Newsletter, 02.07.2021
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verbraucherzentrale
Newsletter, 02.07.2021

Rente mit 68? Die private Altersvorsorge wird immer wichtiger!

Interview mit dem Finanzjournalisten Olaf Wittrock

Auch eine Rente mit 68 ist nicht mehr als eine leichte Anpassung des gesetzlichen Rentensystems an die Realität.
Interview mit dem Finanzjournalisten Olaf Wittrock
Bild von Olaf Wittrock
Olaf Wittrock ist Finanzjournalist, Mitgründer und Partner der Wirtschaftsredaktion WORTWERT in Köln. Er schreibt seit fast 20 Jahren über Geldanlage und Vorsorgethemen. Für die Verbraucherzentrale hat er den Ratgeber “Altersvorsorge – Die besten Strategien für Ihre finanzielle Absicherung“ verfasst.
Lieber Herr Witrock, im Buch nennen Sie die Riester-Rente als einen Baustein für die Altersvorsorge. Nun nehmen aber immer mehr Versicherer die Produkte aus dem Sortiment. Hat die Riester-Rente überhaupt noch eine Zukunft?

Unter den aktuellen gesetzlichen Bedingungen wird es schwer. Das Problem: Riester-Renten müssen nach derzeitigem Recht zwingend Beitragsgarantien abgeben. Was für Kunden erst mal gut klingt, erweist sich im anhaltenden Zinstief als Rendite-Killer. Der Gesetzgeber wollte die Riester-Rente daher eigentlich in diesem Jahr reformieren, hat das aber vor der Wahl nicht mehr geschafft. Ich vermute mal, dass es dazu je nach Wahlausgang ab Herbst einen neuen Anlauf gibt. Denn eines ist klar: Der Aufbau einer lebenslangen Zusatzrente per Riester ist, vor allem für junge Familien mit durchschnittlichem Einkommen, grundsätzlich schon noch eine Überlegung wert. Bloß ist das Angebot im Moment einfach zu unübersichtlich, überreguliert und teuer.


Nachdem die Rente mit 67 lange beschlossen ist, fordern die Experten vom Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums inzwischen, das Renteneintrittsalter auf 68 zu erhöhen. Wenn wir alle länger arbeiten, wird dann nicht logischerweise Altersvorsorge weniger wichtig?

Schön wär’s. Tatsächlich aber ist auch eine Rente mit 68 nicht mehr als eine leichte Anpassung des gesetzlichen Rentensystems an die Realität. Und die lautet: Wir alle werden immer älter. Das ist einerseits eine schöne Nachricht, stellt aber andererseits unser Rentensystem vor eine kaum lösbare Aufgabe. Denn das ist darauf angelegt, dass Arbeitnehmer für die Renten all derjenigen aufkommen, die nicht mehr arbeiten. Man braucht kein Mathematiker zu sein, um sich vorzustellen, was in Zukunft passiert: Die Rentenbeiträge werden steigen, weil von den Arbeitnehmern immer mehr Rentner zu versorgen sind. Zugleich werden die Renten sinken – aus demselben Grund. Die Schere wird sich weiter öffnen. Deshalb wird die private Altersvorsorge nicht weniger wichtig, sondern immer wichtiger.


Stichwort private Vorsorge: Was ist dafür die perfekte Strategie?


Ich empfehle zunächst eine Bestandsaufnahme. Viele besitzen nämlich mehr Vorsorgebausteine als sie denken: Gesetzliche Rentenversicherung, Betriebsrenten, Riester und Rürup, eine Lebensversicherung, ein kleines Erbe oder die Eigentumswohnung – all das kann einen Beitrag leisten. Dann kommt die Frage: Wie viel Geld brauche ich im Alter eigentlich? Eine Faustregel sagt, 80 Prozent vom letzten Gehalt, es kommt aber auf die eigenen Lebensumstände an. Jetzt kann man vergleichen: Wenn der Bedarf höher ist als das, was ich erwarten darf, ist für die Lücke private Vorsorge gefragt. Auch hier wieder eine Faustregel: Legen Sie mindestens zehn Prozent vom Einkommen zurück. Wer keine gesetzliche Rentenversicherung hat, spart besser die doppelte Summe.


Zwischen der gesetzlichen Rente und rein privaten Vorsorge steht die betriebliche Altersversorgung. Für wen ist das die richtige Wahl?


Betriebsrenten funktionieren heutzutage üblicherweise per sogenannter Entgeltumwandlung. Das bedeutet: Angestellte zahlen einen Teil ihres Gehalts in eine Altersvorsorge ein, statt es sich überweisen zu lassen. Darauf haben in Deutschland alle Beschäftigten einen Rechtsanspruch. Mehr noch: Der Gesetzgeber fördert Betriebsrenten gezielt. Erstens verlangt er keine Steuern und auch keine Sozialabgaben auf das umgewandelte Gehalt. Zweitens müssen Arbeitgeber 15 Prozent dazuzahlen, viele zahlen freiwillig sogar mehr. Das bedeutet: Für 20 Euro weniger Nettogehalt fließen schnell 50 oder mehr Euro in die Vorsorge. Das ist schon attraktiv. Die Nachteile will ich aber nicht verschweigen: Erstens schrumpft mit der Gehaltsumwandung der spätere gesetzliche Rentenanspruch, weil dafür ja kein Rentenbeitrag abgeführt wird. Zweitens verlangt der Staat später Steuern auf Betriebsrente, und auch Versicherungsbeiträge können im Alter fällig werden. Unterm Strich lohnt sich die Sache trotzdem meistens. Und nicht unterschätzen: Betriebsrenten gehen automatisch vom Gehalt ab. Das diszipliniert ungemein.


Und wann sollte ich damit beginnen, mich mit Altersvorsorge zu beschäftigen?

In der Frage bin ich etwas zwiegespalten: Der Kopf sagt, so früh wie möglich. Wer eher spart, spart eben länger, und kann allein durch Zinseszinseffekte mit geringeren Beiträgen ein größeres Vermögen schaffen. Das Herz aber sagt: Mit Anfang 20 das erste selbstverdiente Geld gleich für die eigene Rente zurückzulegen, statt jetzt ein bisschen Spaß damit zu haben, das ist schon eine ziemliche Zumutung. Und daran wird es 50 Jahre später vermutlich nicht hängen. Und noch ein Gedanke: Es ergibt wenig Sinn, sich um die Rente in vielen Jahrzehnten zu kümmern, solange der Weg bis dahin noch gar nicht abgesichert ist. Deshalb beginnt eine kluge Vorsorge mit dem Aufbau einer Notreserve, der Absicherung der eigenen Arbeitskraft und, wenn nötig, auch mit dem Schuldenabbau. Das alles gerät oft in Vergessenheit, ist aber genauso wichtig wie der Blick in die ferne Zukunft.

Lieber Herr Wittrock,
vielen Dank für das Gespräch.

Ratgeber

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