Textkarte - Für dich
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Liebe Frau Do,

Sie knacken gerne Nüsse? Dann haben Sie bestimmt einen schönen Nussknacker zu Hause – und die heutige Geschichte wird Ihnen besonders viel Freude machen.

Herzlich

Ihre
Andrea Niederstadt
DAS MÄRCHEN VOM NUSSKNACKER
Der Geruch von Holzspänen durchzog die warme Stube und beim knisternden Ofen lag ein müder, zufriedener Hund. An seiner Werkbank saß der alte Drechsler und ging versonnen und glücklich seiner Arbeit nach. Tag für Tag entstanden unter seinen geschickten Händen Holzrohlinge, die ordentlich aufgereiht in Reih und Glied in eine Pappschachtel gestellt wurden. Am Nachmittag kam dann die Frau des Drechslers in die Stube und verschnürte die gefüllten Kisten. Dann zog sie ihren Wintermantel an, der schon an einigen Stellen glänzte und auch fadenscheinig war. Schwer bepackt stapfte sie durch den knirschenden Schnee, um die hölzerne Ware ein paar Straßenzüge weiter abzuliefern. Auch dort war die Stube wohlig warm. Viele flinke Hände waren damit beschäftigt, den Holzrohlingen Leben einzuhauchen. Hier wurde sortiert und geleimt. Es wurden rote, blaue und grüne Gewänder gemalt und ein Haarschopf drapiert. Spätestens mit dem Bemalen des Gesichtes schien es, als ob die Nussknacker zum Leben erwachten ...

Einer von diesen Nussknackern war der, von dem die folgende kleine Geschichte handelt. Nachdem er die Malerwerkstatt in einem Paket verlassen hatte, begann für ihn eine aufregende Reise. Es rumpelte in der engen und dunklen Kiste und der Nussknacker war vor Erwartung ganz aufgeregt. Wohin sollte seine Reise gehen? Als die Schachtel nach einigen Tagen geöffnet wurde, traute er seinen Augen nicht. Er war in einem festlich geschmückten Verkaufsstand auf einem Weihnachtsmarkt gelandet, inmitten heller Lichter und Sterne. Nichts Besseres konnte mir passieren, dachte er für sich und war selig. So sehr ihn das bunte und heitere Leben ringsherum auch beeindruckte und freute, fühlte er sich schon bald in seiner Haut nicht wohl. Es langweilte ihn, uninformiert in Reih und Glied zu stehen und streng und erhaben zu schauen. Wenn er die Weihnachtspyramiden beobachtete, die würdevollen Weihnachtsengel mit ihren schönen Gewändern oder auch die farbenfrohen lustigen Räuchermänner, dann verspürte er mehr und mehr den einen Wunsch: Einmal aus der Reihe zu tanzen und bewundert zu werden. Wie froh und glücklich war er, als schließlich eine Kinderhand genau auf ihn zeigte und sich nach ihm ausstreckte. Bald darauf führte ihn sein Weg in ein adventlich geschmücktes Zimmer.

NussknackerDoch seine Zufriedenheit währte nicht lange. Während Engel um ihn herum frohlockten, das bunte Personal einer Weihnachtspyramide im Kerzenlicht schwungvoll seine Drehungen vollführte und die Räuchermänner jeden Tag einen neuen Duft verströmten, hatte er eine, wie er fand, eintönige und dazu noch schwere Aufgabe. Sollte er wirklich tagein und tagaus mit dem Knacken von Nüssen verbringen? Der Nussknacker wurde von Tag zu Tag nachdenklicher. Zu allem Unglück zerbrach an einer besonders hartnäckigen Nuss auch noch sein hölzerner Unterkiefer. Bald darauf landete er als Umtausch dort, wo er herkam, auf dem Weihnachtsmarkt. So unbrauchbar stellte man ihn nicht zu den anderen Nussknackern, sondern legte ihn in eine dunkle Ecke unter den Tresen. Unser Nussknacker ahnte, dass seine Tage gezählt waren. Er war ganz still geworden und dachte in seinem Unglück an die hellen Tage auf dem Weihnachtsmarkt. Wie schön war doch die Zeit, als er zur Freude Großer und Kleiner die herrlichsten Nüsse knackte. Am Abend wurde er aufgeschreckt. Man warf ihn zum Müll. Die Lichter des Weihnachtsmarktes erloschen und für den Nussknacker wurde es bitterkalt.

Fast hätte er sein Leben ausgehaucht. Es wurde immer dunkler um und in ihm. Er schreckte auf, als er plötzlich von etwas Kaltem und Feuchtem angestoßen wurde. Eine zarte und warme Zunge leckte an ihm. Wurde dem Unglücklichen da nicht gleich schon etwas wärmer? Dann griff eine raue, schwielige Hand nach ihm. »Nanu, kenne ich dich nicht?«, murmelte eine vertraute Stimme wie zu sich selbst und schob das kaputte Fundstück in seine Tasche.

Nun lebte der Nussknacker wieder in der Dunkelheit. Wenn er schlafen konnte, träumte er von schönen großen Nüssen, mitunter auch von solchen, an denen man sich die Zähne hätte ausbeißen können. Wenn er dann wieder wach wurde, bedauerte er sich und sein Schicksal. Wenn es auch nicht mehr kalt und ungemütlich war, so fürchtete er sich davor, was als nächstes geschehen würde. So vergingen ein paar Tage, in denen er immer wieder einmal von einem Brummen, einem Surren, einem Rascheln und manchmal auch von Schnarchen und Husten geweckt wurde. Fremd und einsam fühlte er sich hier und gleichzeitig roch es so vertraut. Wo war er bloß gelandet?

Plötzlich wurde eines Abends an der Tasche gezogen. Da atmete er auf, denn er hoffte, nun endlich wieder Licht zu sehen. Wie freute er sich, als er eine ihm vertraute Umgebung erblickte. Der alte Drechsler betrachtete ihn eine Zeit lang und sprach nach einer weiteren Weile wie zu sich selbst: »Zum Nüsse knacken wird man dich nicht mehr gebrauchen können. Aber ich habe eine Idee.« Aus einer feinen Holzplatte sägte der alte Mann zwei Flügel und befestigte sie an seinem Rücken. Dann veränderte er geschickt noch ein wenig die Arme. Bald schon hielt der Nussknacker in seinen Händen Kerzen. Am Heiligen Abend entzündete der alte Drechsler diese für seine Frau und der neu geschaffene Leuchtermann strahlte im warmen Kerzenschein. Als er die Freudentränen des alten Drechslerpaares sah, ahnte er, worum es an Weihnachten geht. Was wir sind oder arbeiten ist zwar wichtig. Aber mehr noch kommt es auf etwas anderes an: Freude zu bereiten und das Licht in der Welt zu vermehren.

Als der alte Mann mit der bloßen Hand eine Nuss zerdrückte, sie seiner Frau reichte und diese sich mit einem Kuss dafür bedankte, da spürte der Leuchtermann noch einmal ein seliges Gefühl. Ein kleiner glücklicher Hund lag nahe beim Ofen, träumte und schnarchte ganz wohlig.

Weihnachten war da.
Katharina Herold   
Die Geschichte finden Sie in diesem Geschenkbuch:
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