| Heute ist meteorologischer Sommeranfang – und das Wetter soll so bilderbuchmäßig bleiben, dass man es einfach genießen möchte, aber zugleich noch mehr als sonst darauf gefasst sein muss, dass die Polizei den nächsten toten Radfahrer meldet. Denn bei 22 Grad und Sonne fahren auch die, die weniger Routine haben im Umgang mit der alltäglichen Lebensgefahr auf Berlins Straßen (Tipps für sichere Fahrt gibt’s hier im Abo).
Gestern Abend wurde bei einer Mahnwache an der Greifswalder Straße der 38-jährigen Charité-Krankenschwester Cindy B. gedacht, die vor zwei Wochen von einem rechts abbiegenden Betonmischer überrollt worden war und nun an ihren Verletzungen gestorben ist. CP-Prognose: Die Überprüfung auch dieser Unfallkreuzung wird ergeben, dass die Grünphasen für Geradeausverkehr und Abbieger getrennt werden sollten. So wie nach ähnlichen Unfällen anderswo umgesetzt – aber meist erst, nachdem jemand sterben musste. Wäre es nicht eine angemessene Wahlkampfbotschaft der grünen Verkehrssenatorin, endlich zu sagen: Wir machen das jetzt konsequent, weil es barbarisch ist, jedes Jahr rund ein Dutzend Menschen in der immer gleichen Situation sterben zu lassen, die wir längst beseitigen könnten? Von vier seit Jahresbeginn getöteten Radfahrerinnen starben allein drei durch abbiegende Lastwagen. Es reicht, wirklich!
Da wir gerade dabei sind: Die Polizei hat sich vergangene Woche einen hochverdienten Shitstorm eingehandelt, als ein Twitter-Team den Kontaktbereichsbeamten René durch Spandau begleitete und zu einem Foto u.a. schrieb: „Ein klassisches Zaungespräch. Der Herr ist Monteur, installiert gerade in dieser Kita eine Pumpe und hat dafür sein Fahrzeug auf dem Gehweg abgestellt. René hat Verständnis.“ Für einen zwei Meter hohen Viertonner auf dem Gehweg vor einer Kita.
Am Abend desselben Tages – die Kollegen vom Verkehrsunfallkommando mussten ihn an der Frankfurter Allee verbringen, wo die 37-jährige Laëtitia G. von einem Sattelschlepper totgefahren wurde, als sie wegen eines Falschparkers auf dem Radstreifen in die Autospur auswich – am Abend also twitterte die Polizei einen Nachtrag: „Wir merken, dass der Tweet die Gemüter erhitzt. Wir hätten ausführlicher formulieren sollen. Das geht auf unsere Kappe. Das Auto stand in einer Sackgasse – zum großen Teil in einer Einfahrt mit abgesenktem Bordstein und ragte in den Fußgängerbereich – ohne Gefahr für andere.“
Sachlich richtig daran ist nur der erste Satz. Und inhaltlich ist die Erklärung speziell am Ende jenes furchtbaren Tages ein Tritt in den Hintern all jener, die jeden Tag von Falschparkern in potentielle Lebensgefahr gebracht werden oder als Eltern täglich aufs Neue bangen, ob ihr Kind zwischen all den blickdicht zugeparkten Gehwegen und Kreuzungen sowie blockierten Radspuren unversehrt zur Schule und wieder nach Hause kommt. Es ist unerträglich, wenn die Behörde, die für die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer verantwortlich ist, vor mehr als 400.000 Twitter-Followern ihr Wohlwollen gegenüber einem Regelbrecher zur Schau stellt.
Auf meine Anfrage hin beschreibt die Polizei das Verhalten von KOB René als korrekt, weil der Monteur den Fehler eingesehen und sein Auto nach dem Entladen weggefahren habe. Durch den Tweet könne „ein Fehleindruck entstanden“ sein. Und nun? Stehen weiterhin Tag für Tag die Transporter auf den Geh- und Radwegen der Stadt, weil es keine Ladezonen gibt und weil die Fahrer wissen, dass René & Co. Verständnis haben. Morgen kommt vielleicht der Maler in die Kita. Und der Klempner stellt sich anderswo quer. Auch vor meinem Wohnstraßen-Homeoffice parken nicht jeden Tag dieselben Handwerkerautos auf dem Gehweg, sondern immer andere. Das ändert nur nichts am Effekt, dass mindestens von 8 bis 15 Uhr alle – ganz gleich, ob zu Fuß, per Laufrad oder mit Rollator – auf die Fahrbahn ausweichen müssen, auf die ihnen die Falschparker auch noch die Sicht versperren. | |