digital Officer Martina Klement im Abgeordnetenhaus. Betroffen davon sind die Innen- und Verkehrsverwaltung sowie die Senatskanzlei und das Bezirksamt Mitte. Die Einführung der E-Akte wurde zuletzt mehrfach verschoben, bei dem Modellversuch läuft es so schlecht, dass eine Trennung vom bisher zuständigen Unternehmen Materna diskutiert worden sein soll. Das ist aber laut Klement (erstmal) vom Tisch. Der so einfache wie tragische Grund: ein Wechsel des Dienstleisters würde wohl erneut Jahre kosten. Wie ging der Spruch noch? Lieber ein Schrecken ohne Ende als ein Ende mit Schrecken? Na ja, fast. | |||
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Apropos „ohne Ende“: Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hat seine Wahl am Wochenende durchgezogen, trotz Untersagung durch das unabhängige Gericht beim Zentralrat der Juden. Der bisherige Vorsitzende Gideon Joffe wird aller Voraussicht nach weiterhin die Gemeinde führen. Aber nur 18 Prozent der Gemeindemitglieder nahmen überhaupt daran teil. Das liegt auch daran, dass die Oppositionsbündnisse Le’kulam und Tikkun zum Boykott der Wahl aufgerufen hatten. „Die Stimmen bei dieser Wahl sind bei Weitem nicht repräsentativ“, sagte Mario Marcus von Tikkun dem Checkpoint. „Wenn mich jemand gefragt hat, habe ich gesagt, bitte geht nicht zur Wahl. Diese Wahl war von vorneherein irregulär!“ Bei den letzten regulären Wahlen hatte die Beteiligung noch jeweils bei deutlich über 30 Prozent gelegen. Der jetzige Gemeindevorstand hatte Teile der Opposition durch eine neue Wahlordnung von der Kandidatur bei der Abstimmung ausgeschlossen. In einem ersten Schritt soll die Gemeinde nun 10.000 Euro als Strafe für die irreguläre Durchführung der Wahl zahlen, auch einen Ausschluss aus dem Zentralrat der Juden will Joffe in Kauf nehmen (Hintergründe hier). „Wir werden die Wahl vor dem Schiedsgericht der Gemeinde anfechten und auch beim unabhängigen Gericht des Zentralrates. Wenn wir vor dem Gemeindegericht scheitern, werden wir auch vor das Verwaltungsgericht ziehen“, kündigt Mario Marcus an. „Ich fürchte, es steht uns noch ein langer Weg bevor, bis wir das geregelt bekommen.“ Joffe dagegen wirft in einer Art „Interview“ auf der Website der Gemeinde seinen Gegnern „Auflauern, Beschattung, Bedrängung, Bedrohungen von Kandidaten“ vor. Es herrsche „Angst vor Medienhetze und Rufmord“, schreibt Joffe dort. Belege dafür gibt es bislang keine. | |||
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50 Jahre alt wird in diesem Jahr der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Ja, das ist genau jener, gegen den sich das antisemitische Flugblatt aus dem Hause Aiwanger einst richtete. Während mancher die Aufarbeitung deutscher Geschichte als Anlass für Ausschwitzwitzchen nahm, haben seit der Gründung 150.000 Schülerinnen und Schüler am Wettbewerb teilgenommen. Jonah Wenzel, 12 Jahre alt, Siebtklässler am Gymnasium Steglitz, ist einer von ihnen. Er wurde am Montag zu einem der Landessieger gekürt und hat meiner Kollegin Margarethe Gallersdörfer von seinen Recherchen erzählt. Jonah, herzlichen Glückwunsch zu Deinem Erfolg beim Geschichtswettbewerb! Womit hast Du Dich auseinandergesetzt? Bei meinem Projekt ging es um eine ehemalige SS-Kameradschaftssiedlung in der Nähe der Krummen Lanke, an der Argentinischen Allee. Die Siedlung wurde spezifisch für SS-Mitglieder gebaut. Als es in der heutigen Zeit darum ging, dort eine Erinnerungsstele aufzustellen, haben einige Bewohner dagegen protestiert. Da habe ich mich gefragt: Warum findet man so etwas schlecht? Wie kann man da überhaupt dagegen sein? Und was hast Du herausgefunden? Es hat sich letztendlich herausgestellt, dass weniger die Bewohner dagegen waren als vor allem die Parteien, die in dem Gebiet aktiv waren. Die dachten, dass das den wirtschaftlichen Wert der Siedlung senken könnte, und dass sie zu einem Treffpunkt für Neonazis werden könnte. Wie bist Du bei der Recherche vorgegangen? Ich habe mit ganz vielen Leute gesprochen, zum Beispiel mit dem Autor der Stele und der stellvertretenden Bürgermeisterin Frau Richter-Kotowski. Auch die Bewohner der Siedlung, die selbst schon recherchiert hatten, haben mir geholfen, zum Beispiel mit alten Artikeln aus SS-Zeitschriften. Was hast Du gedacht, als Du das alte Flugblatt gegen den Wettbewerb gesehen hast? Ich war komplett geschockt. Was da stand, war schrecklich. | |||
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In eigener Sache: In Berlin wird es in Zukunft heiß. Schon in wenigen Jahren könnte hier ein Klima wie in Südfrankreich herrschen. Auf die Veränderungen durch Hitze – und auch Starkregenfälle – ist Berlin bisher kaum vorbereitet: Bei heftigen Niederschlägen überfluten die Straßen bereits jetzt, regelmäßige Hitzewellen könnten die Straßen beschädigen, Ältere und Kranke töten. Was kann die Stadt tun, um sich an Hitze anzupassen? Dieser Frage gehen Corinna von Bodisco und Julia Weiss in der ersten Episode des neuen Tagesspiegel-Zukunfts-Podcasts „Futur B“ nach. Was die Journalistinnen herausgefunden haben, hören Sie ab sofort unter tagesspiegel.de/futurb. | |||
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