Bonjour de Paris!
Eigentlich hätte das ein so schöner Auftakt-Newsletter werden sollen. Über die Fahrt von Hamburg, Derbyplatz, nach Paris, 9 Stunden, 42 Minuten. Die Fahrt durch die Stadt entlang der Seine, der Besuch im Main Press Centre (MPC), dort ein intensives Gespräch in der Warteschlange vor der Akkreditierung mit Kollegen aus Österreich von der Kronen-Zeitung, die sich für den Betrüger Benko und die Verbindung zu olympischen Springpferden aus Deutschland interessierten. Doch all das ist nur Randgeschehen, nachdem der britische Sender ITV gestern morgen das Video gezeigt hat, von dem momentan alle sprechen. Das Video, das aus der Ikone Charlotte Dujardin die Prügel-Königin gemacht hat, Andreas Helgstrand 2.0.
Schwer zu sagen, was die bitterste Konsequenz aus diesem Prügel-Exzess ist. Das persönliche Schicksal der mutmaßlichen (bevor es wieder entrüstete Kommentare gibt, so ist die korrekte Formulierung vor einer rechtskräftigen Verurteilung) Täterin? Egal!
Das Ansehen des Reitsports als Ganzes, in der Gesellschaft? Ja, der Sport hat es schwer, das Image ist eh schon ramponiert, da helfen auch keine PR-Aktionen wie die Kampagne des Weltverbandes (FEI), wonach der Reiter doch der „Wächter“ des Pferdes sein soll, Zeitlupenvideos inbegriffen. Wie war das? „Nur der Schein ist wirklich rein“ – immerhin hat der Verband ungewöhnlich schnell reagiert. Man ist sich wohl der Wirkung dieser Bilder bewusst. Rückgängig machen lassen sie sich nicht.
Was mir persönlich am bittersten aufstößt: Das Misstrauen ist zurück – nicht nur das der Öffentlichkeit, sondern mein ganz persönliches. Es verdrängt die Freude an jedem Ritt und sei er noch so schön. Der Sport unter Generalverdacht. Schon wieder! Und wieder einmal ist der Beweis geführt, dass man wirklich niemandem trauen sollte. Dann ist zumindest die Enttäuschung weniger groß.
Nicht, dass Charlotte Dujardin ein unbeschriebenes Blatt war – 2019 wurde sie, nachdem sie in einer Pirouette bei den Europameisterschaften mit dem Sporn noch einmal „nachgefasst“ hatte, wegen Blut am Pferd ausgeschlossen. Schon damals reagierte sie wie auch vergangenen Dienstag mit einem Post in den Sozialen Medien. Und auch sonst, so sagen Insider, sei sie „kein Kind von Traurigkeit“, und „engagiert“.
Die eigentliche Frage ist doch die: Wenn die Olympiasiegerin auf einer fremden Reitanlage, beobachtet von Menschen, die an der kurzen Seite sitzen und filmen, zur Peitsche greift und wie bei einer beidarmigen Rückhand im Tennis auf ein Pferd eindrischt, das nicht verstehen kann, was es tun soll, was macht sie zuhause, wenn sie sich unbeobachtet fühlt? Und, auch die Frage muss man stellen: Ist das ein Einzelfall? Hoffentlich, möchte man sagen, wissend, dass die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt.
Die persönlichen Folgen für eine Frau, die alles gewonnen hat, die sich durch ihre Leistungen mit Pferden ein Leben hat ermöglichen können, von dem sie sonst wohl nicht einmal hätte träumen können, sind nebensächlich. Man kann nur hoffen, dass die Dressurszene sich nicht wieder einmal von der ihr eigenen, der vergesslichen Seite zeigt. Beispiele dafür gibt es genug. Die industrielle Pferdequälerei bei Helgstrand Dressage? An „Andreas“ – man nutzt ja gern den Vornamen, schließlich ist es ja eine „große Familie“ – perlt das ab. Im Gegenteil, man kauft weiter gern dort ein, die Pferde „funktionieren“ ja. Genau dieses „Funktionieren“ ist eines der Hauptprobleme des Sports. Und, auch wenn sie es nicht gern hören, Stewards und Richter müssen da einfach noch besser werden, noch genauer hinschauen. Noch mehr daran denken, dass „weniger mehr“ sein kann. Weniger Spektakel, mehr Durchlässigkeit. Weniger „Füße in die Luft“, mehr „einfach schön“. Vor allem aber – noch! – mehr Fairness gegenüber dem Pferd.
Tatsächlich sind auch wir Journalistinnen und Journalisten aufgefordert, noch mehr beim Training zu schauen, noch mehr den Gerüchten nachzugehen, die es immer wieder gibt. Problem: Man kann nicht überall sein. Aber, Arbeitsauftrag an uns alle, die wir Berichterstatter sind, man muss es versuchen.
Heute wird der FEI-Generalsekretär Ingmar de Vos sich im Pressezentrum in Paris den Fragen der Journalisten stellen. Die werden wir stellen. Und berichten.
Die Buschreiter im Stadion
Schön anzuschauen war heute das Dressurreiten der deutschen Vielseitigkeitsreiter. Zufriedene Pferde, kein Schweif, der nicht entspannt pendelte. Das war schön!
Heute Nachmittag erläutert der Kursdesigner Pierre LeGoupil sein Konzept für die olympische Vielseitigkeitsstrecke den Medienvertretern. Auf unserer Webseite werden wir im Laufe des Tages Details dazu vermelden. Generell lohnt es sich, immer mal wieder auf st-georg.de zu schauen, kleiner Tipp von mir für die kommenden 14 Tage.
Das passiert morgen
Schnell noch der Blick auf den Eröffnungstag, den morgigen Freitag: Am Vormittag wird es ernst für die Buschpferde, Vetcheck. Deutschland hat das ungeliebte Los mit Startposition eins erwischt. Damit müssen Julia Krajewski, Michael Jung, Christoph Wahler und Reservist Calvin Böckmann auch als erste zum „Trot up“. Wir gehen mal davon aus, dass alles das erhoffte „accepted“ hören.
Außerdem reisen morgen die Dressurpferde an. Und dann ist da noch die Eröffnungsfeier. Wo wir vorm Bildschirm dem Spektakel beiwohnen werden, ist noch nicht klar. Dass es spektakulär wird, steht fest. Bereits am Montag fand das traditionelle Open Air-Konzert „Concert de Paris“ statt. Klassik umsonst und draußen vor der Kulisse des Rathauses, des „Hôtel de Ville“. Das abschließende Feuerwerk mit 1000 Drohnen, die blinkend rund um den Eiffelturm Sportarten darstellten, hat schon mal eine Idee davon vermittelt, was zu erwarten ist.
In diesem Sinne „Ouvrons Grand les Jeux“, oder auf Englisch: „Games wide open!“ – der Slogan von Paris 2024.
Eines noch: Wer Fragen hat, immer her damit. Wir werden versuchen, die Antworten zu liefern.
In diesem Sinne, beste Grüße aus Versailles