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Liebe/r Leser/in,

rollt da etwa eine Revolution auf uns zu? In der Stadt Dubrovnik sind Rollkoffer jetzt verboten. Sie haben richtig gelesen: Das Verbot betrifft weder Dieselfahrzeuge noch Unterschenkel-Tattoos. Verboten sind ab jetzt Rollkoffer. Wegen des Lärms. Tag für Tag schieben Tausende und Abertausende Touristen ihre Trolleys über die steinernen Straßen und Gassen. Das endlose Klackern und Tackern hält der Bürgermeister nicht mehr aus.

Dass er gegen die akustische Umweltverschmutzung vorgehen will, mag nachvollziehbar erscheinen, immerhin zählt Dubrovnik zum Weltkulturerbe. Aber verkörpert nicht auch der Kubus auf Rädern ein Kulturgut? Ein schützenswertes? Ist er nicht ein bewegendes und bewegliches Beispiel für die Erfindungskraft des menschlichen Geistes? Nach Jahrhunderten der Mühen und Fron ist mit dem Rollkoffer die Ära des unbeschwerten Reisens angebrochen.

Wer von A nach B will, muss nicht mehr schleppen. Egal, wie weit B entfernt ist, egal, wie viel man von A mitnehmen will: In den Rollkoffer passt alles. Und was nicht reinpasst, landet in dem zweiten Rollkoffer. Oder in einer Tasche, die wiederum auf dem Rollkoffer Platz findet. Der Rollkoffer übernimmt nicht nur alle Lasten, er dient auch als Stütze.

Und beschleunigt so die Evolution des Menschen. Der Homo sapiens, bislang angewiesen auf lediglich zwei, dem Verschleiß ausgelieferte Beine, hat sich mit den Rollkoffern künstliche Gliedmaßen erschaffen. Der aufrechte Gang verwandelt sich in ein biomechanisches Schreitschieben. So ist der Rollkoffer das Signum der modernen Mobilität. Wohin der Mensch auch immer seine Schritte lenkt – in den gepflasterten Dschungel der Metropolen oder in den ausgetrockneten Regenwald: Sein Rollkoffer ist immer dabei. Wir können nicht sagen, wann die ersten Astronauten aus der Luke eines Raumschiffes krabbeln, um die Jungfernpromenade der Menschheit auf dem Mars anzutreten – ihre NASA-geprüften Rollkoffer, so viel lässt sich vorhersehen, werden sie mit sich führen.

Der Rollkoffer rollt einer glänzenden Zukunft entgegen. Und wir mit ihm. Bald werden wir die ersten E-Rollkoffer bewundern. Auch autonom rollende Koffer sind zu erwarten. Wir nennen ihnen das gewünschte Ziel – und schon machen sich die Koffer der Zukunft allein auf den Weg. Wenn wir uns ins Auto setzen, das Gate erreichen, im Hotel einchecken – unser Koffer ist schon da. Und übermorgen? Müssen wir gar nicht mehr reisen. Weder ins Büro noch zum Traumstrand oder in den Discounter. Der Rollkoffer erledigt das. Er holt die Pizza, bringt die Dokumente und kommt aus Neuseeland mit den wichtigsten Souvenirs zurück – die uns glauben machen, wir selbst seien dort gewesen. Rollkoffer rollen über die Autobahnen, stapeln sich selbstständig im ICE oder Airbus – und legen auf Kreuzfahrtschiffen keinerlei Wert auf teure Außenkabinen.

Auf uns warten die Wonnen des wahren, des vollkommenen Reisens. Wir werden erlöst von der Mühsal jeglicher Bewegung – und unsere Rollkoffer erobern für uns die Ferne. Sie ertragen klaglos jede Verspätung, zanken sich nicht um Handtücher – und brauchen keine Sonnencreme mit hohem Schutzfaktor. Nur bisweilen, in den seltenen Momenten der Langeweile, kommen wir ins Grübeln. Und denken: Da draußen müssen ja ziemlich viele Rollkoffer unterwegs sein. Wahrscheinlich sind sie überall.

Nein, nicht überall. In dieser Hafenstadt an der kroatischen Küste sollen sie verboten worden sein. Wie heißt der Ort gleich wieder? Richtig, Dubrovnik. Muss eine schöne Stadt sein, dieses Dubrovnik.

Ihnen wünsche ich herzlich einen guten Start in die Woche.

Herzlich grüßt

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Markus Krischer,
stellvertretender Chefredakteur FOCUS Magazin

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