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EVANGELISCHE KIRCHE IM RHEINLAND
PRESSEMITTEILUNG Nr. 61/2017
21. Februar 2017
Von Harfen, Moiré-Effekten
und flüsternden Chören
Rheinisches Kunstprojekt zum Reformationsjahr 2017 nimmt Gestalt an
Düsseldorf. Die israelische Künstlerin Zipora Rafaelov hat ihr Atelier im Café der evangelischen Johanneskirche in Düsseldorf bezogen. Dort erarbeitet sie in den kommenden Tagen ihren Beitrag zum Kunstwettbewerb „reFORMation – transFORMation“ der Evangelischen Kirche im Rheinland: Aus dem 3,10 mal 2,45 m großen Rahmen einer ausrangierten Orgel der evangelischen Christuskirche in Dormagen schafft sie ein harfenähnliches Objekt. Die Künstlerin lässt sich bei ihrer Arbeit gern über die Schulter schauen: Dienstag bis Samstag von 10 bis 18 Uhr ist das Kirchencafé am Martin-Luther-Platz 39 im Herzen der Landeshauptstadt geöffnet.
Die in Düsseldorf lebende Künstlerin spannt senkrechte Schnüre in den trapezförmigen Rahmen und arbeitet von ihr gestaltete Elemente ein, die Tiere, Pflanzen, Alltagsgegenstände oder fantastische Gebilde darstellen. Das Werk soll so angestrahlt werden, dass an den Wänden die Schatten der Elemente erscheinen. Je nach Anstrahlung ändern die scherenschnittartigen Silhouetten ihre Form, es entsteht ein Wechselspiel aus Licht und Schatten.
Die Installation will die wechselvolle Geschichte des christlich-jüdischen Dialogs seit der Reformation, zu der auch Martin Luthers Antijudaismus und Antisemitismus gehören, kritisch beleuchten. Die Symbiose von Harfe und Orgel in einem Kunstwerk deutet an, dass aus christlich-jüdischem Erbe aber auch etwas Gemeinsames erwachsen kann.
Das Werk von Zipora Rafaelov ist einer von elf Beiträgen zum Wettbewerb „reFORMation – transFORMation“, den die Evangelische Kirche im Rheinland im Reformationsjahr 2017 ausgelobt hat. Der mit 3000 Euro dotierte Kunstpreis wird am 10. März verliehen. Elf Künstlerinnen und Künstler sind eingeladen, ihre Vision einer Kirche von morgen mit Skulpturen, Rauminstallationen, Fotografien und Malereien darzustellen. Ihre Arbeiten sind zugleich Teil einer Wanderausstellung, die bis 2018 in fünf Stadt- und Kulturkirchen sowie dem Landeskirchenamt in Düsseldorf gezeigt wird. Die Ausstellung startet ebenfalls am 10. März mit einer Vernissage ab 18.30 Uhr in der Düsseldorfer Johanneskirche.
„Was Martin Luther mit seiner Rückbesinnung auf die Bibel anstieß, hat zu einem Wandlungsprozess, zu einer Transformation biblischer Impulse in die Moderne geführt“, sagt Kirchenrat Volker König, Leitender Dezernent im Landeskirchenamt der rheinischen Kirche und zuständig für das Kunstprojekt. „Wie entwickelt sich die Kirche 500 Jahre nach der Reformation weiter? Was macht 2017 Reformation aus? Diese Fragen haben wir Künstlerinnen und Künstlern gestellt, weil sie Fachleute dafür sind, Visionen zu entwickeln, ihnen Gestalt zu geben und den Blick für Veränderungen zu schärfen.“ Alle Werke seien deutungsoffen und vermittelten Perspektiven.
Etwa die Skulptur „Moiré“ der Berliner Künstlerin Shila Khatami: In ihrem Wettbewerbs- und Ausstellungsbeitrag ordnet sie drei große Platten mit einem Lochblech-Muster nebeneinander an. Die Platten werden leicht gekippt, sodass eine fragile geometrische Form entsteht. Beim Umschreiten der Skulptur zeigt sich der sogenannte Moiré-Effekt – ein physikalisches Phänomen, das bei der Überlagerung feiner, unregelmäßiger Raster auftritt und ein Flirren erzeugt.
Mit jedem Schritt ergeben sich neue Perspektiven und Durchsichten. Die Skulptur nimmt Bezug auf das Selbstverständnis der evangelischen Kirche, die Menschen ermutigen möchte, eigene Standpunkte zu entwickeln.
Ein weiterer Beitrag stammt von Christian Jendreiko, ein in Düsseldorf lebender Künstler, dessen Werke unter anderem im Pariser Centre Pompidou ausgestellt sind. Er hat die Sprech-Performance „Im Anfang war das Wort“ entwickelt. Realisiert wird diese spezielle Form der sozialen Plastik von Chören aus den jeweiligen Kirchengemeinden, in denen die Ausstellung gastiert.
Eine sechsköpfige Jury, unter den Mitgliedern Leiterinnen und Leiter von Museen aus Bonn, Düsseldorf und Mönchengladbach, hat die elf Künstlerinnen und Künstler vorgeschlagen und wird am 10. März die Gewinnerin oder den Gewinner des Kunstpreises bestimmen.
Folgende Künstlerinnen und Künstler nehmen am Kunstprojekt teil: Christoph Dahlhausen („forming – transforming“), Konstantinos Angelos Gavrias („Die Versuchung“), Elmar Hermann („Shining“), Christian Jendreiko („Im Anfang war das Wort“), Shila Khatami („Moiré“), Claudia Kugler („Politics“), Christian Odzuck („Fagus 2517“), Lydia Nüüd („Transformation Lichtbündel“), Zipora Rafaelov (Licht- und Schatten-Orgel“), Manfred Rennertz („Das große X“), Kristina Stoyanova („Ohne Titel“).
Hinweis an die Redaktionen: Die Aktion der rheinischen Kirche im Reformationsjahr 2017 finden Sie hier. Gern vermittelt die Pressestelle Kontakte zu den am Kunstprojekt Beteiligten.
Termine und Orte der Wanderausstellung:
Düsseldorf | Johanneskirche | 10.03.2017 – 06.04.2017
Martin-Luther-Platz 39, 40212 Düsseldorf
Düsseldorf | Landeskirchenamt | 13.04.2017 – 01.05.2017
Hans-Böckler-Straße 7, 40476 Düsseldorf
Essen | Kunstraum Notkirche | 07.05.2017 – 09.07.2017
Mülheimer Straße 72, 45145 Essen
Köln | Antoniterkirche | 15.07.2017 – 10.09.2017
Schildergasse 57, 50667 Köln
Mönchengladbach | Hauptkirche Rheydt | 16.09.2017 – 29.10.2017
Hauptstraße 90 (Marktplatz), 41236 Mönchengladbach
Neuwied | Marktkirche | 03.11.2017–28.11.2017
Mörchen-Straße 1, 56564 Neuwied
Saarbrücken | Johanneskirche | 13.01.2018 – 18.03.2018
Evangelisch-Kirch-Straße 27, 66111 Saarbrücken
Ein Überblick über die Künstlerinnen und Künstler und ihre Wettbewerbsbeiträge:
Christoph Dahlhausen (*1960 in Bonn) lebt und arbeitet in Bonn und Melbourne. Er hat Violoncello in Köln und Medizin in Bonn und Südafrika studiert. Seit 1991 arbeitet er als freischaffender Künstler. Sein Augenmerk liegt auf raumbezogenen Arbeiten und Installationen sowie Kunst am Bau. Eines seiner bekanntesten und jüngeren Werke ist die Großskulptur „What if“ (2012) aus kippenden starkfarbigen Stahlstangen auf der Museumsmeile in Bonn. Der Künstler hat eine umfangreiche weltweite Ausstellungstätigkeit. Seit 2013 lehrt Dahlhausen als Adjunct Professor an der Hochschule der Künste der Royal Melbourne Institute of Technology University, Australien.
„forming – transforming“
Der in griechischen Fassungen des Neuen Testaments vorkommende Begriff Koinonia (κοινωνία) wird meist mit „Gemeinschaft“ übersetzt, hat aber auch die Bedeutung von „Teilhabe“. Diesen partizipatorischen Aspekt greift Christoph Dahlhausen in seinem interaktiven Projekt auf: Jede und jeder kann mitwirken.
Dahlhausen gestaltet fünf Platten aus Aluminium-Wabenblechen, die 230 cm hoch und 30 bis 115 cm breit sind. Sie sind leicht und stabil und werden normalerweise im Flugzeugbau verwendet. Der Künstler schleift eine Platte, eine andere beschichtet er mit Spiegelfolie. Die verbleibenden drei Platten lackiert er schwarz, weiß und rot. Dazu verwendet er verschiedene La />
Konstantinos Angelos Gavrias (*1978 in Unna) studiert an der Kunstakademie Düsseldorf in der Klasse von Rita McBride. Zuvor hat der Sohn griechischer Eltern drei Jahre in New York gelebt und als Fotograf gearbeitet. Seine Fotografien und Installationen waren 2015 bei der Ausstellung „Maßlos“ in Düsseldorf zu sehen. Im gleichen Jahr hat er sich an der Ausstellung „Standpunkte“ zum Thema Flüchtlinge in Pulheim beteiligt. Seit Jahren arbeitet Gavrias auch als Modell; 2015 war er Hauptdarsteller in einem VW-Werbespot.
„Die Versuchung“
Als sein Ebenbild hat Gott nach christlichem Verständnis den Menschen geschaffen. Auch als sein Abbild? Darauf spielt Konstantinos A. Gavrias mit seiner großflächigen Fotografie „Versuchung“ an, auf der er im Selbstporträt zu sehen ist. Gavrias arbeitet mit einer visuellen Zurücknahme: Auf den ersten Blick sieht der Betrachter nur eine schwarze Fläche. Auf den zweiten Blick werden die feinen Schwarzabstufungen des Drucks und die Konturen des Porträts sichtbar.
Gavrias versteht sein Kunstwerk als eine moderne Interpretation der Versuchung Christi, wie die Evangelisten sie im Neuen Testament schildern: Jesus fastet allein in der Wüste und widersteht dreimal den Versuchungen des Teufels.
In seiner Fotografie inszeniert sich Gavrias, wie Jesus in zahlreichen kunsthistorischen Darstellungen abgebildet ist: als Mann mittleren Alters, mit schulterlangem Haar und Vollbart. Es scheint, als werde der Porträtierte hineingesogen in das ihn umgebende Dunkle. Zeigt er Schwäche? Knickt er ein vor den Versuchungen, die ihn heimsuchen? Gavrias Werk bietet viele Sichtweisen an, zumal die Konturen des Porträts je nach Blickwinkel des Betrachters und Lichteinfall mal stärker, mal schwächer und teilweise auch gar nicht hervortreten.
Elmar Hermann (*1978 in Neuwied) lebt in Düsseldorf. In Grafiken, Skulpturen und Texten setzt er sich mit sozialen Bedingungen der menschlichen Kommunikation auseinander. Elmar Hermann hat Linguistik und Bildende Kunst in Düsseldorf studiert und war Meisterschüler von Rita McBride. Wichtiger Teil seines Schaffens sind Gemeinschaftsarbeiten mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, Theoretikerinnen und Theoretikern sowie Studierenden an Hochschulen. In neueren Arbeiten, die zuletzt unter anderem im KiT in Düsseldorf, im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf und im SSZ Sued in Köln zu sehen waren, beschäftigt er sich mit psychologischen Motiven in populären Horrorfilmen.
„Shining“
„Negativraum“ – so wird in der Kunst der Raum zwischen zwei Figuren genannt. Einen solche Negativraum entnimmt Elmar Hermann einem Standbild des Horrorfilms „Shining“ von Stanley Kubrick (USA 1980): Es zeigt einen Vater mit seinem kleinen Sohn. Elmar Hermann zeichnet die Profile der Gesichter von Vater und Sohn nach und übersetzt sie in eine dreidimensionale Form: eine Skulptur aus Eichenholz. Dabei geschieht eine Umwandlung von „negativ“ in „positiv“, die für die Arbeit in mehrfacher Hinsicht relevant ist.
Das Werk thematisiert die Flexibilität menschlicher Wahrnehmung und Begriffsbildung: Erst Verstehen ermöglicht Kritik, Auseinandersetzung und Mitbestimmung. In diesem Sinn kennzeichnet Reformation für den Künstler einen Entwicklungs- und Reifeprozess, der vergleichbar ist mit dem Erwachsenwerden. Im kirchlichen Kontext der Ausstellung korrespondiert das Werk zudem mit christlichen Darstellungen der Beziehung zwischen Gottvater und Sohn.
Christian Jendreiko (*1969 in Recklinghausen) lebt und arbeitet in Düsseldorf. Er entwirft Instrumentalaktionen in Form von Verbalnotationen und wird von Museen, Galerien und Kultur-Institutionen in der ganzen Welt eingeladen, um seine Notationen als Aktionen zu verwirklichen, die oft mehrere Tage dauern. 2003 wurde eine Reihe seiner Arbeiten in die Sammlung des Musée d’Art Moderne im Pariser Centre Pompidou aufgenommen. Jendreiko arbeitet gerne kollaborativ: seit 31 Jahren mit Stefan Werni als Duo Werni & Jendreiko, seit 1998 als Mitglied der Düsseldorf-Londoner Künstlergruppe hobbypopMUSEUM, seit 2012 als Mitglied der Künstlergruppe BEASTER. Jendreiko war Gastprofessor an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg und unterrichtet an der Peter Behrens School of Arts in Düsseldorf.
„Im Anfang war das Wort“
Im Anfang war das Wort. Was heißen kann: Die Worte waren immer schon da. Und die menschliche Stimme gibt es nur, damit die Worte vom Menschen ausgesprochen werden und damit eine plastische Gestalt bekommen. Ausgehend von dieser Überlegung hat Christian Jendreiko eine Sprech-Performance für einen Chor entwickelt. Realisiert wird diese spezielle Form der sozialen Plastik von Chören aus den jeweiligen Kirchengemeinden, in denen die Ausstellung gastiert. Formal knüpft die Performance an antike Gesangstraditionen an.
Zwei Zitate hat der Künstler der Performance vorangestellt. „Wenn Du etwas sprichst, das geht durch deinen Mund. Nun sprichst Du einen Wagen. Also geht ein Wagen durch deinen Mund.“ (Chrysipp, Philosoph). Und: „Mein Mund spreche weise Worte. (Hiob 49,4)
Bei der Performance wählt der Chor seine Worte selbst, um aus ihnen zu schöpfen. Welche Worte sich der Chor auch immer in den Mund legt: Wiederholt er sie, spricht er sie anders als beim ersten Mal – lauter oder leiser, modifiziert in ihrer Tonhöhe, mit mehr oder weniger Nachdruck. Danach bewegen sich die Mitglieder des Chors in verschiedene Richtungen. „Aber nur, um sich an gleicher oder anderer Stelle zu einem anderen Zeitpunkt wieder zu reformieren und diese Worte noch einmal zu sprechen. Oder andere Worte“, heißt es im Entwurf von Christian Jendreiko.
Shila Khatami (*1976 in Saarbrücken) lebt und arbeitet als freie Künstlerin in Berlin. Von 1999 bis 2004 hat sie Freie Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf und zuvor zwei Jahre an der Akademie der Bildenden Künste in München studiert. In ihren Arbeiten greift sie auf geometrische Formen aus dem Alltagsleben zurück und verweist auf deren Verbindung zur Kunstgeschichte. Gestische Pinselstriche stellen das Hermetische der minimalen Formensprache infrage und brechen es auf. Einzelausstellungen von ihr waren zuletzt in Köln („miscellaneous“, 2016), Paris („Faster“, 2015) und Berlin („Need für Speed“, 2015) zu sehen.
„Moiré“
Die Skulptur „Moiré“ spielt mit der Wahrnehmung der Betrachterinnen und Betrachter: Die Skulptur besteht aus drei unterschiedlich gelochten Holzplatten, die je 300 x 150 cm groß sind. Sie werden leicht gekippt und stützen sich gegenseitig an unterschiedlichen Punkten, so dass eine fragile geometrische Form entsteht. Wo sich die gelochten Platten überlagern, stellt sich beim Betrachten der Moiré-Effekt ein – ein physikalisches Phänomen, das ein Flirren erzeugt. Beim Umschreiten der Skulptur verändert sich das Moiré. Durch die Größe der Löcher ergeben sich mit jedem Schritt neue Überschneidungen und Durchsichten; die Skulptur befindet sich so in einem ständigen Prozess der Transformation.
Die Skulptur weist Bezüge zum Selbstverständnis der evangelischen Kirche auf, die Menschen ermutigen möchte, einen eigenen Standpunkt im Leben zu suchen und zu finden.
Der Moiré-Effekt kann als flirrende, rauschende Erkenntnis verstanden werden, ein Hauch des Göttlichen, der sich für den Moment einstellt und schon beim nächsten Schritt verschwindet. Ein magischer Moment.
Claudia Kugler (*1969 in Auerbach/Oberpfalz) lebt und arbeitet in Düsseldorf. Als Diplom-Kommunikationsdesignerin hat sie zunächst in einer Werbeagentur gearbeitet und von 1996 bis 2002 an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg studiert. Ein Schwerpunkt ihrer digital erzeugten Arbeiten ist speziell seit 2014 das Verhältnis von Wort und Bild, die Form von Information sowie die Information als Form. Seit 2000 sind ihre Werke in zahlreichen Einzelausstellungen zu sehen; die Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, etwa von der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg.
„Politics“
Die Arbeit „Politics“ von Claudia Kugler kreist um Interesse. Die Künstlerin hat die Buchstaben des Wortes in bunten Versalien als Bild gestaltet. Die Versalien haben die Anmutung einer Handschrift, als wären sie wie mit einem Filzstift oder mit Fingern geschrieben. Entgegen der üblichen Trennung sind pro Zeile drei Buchstaben gesetzt, in kräftigem Blau, knalligem Rot, kräftigem Gelb und Altrosa. Das Bild liegt als Digitaldruck vor (168,5 cm x 250 cm). Material- und Bildebene gehen ineinander über, wodurch Farbmischungen, Transparenzen und Unschärfen entstehen.
Bild und Material, Motiv und Medium fordern einander heraus. Was interessiert die Betrachterin und den Betrachter? Aus welchem Interesse? In wessen Interesse?? Für Claudia Kugler ist Interesse ein „merkwürdiger Zustand, bei dem Aufmerksamkeit an die Schwelle zur Aktivität tritt“. Sie verweist auf den österreichischen Philosophen und Kulturtheoretiker Robert Pfaller, der das Modell des „Interpassiven“ geprägt hat. Interpassivität zeige sich darin, dass andere für einen aktiv werden – wie in einer Fernsehshow, in der das Gelächter der unsichtbaren Zuschauer im Off ertönt. Die Zuschauerin oder der Zuschauer am Fernseher ist beteiligt, interessiert, bleibt aber passiv, muss nicht einmal mehr lachen.
Für Claudia Kugler ist Interesse wie ein Gelenk, das unterschiedliche Akteure einen gemeinsamen Gegenstand finden lässt, wobei Interesse nicht notwendigerweise zu Konsens führt. Das wiederum lasse sich deutlich an der Geschichte der Reformation und Gegenreformation ablesen, die zum Teil auch zu blutigen Auseinandersetzungen geführt hat.
Lydia Nüüd (geboren in Tartu/Estland) lebt als freischaffende Künstlerin seit 1991 in Koblenz. Sie hat Design und Kalligrafie gelernt und Malerei an der Estnischen Kunstakademie in Tallinn studiert. Ihre bevorzugte Arbeitsweise: „in Situ“, also „am Ort“, in den Bereich Installation, Environmental Art und Land Art. Die Umgebung, der Raum und die spezifische Situation sind Ausgangspunkt ihrer Installationen. Dazu verwendet sie Materialien aus der Natur und der Region, in der sie arbeitet, wie Muscheln, Erde, Steine, Holz, Weinkorken, Sisalkordeln und Schnüre. Lydia Nüüd hat zahlreiche Projekte in öffentlichen Räumen im In- und Ausland realisiert.
„Transformation – Lichtbündel“
Wie knüpft die evangelische Kirche ihre Netze? Sind sie leicht und durchlässig, sodass sich nur verfängt, wer sich verfangen möchte? Um offene Fragen wie diese geht es bei dem Projekt von Lydia Nüüd, das die Betrachterin und den Betrachter einladen will, eigene Antworten zu finden. Die Künstlerin gestaltet aus Verpackungsschnur gehäkelte Spiralen-Säulen, die sieben bis zehn Meter hoch sind. In den Mittelschiffen der am Projekt beteiligten Kirchen hängen sie an einem Drahtseil, das die Künstlerin zwischen Pfeiler im Innenraum spannt. Die Spiralen-Säulen sind lichtdurchlässig und leicht. Teils weiß, teils farbig gestaltet, bündeln sie das Licht. Intensive Bestrahlung verstärkt das Licht- und Schattenspiel. Der Innenraum der Kirche wird erfahrbar, bekommt Volumen, Inhalt, Dichte und Dynamik.
Die Spiralen-Säulen verweisen sinnbildlich auf Wandlungs- und Transformationsprozesse des Glaubens, der stets in Bewegung ist und häufig in ein „vertikales Denken“ mündet, wie Lydia Nüüd bemerkt. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Die Spiralen deuten ein System von oben und unten an und winden sich in beide Richtungen einer Unendlichkeit entgegen.
Das Anstrahlen der Spiralen-Säulen soll die inhaltlichen Ziele der Installation untermalen. Die Spiralen-Säulen haben fließende Formen und Öffnungen – wie der menschliche Glaube. Die Wirkung der Spiralen-Säulen variiert bei der Wanderausstellung und ist von der Architektur des jeweiligen Kirchraums abhängig.
Christian Odzuck (*1978 in Halle/Saale) lebt und arbeitet in Düsseldorf. Er studierte an der Kunstakademie Düsseldorf bei Rita McBride und Hubert Kiecol. Seit 2009 lehrt er an der Peter Behrens School of Arts und an der Kunstakademie Düsseldorf. In seinem Werk beschäftigt er sich mit den Prozessen der Wahrnehmung von Realität und wie diese durch Raum und Architektur beeinflusst werden. Odzuck wurde 2014 mit dem Förderpreis der Stadt Düsseldorf ausgezeichnet.
„Fagus 2517“
Es gab sie schon einmal, die sogenannte Luther-Buche: Sie stand im thüringischen Bad Liebenstein. Der Legende nach soll Martin Luther an dieser Buche (Lat. „Fagus“) nach seinem Auftritt beim Wormser Reichstag 1521 entführt und in den Schutz der Wartburg gebracht worden sein. In der Folge wurde der Baum zu einem Ort des Luthergedenkens; das Holz der Buche, die 1841 einem Sturm zum Opfer fiel, wurde verarbeitet und als „Reliquien“ verbreitet.
Christian Odzuck will für die Wanderausstellung eine neue Luther-Buche aussetzen. In einen Betonkübel mit Erde pflanzt er einen Sämling, aus dem die Buche emporsprießen soll. Während der Wanderausstellung ist der bepflanzte Kübel zu sehen. Wenn der Keimling groß genug ist, soll er in freier Natur ausgesetzt werden – nach Wunsch des Künstlers am letzten Standort der Wanderausstellung, in Saarbrücken. Dort soll der Kübel um 90 Grad gedreht werden, so dass am Boden eine Anleitung zum Vorschein kommt. Sie erklärt, wie mit der Luther-Buche zu verfahren ist: Christian Odzuck ist wichtig, dass die Luther-Buche in den nächsten 500 Jahren gut sichtbar bleibt. Für Odzuck ist die Buche „ein freundlicher Gruß für die Zukunft aus der Vergangenheit“. Sie soll zum Nachdenken über das Thema Zeit anregen. Verstehen Menschen diesen Kodex in der Zukunft noch? Genau 500 Jahre soll die Buche erhalten bleiben und 2517 bei einem Fest in einem großen Lagerfeuer verbrannt werden.
Zipora Rafaelov (*1954 in Beer-Sheva/Israel) lebt und arbeitet in Düsseldorf und Tel Aviv. Sie studierte erst Journalismus und Wirtschaft an der Universität Tel Aviv, brach das Studium ab und wechselte ans Institut für Schöne Künste in Bat-Yam (Israel). In den 1980er Jahren setzte sie ihr Studium an der Kunstakademie Düsseldorf fort und beendete es als Meisterschülerin. Für ihre dreidimensionalen Objekte verwendet sie ausschließlich schwarze und weiße Materialien, meist filigrane Fäden und Papier-Schattenrisse. Als Bildhauerin und Scherenschnitt-Künstlerin ist Zipora Rafaelov international tätig. Sie wurde 2014 mit dem Rheinischen Kunstpreis ausgezeichnet.
„Orgel und Harfe im Dialog“
Als „Königin der Instrumente“ bezeichnen Protestanten die Orgel. Im Judentum dagegen genießt die Harfe einen hohen Stellenwert – mit Blick auf die Harfe von König David. Die Skulptur der israelischen Künstlerin Zipora Rafaelov vereint Orgel und Harfe: Aus dem trapezförmigen Rahmen der ausrangierten Orgel aus der evangelischen Christuskirche in Dormagen bildet sie für die Ausstellung eine Harfe nach. Sie spannt senkrechte Schnüre im trapezförmigen Rahmen, dadurch bekommt ihr Objekt die Anmutung einer Harfe.
In die Verspannungen arbeitet Zipora Rafaelov von ihr gestaltete Elemente ein, die Tiere, Pflanzen, Alltagsgegenstände und fantastische Gebilde darstellen. Das Werk wird so angestrahlt, dass an Kirchwänden die Schatten der gestalteten Elemente zu sehen sind. Je nach Anstrahlung ändern die scherenschnittartigen Silhouetten ihre Form, es entsteht ein Wechselspiel aus Licht und Schatten.
Die Installation lädt dazu ein, die Wirkungen der Reformation auf den christlich-jüdischen Dialog zu bedenken, mit Licht und Schatten. Dazu zählen der Antijudaismus und der Antisemitismus, den Martin Luther gerade in seinen späten Schriften äußerte. Die Symbiose von Harfe und Orgel im Kunstwerk deutet an, dass aus christlich-jüdischem Erbe etwas Gemeinsames erwächst. Wie in den meisten Arbeiten von Zipora Rafaelov trägt Schatten auch eine positive Bedeutung – als etwas, das beispielsweise vor Sonne schützt.
Karl Manfred Rennertz (*1952 in Eschweiler bei Aachen) lebt als Bildhauer und Hochschullehrer in Baden-Baden. Er stammt aus einer rheinischen Töpferfamilie, studierte Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie und war Meisterschüler bei Professor Alfonso Hüppi. Seit vier Jahrzehnten arbeitet Rennertz als freischaffender Künstler, seit 2004 lehrt er als Professor für Plastisches Gestalten an der Hochschule OWL in Detmold. Holz ist sein bevorzugter Werkstoff, die Kettensäge sein hauptsächliches Werkzeug. Rennertz hat ein breites Werk als Zeichner und Maler geschaffen, das in Ausstellungen und Museen im In- und Ausland vertreten ist.
„Das große X“
Vordergründig geht es nur um zwei Linien, die sich kreuzen. Karl Manfred Rennertz fertigt ein gleichschenkliges Kreuz aus rauem leichtem Holz an, dessen Balken je 3,5 Meter lang sind. Die Balken bringt er mit einer Motorsäge in Form und schwärzt sie mit einem Schweißbrenner. Zudem malt Karl Manfred Rennertz ein Bild (200 cm x 300 cm), das mit der Kreuz-Skulptur korrespondiert. In die Mitte einer rot grundierten Fläche kratzt er ein X in raue Dachpappe und schwärzt sie wie die Skulptur mit einem Schweißbrenner. Das Bild soll im Raum angelehnt an eine Wand auf zwei kleinen Holzklötzen stehen.
Skulptur und Bild stehen jeweils sinnbildlich für das Verhältnis von Mensch und Kreuz, wobei Rennertz bewusst eine Kreuzform gewählt hat, die mehrere Bedeutungen in sich trägt: Wenn Menschen etwas ankreuzen, verwenden sie ein X. Sie stellen sich hinter eine Sache mit ihrer zum X reduzierten Unterschrift. Recken sie die Arme ausgebreitet in die Luft, entsteht auf der Achse von Armen und Beinen ein Kreuz.
In der christlichen Ikonografie wird ein gleichschenkliges X als Andreaskreuz bezeichnet. Der Name verweist auf den Apostel Andreas, der an einem solchen Kreuz als Märtyrer gestorben sein soll. Vor allem in frühchristlicher Zeit wurde das Andreaskreuz als Erkennungszeichen für Christen verwendet. Besonders im späten Mittelalter verwenden Künstler das Andreaskreuz in der christlichen Ikonografie.
Kristina Stoyanova (geboren in Karlovo, Bulgarien) lebt und arbeitet in Düsseldorf. An der Kunstakademie Düsseldorf machte sie 2007 ihren Abschluss als Meisterschülerin von Rita McBride und studierte drei weitere Jahre Freie Kunst (MFA) und Kulturwissenschaften in New York. In ihren Videos, Fotografien, Zeichnungen, Skulpturen und Installationen beschäftigt sie sich mit Sprachen, Kulturen, Geschlechterrollen und Realitäten. Ihre Werke waren zuletzt bei Einzel- und Gruppenausstellungen in Düsseldorf („AAAAAAA“, 2016) und Toulouse („A dragon is not a slave“, 2015) und Mönchengladbach („Object Manipulating Economy“, 2015) zu sehen.
„Ohne Titel“
Was die Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen angeht, sieht Kristina Stoyanova noch Handlungsbedarf – auch seitens der evangelischen Kirche. Mit ihrem Projekt will sie das Bewusstsein bei Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung dafür schärfen. Der Beitrag besteht aus zwei Arbeiten, einer Neonschrift und einem Objekt. Die Neonschrift spielt auf ein Zitat von Friedrich Nietzsche an: „Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde“, schreibt der Philosoph in „Also sprach Zarathustra“.
Ergänzend zur Neonschrift hat Kristina Stoyanova ein Objekt entworfen: eine menschengroße Skulptur aus Holz, deren geometrische Form einer Person in einer Yoga-Haltung nachempfunden ist.
Kristina Stoyanova möchte mit ihrem Projekt die Kirche herausfordern und konservative Vorstellungen hinterfragen. Nach Ansicht der Künstlerin hat die Reformation Impulse zur persönlichen Freiheit des Individuums gegeben. Die Aufgabe der Reformation sei mit Blick auf Frauenrechte aber noch lange nicht abgeschlossen.
Absender:
Evangelische Kirche im Rheinland | Das Landeskirchenamt | Dezernat 4.3 Politik und Kommunikation | Arbeitsbereich Kommunikation | verantwortlich: Pressesprecher Jens Peter Iven
Hans-Böckler-Straße 7 | 40476 Düsseldorf | Tel: 0211/4562-373 | Fax: 0211/4562-490 | Mobil: 0172/2603373 | www.ekir.de/presse
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