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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 24.02.2023 | grau, bedeckt, windig und auch noch regnerisch bei max. 5°C. | ||
+ Wiederholungswahl mit juristischem Nachspiel: Anwaltskanzlei in Berlin durchsucht + Klima-Aktivist klebt sich am Tisch der Anklagebank fest + Özdemir ätzt über Berliner Politik + |
von Lorenz Maroldt |
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Guten Morgen, auch die bisherige Koalition gönnt sich nach der zweiten Sondierungsrunde noch eine dritte – sie beginnt am kommenden Montag um 10 Uhr, zeitgleich mit der Verkündung des amtlichen Wahlergebnisses. Und wenn Kai Wegner zwischen den Zeilen lesen kann, wird er festgestellt haben, dass SPD, Grüne und Linke ernsthaft an einer Fortsetzung ihrer Regierungsgeschichte arbeiten. Denn abgewählt wurde die Koalition nur gefühlt, nicht rechnerisch: Die Mehrheit ist zwar knapper geworden, aber immer noch recht stabil.Dem Vertrauensverlust in der Stadt, der sich im eigenen Wahlergebnis, vor allem aber in dem der CDU zeigt, versucht Rot-Grün-Rot mit bekundeter Nachdenklichkeit zu begegnen. Das Signal soll sein: Wir haben verstanden. Aber was? | |||
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Die beiden größten Probleme für Rot-Grün-Rot hängen eng zusammen: + Franziska Giffey passt nicht (mehr) so richtig zum Kurs, der 2021 im Koalitionsvertrag festgelegt wurde. + Und es muss eine Lösung für das Enteignungsthema gefunden werden. Es ist nicht auszuschließen, dass Giffey aufgibt – in der Enteignungsfrage hat sie sich so sehr festgelegt, dass ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht. An ihrem Abgang haben aber weder die Grünen noch die Linken derzeit ein gehobenes Interesse, denn beide wollen am liebsten in der bisherigen Konstellation bzw. überhaupt weiterregieren – und in der SPD ist ein möglicher Ersatz für Giffey weit und breit nicht zu sehen. Also braucht es einen Kompromiss in der Wohnungsfrage. Und da spielt ausgerechnet der gegenwärtige Markt der Koalition in die Hände. Zu hören ist deshalb folgendes: Linken und weiten Teilen der Grünen geht es bei der Enteignung zwar auch um das Symbolhafte der Aktion; das rechtliche Risko ist ihnen jedoch bewusst. Eine dritte Schlappe vor Gericht, nach dem gescheiterten Mietendeckel und dem gekippten Vorkaufsverfahren, kann sich die Koalition nicht leisten. Aber wenn ohnehin zehn, zwanzig oder dreißig Milliarden in den Wohnungsbestand investiert werden sollen, um mehr Kontrolle über die Mieten zu haben – warum dann nicht kaufen, anstatt zu enteignen? Die Situation dafür ist so günstig wie schon lange nicht mehr, das Angebot durchaus vorhanden. Giffey würde das Geld zwar lieber in den Wohnungsbau stecken. Aber eine politische Option zur Machterhaltung ist es allemal. | |||
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Auf mehrfach geäußerten Wunsch hin hier noch ein Rückblick auf die spöttische Aschermittwochsrede von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, gehalten im oberschwäbischen Biberach – schauen wir mal rein: + Zu den Sondierungsgesprächen: „Für alle außerhalb von Berlin ist es eigentlich egal, wer da mit wem koaliert.“ + Hoffnung auf Besserung für Berlin hat der Kreuzberger Özdemir nicht – sein Rat: „Vielleicht probiert ihr es ja zur Abwechslung mal mit dem belgischen Modell.“ Dort gab es 600 Tage keine Regierung – „und der Wirtschaft ging es besser.“ + Über die Berliner Grünen: „Es macht uns auch nichts aus – wir sind da sehr weltoffen – dass ihr ausgerechnet an der wohl menschenleersten Straße Berlins den Kulturkampf ums Auto austragt.“ Özdemir kündigte zudem zivilen Ungehorsam an: Beim Bäcker in Berlin will er künftig nur noch „Weckle“ bestellen (hoffentlich läuft er nicht Wolfgang Thierse über den Weg). Aber das klingt doch schon ein bisschen so, als wollte Özdemir sich eine Karriere als Oberbürgermeister von Tübingen offenhalten, oder? | |||
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Die Wiederholungswahl hat ein juristisches Nachspiel: Nach Checkpoint-Informationen ordnete das Amtsgericht Tiergarten auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft am 6.1. die Durchsuchung der Geschäfts- und Nebenräume des Berliner Rechtsanwalts Marcel Templin an – am 15.2., also drei Tage nach der Wahl, klingelte das LKA in dessen Kanzlei und beschlagahmte mehrere Akten, die im Zusammenhang mit dem Wahlprüfungsverfahren des Verfassungsgerichts stehen. Der Vorwurf: Templin soll Mitarbeitern ermöglicht haben, Fotos von Wahlprotokollen zu veröffentlichen (auch der Checkpoint hatte daraus zitiert). Der Anwalt vertritt den früheren Abgeordneten Marcel Luthe, der gegen die Wahl 2021 Beschwerde eingelegt hatte. Templin sagte dem Checkpoint dazu, dass es nicht seine Mitarbeiter waren, die im Mai 2021 die vom Verfassungsgericht im Verfahren herangezogenen Wahlprotokolle gesichtet und dokumentiert hatten, sondern die seines Mandanten Luthe. Der Ex-Abgeordnete bestätigt das und verweist darauf, dass er das auch so bei der Gerichtspräsidentin Ludgera Selting schriftlich angemeldet hatte. Im Verlauf der Dokumentation der rund 30.000 Seiten der Wahlprotokolle war es zu einer Auseinandersetzung zwischen Selting und einer Mitarbeiterin Luthes gekommen. Einen darauf bezogenen Befangenheitsantrag gegen Selting lehnte das Gericht ab; später stellte sich heraus, dass die Gerichtspräsidentin gegenüber ihren Kollegen zu dem Vorfall falsche Angaben gemacht hatte. Templin hält den Durchsuchungsbeschluss für völlig unverhältnismäßig, Luthe spricht von einer Retourkutsche: „Selting weiß, dass es anders war.“ Ausgangspunkt der Durchsuchung ist eine Beschwerde bei der Rechtsanwaltskammer. Das Verfassungsgericht will zu dem Fall grundsätzlich keine Angaben machen und verweist auf die Generalstaatsanwaltschaft. Die Generalstaatsanwaltschaft antwortete gestern nicht auf unsere Fragen. Die Rechtsanwaltskammer erklärte, dass sie zu Beschwerdeverfahren keine Stellung nehmen darf. Die Justizverwaltung gab an: „Die Senatorin hatte keine Kenntnis.“ Fortsetzung folgt. | |||
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Hinter dem Neuköllner Aktenzeichen KA/176/XXI verbirgt sich eine brisante Frage, die jüngst durch das Depressionsbekenntnis des Lichtenberger Stadtrats Kevin Hönicke an Bedeutung gewonnen hat. Sie lautet: „Wie lange darf ein Stadtrat oder eine Stadträtin erkrankt sein?“ Moment mal: „erkrankt sein dürfen?“ Ja, richtig erraten: Es handelt sich um eine perfide Unterstellung der AfD gegen die ungenannte, aber offensichtlich gemeinte Gesundheitsstadträtin Mirjam Blumenthal, krankgeschrieben seit dem 7.10.2022. Das ernsthafte Problem, das dahintersteckt, ist allerdings riesengroß, und viele Fragen, die sich damit verbinden, sind ungeklärt – rechtlich, menschlich und politisch. Im aktuellen Magazin des Otto-Suhr-Instituts sprechen Elke Breitenbach (Linke), Markus Kurth (Grüne) und Orkan Özdemir (SPD) unter dem Titel „Wenn Politik Dich krank macht“ offen über ihre Erfahrungen mit psychischem Druck – auch anhand Beispielen aus dem Checkpoint. Und in unserem Podcast „Berliner & Pfannkuchen“ besprechen Ann-Kathrin Hipp und Anke Myrrhe heute u.a. mit Kevin Hönicke die Frage: Warum bleibt mentale Gesundheit zu oft ein Tabu? Und: Können Politikerinnen und Politiker überhaupt öffentlich darüber sprechen, wie es ihnen geht? Oder müssten sie es nicht sogar? Hat die Öffentlichkeit vielleicht einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie gesund diejenigen sind, denen sie per Wahl viel Verantwortung übertragen? Oder ist das eine Privatsache, die niemanden etwas angeht? Alles das und einiges mehr gibt‘s heute ab 15 Uhr hier unter diesem Link zu hören – und überall dort, wo es Podcasts gibt. Was Mirjam Blumenthal betrifft, haben wir beim Bezirksamt gefragt, wie es da ohne sie weitergeht: Sollte die Gesundheitsstadträtin in absehbarer Zeit nicht gesund werden, gibt es Überlegungen bzw. konkrete Maßnahmen, um den Posten sowie die Leitung des Gesundheitsamts dauerhaft neu zu vergeben? Die knappe, aber klare Antwort: „Nein“. | |||
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Mit der Anwaltskanzlei Schertz / Bergmann verbindet uns eine innige Brieffreundschaft – an Tagen ohne Gegendarstellungs- oder Unterlassungsbegehren schauen wir erstmal nach, ob die Post streikt. Zuverlässig zugestellt wurde uns vor ein paar Wochen eine Aufforderung der Kanzlei in eigener Sache: Simon Bergmann wollte per Gegendarstellung mitteilen, dass er sich in einer Pressemitteilung nicht „ein bisschen zu großspurig“ über einen Prozessausgang geäußert habe. Wir wären glatt darauf eingegangen, das „ein bisschen“ zu streichen! Jedoch ging es im Artikel gar nicht um den Prozessausgang, sondern darum, wie Anwälte mit ihren fulminanten Erklärungen den Mandanten eher schaden können. Aber Bergmann wollte alles kassieren (und dann wohl auch seine Auslagen). Vergeblich: Erst scheiterte Schertz für ihn vor dem Landgericht, jetzt vor dem Kammergericht: „Großspurig“ beziehe sich auf Bergmanns Verhalten im Zusammenhang mit der Verlautbarung selbst. Das sei zwar „möglicherweise nicht freundlich, aber eine erlaubte Meinungsäußerung“ – gleichbedeutend mit „angeberisch, anmaßend, überheblich, wichtigtuerisch“, und damit „die Zuschreibung einer Eigenschaft (…), die nicht mit dem Mittel einer Beweisführung als wahr oder unwahr geklärt werden kann“. Oder vielleicht doch? Wir bleiben dran! | |||
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