| Guten Morgen,
die Verkehrssenatorin möchte bekanntlich, dass ich wie alle anderen Berliner mein Auto abschaffe. Da so eine Entscheidung gut bedacht sein will, bin ich gestern mal mit dem Zollstock über die Oberbaumbrücke flaniert, deren Fahrbahn jetzt fertig saniert ist.
Die Einweihung geschah quasi per Presseinfo der Verkehrsverwaltung, Titel: „Oberbaumbrücke bekommt breite, sichere Radwege“. Statt 1,35 bzw. 1,6 sind es jetzt jeweils 2 Meter, stand da. Und statt je zweier Autospuren gibt es nun je eine, die aber 4,45 breit ist. Also genau so, dass sich ein Auto unter Mitnutzung des Radweges an einem anderen vorbeidrängeln kann, was die üblichen Verdächtigen auch tun. Aber Vorsicht im adipösen SUV: Die barrierefrei okkupierbaren Radwege sind gar keine 2 Meter breit, sondern nur gut 1,80. Abzüglich der Gullydeckel (die im SUV aber weniger poltern als im Sattel) bleibt für Radfahrer eine real nutzbare Breite von ca. 1,3 Metern. Die alte Berliner Radler-Regel, wonach mangels Überholmöglichkeit der Langsamste das Tempo bestimmt, gilt also weiter.
Mit ihrem neuesten Werk verstößt die Verkehrsverwaltung in mindestens vier Punkten gegen das Mobilitätsgesetz, das nicht ganz zufällig den Begriff „Gesetz“ im Namen trägt. Man könnte das als den üblichen Berliner Murks abtun, aber an dieser Stelle ist es ein Affront: Von den 18 automatischen Zählstellen war die Oberbaumbrücke (bis die Sensoren bei der Asphaltsanierung verschwanden) die mit dem stärksten Radverkehr; im Tagesmittel etwa 10.000 Radfahrer.
Hier wäre die Stelle gewesen, ein Zeichen für die neue Zeit zu setzen. Stattdessen zeigt die Verwaltung exemplarisch, wie egal ihr Verkehrssicherheit auch im Jahr 2019 ist. Der Beitrag zur sog. Verkehrswende besteht im Wesentlichen darin, dass die regeltreuen Autofahrer jetzt noch länger im Stau stehen, weil ihnen zum zweispurigen Fahren ein paar Zentimeter fehlen.
Was auf der Oberbaumbrücke im Großen versemmelt wird, passiert in den Kiezen im Kleinen: Auf der Straße, in der sich die Grundschule meines Kindes befindet, blockiert eine idiotische Kombi aus Laternen und Pollern den einzigen (für radelnde Kinder benutzungspflichtigen) Gehweg für alles, was breiter ist als ein Ranzen. Im September 2017 kündigte das Tiefbauamt Treptow-Köpenick die Umsetzung der Laternen fürs Frühjahr 2018 an. Tatsächlich wurden auf der anderen Straßenseite (wo es keinen Gehweg gibt, sondern nur Autoparkplätze) neue installiert – und die alten stehen gelassen. Der Unterschied zu 2017: Das Tiefbauamt antwortet jetzt nicht mehr auf Mails.
So bleibt das Elterntaxi die sicherere Wahl – und eine weitere Generation von Kindern wächst heran, die lernt, dass man alltägliche Wege sicherheitshalber im Auto zurücklegt. Diese Kinder haben die realistische Aussicht, Silvester 2100 mitzufeiern. Was heute vermasselt wird, hat also Langzeitwirkung. | |