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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Montag, 28.03.2022 | Wieder kein Tropfen Regen, bis zu 17°C. | ||
+ Die Berliner Bürokratie zeigt sich bei der Flüchtlingshilfe teilweise von ihrer schlimmsten Seite + Der Tagesspiegel hilft Journalisten aus Russland und der Ukraine + Der Botschafter der Ukraine ist entsetzt über ein Gespräch mit Christian Lindner + |
von Lorenz Maroldt |
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Guten Morgen, wir beginnen wieder mit einem kurzen Blick auf die Ereignisse der Nachtstunden: +++ Der ukrainische Präsident Selenskyjnennt Zerstörung in Mariupol schlimmer als Tschetschenien. Die östliche Hafenstadt wird seit Wochen von Russland bombardiert. „Alle Ein- und Ausgänge der Stadt Mariupol sind blockiert“, sagte er in einer Videoansprache. ++ Bundeskanzler Olaf Scholz hat betont, dass weder die Nato noch US-Präsident Joe Biden einen Regierungswechsel in Russland anstreben. US-Außenminister Antony Blinken habe klargestellt, dass Biden keinen Sturz von Putin gemeint habe, sagte Scholz. +++ Vor den anstehenden Verhandlungen mit Russland sagte der ukrainische Präsident Selenskyj, er sei bereit zu Gesprächen über eine Neutralität der Ukraine. Wir haben unseren Servicetext für Geflüchtete („Die ersten Tage in Berlin“) noch einmal aktualisiert – Sie finden ihn hier auf Deutsch und hier auf Ukrainisch. Auch die Nachrichten aus Berlin sind geprägt vom Krieg in der Ukraine – in den ersten beiden geht es heute mal wieder um die große Frage: Ist Berlin die Hauptstadt der organisierten Unzuständigkeit oder der unorganisierten Überzuständigkeit? Entscheiden Sie selbst. | |||
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Fall 1: 120 Menschen aus der Ukraine müssen heute ab 8.30 Uhr Hals über Kopf ihren Zufluchtsort („Hostel Generator“ in Lichtenberg) wieder verlassen – der Krisenstab in der Sozialverwaltung will sie gegen ihren Willen auf andere Bundeländer verteilen, und zwar bürokratisch-korrekt „in Anwendung des Königsteiner Schlüssels“. Mitgeteilt wurde den Geflüchteten lediglich, dass sie von einem Bus-Shuttle abgeholt werden, das Ziel (nach der Übergangsstation TXL): unbekannt. Die Familien (45 Haushalte) stammen alle aus ukrainischen Partner-Gemeinden der Lichtenberger Freikirche „Hand der Hilfe“, hier waren sie zunächst untergekommen. Im Bezirk hatte sich ein großer Kreis der Stadtgesellschaft für sie engagiert (darunter Privatleute, Unternehmen wie Rewe und die Sparkasse, der Tierpark und die Mannschaft der „Eisbären“), im Abgeordnetenhaus votierte der Petitionsausschuss mit den Stimmen aller Parteien für einen Verbleib der Menschen in Berlin, und „Unter 3“, also nicht zitierbar, halten führende Politiker der Koalition die Umverteilungsaktion für zu hart und unnötig. Alles vergebens: Niemand sieht sich in der Lage, den „Königsteiner Schlüssel“ in die andere Richtung zu drehen – heute wird hier Platz gemacht. Der Lichtenberger CDU-Abgeordnete Danny Freymark, Mitglied im Petitionsausschuss, sprach gestern noch mit einigen der verzweifelten Geflüchteten vor ihrer Weiterreise ins Ungewisse, dem Checkpoint sagte er am Abend: „Das ist einfach unfassbar bewegend.“ Die letzte Hoffnung: dass es kurzfristig neue, zumindest mittelfristig nutzbare Unterkunftsangebote in Lichtenberg und Umgebung gibt. (Kontakt: Christliche Gemeinde, Moritz Maier, adk25@gmx.de / Danny Freymark, freymark@cdu-fraktion.berlin.de) | |||
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Fall 2: Seit Kriegsbeginn helfen Freiwillige („Ukraine Arrival Support“) an den Stützpunkten der Malteser bei der Ankunftsbetreuung, der Vermittlung von Unterkünften und mit Fahrdiensten. Am Sonntag kam einer der Fahrer zu seinem planmäßigen Einsatz am ZOB – und musste feststellen, dass ihm sein Einsatz aufgrund einer behördlichen Anordnung nicht mehr erlaubt ist: Die Helfer benötigen ab sofort einen Personenbeförderungsschein, so wie „geschäftsmäßige“ Chauffeure von z.B. Taxis und Krankenwagen. Dem Checkpoint sagte der verhinderte Helfer: „Das Vorgehen der Berliner Behörden ist skandalös. In Zeiten wie diesen, wo es auf schnelle unbürokratische Hilfe ankommt, wo hunderte Freiwillige Zeit, Geld und Herzblut investieren – in solchen Zeiten zieht die Bürokratie ihre Verwaltungsvorschriften durch? Ich habe am Donnerstag eine junge Ukrainerin und ihre Großmutter gefahren. Die 85-jährige Dame wurde bombardiert, hat dabei Brandverletzungen erlitten und wurde samt Hund von ihrer Enkeltochter aus der Ostukraine herausgeholt. Ich habe die Damen vom DRK-Krankenhaus Westend zu ihrer Unterkunft gefahren. Wenn es nach den Berliner Behörden gegangen wäre, hätte ich den beiden nicht helfen dürfen.“ Es kommentiert der Chemie-Nobelpreisträger Richard R. Ernst: „Wenn es einen Nobelpreis für Bürokratie gäbe, würde er oft nach Deutschland gehen.“ | |||
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Wir schalten um ins Schloss Bellevue, wo Frank-Walter Steinmeier (z.Zt. an Corona erkrankt) ein Solidaritätskonzert veranstalten ließ – u.a. mit Künstlern aus der Ukraine, Deutschland und Russland, die alle nicht für ihr Land auftraten, sondern „Für Frieden und Freiheit“, und dabei u.a. Stücke russischer und ukrainischer Komponisten spielten. Für den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk „ein Affront“ – er schlug eine Einladung aus: „Mein lieber Gott, wieso fällt es dem Bundespräsidenten so schwer zu erkennen, dass solange russische Bomben auf ukrainische Städte fallen und Tausende Zivilisten Tag und Nacht ermordet werden, wir Ukrainer keinen Bock auf ‚große russische Kultur‘ haben. Basta.“ | |||
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Das ist verständlich, einerseits (und wer meint, sich immer wieder über den Tonfall des Botschafters echauffieren zu müssen, was ja einige tun, auch Funktionäre der deutschen Regierungsparteien: Wie kalt muss man sein, um vom sichereren Sofa aus mit dem Vertreter von Opfern eines Vernichtungskriegs über verbale Stilfragen zu diskutieren?). Andererseits: Kriegsopfer aus der Ukraine, aber auch Kriegskritiker und Oppositionelle aus Russland brauchen Schutz – und eine sichere, unabhängige Bühne. Wir bieten deshalb geflüchtete Journalistinnen und Journalisten aus der Ukraine und aus Russland die Möglichkeit, von Berlin aus weiterzuarbeiten – in aller Freiheit, in ihrer Sprache. Wir richten den Kolleginnen und Kollegen dazu eigene Arbeitsplätze beim Tagesspiegel ein und stellen ihnen ein festes monatliches Honorar zu Verfügung. Wer Interesse daran hat, schickt uns bitte eine kurze Bewerbung, einen Lebenslauf und den Nachweis der bisherigen journalistischen Tätigkeit (z.B. Link zu einer Webseite mit Texten oder 2-3 Arbeitsproben) an die Mailadresse hilfsprojekt@tagesspiegel.de. Bewerbungen können auf Ukrainisch, Russisch, Deutsch oder Englisch verfasst werden. Den Link zum Projekt finden Sie hier – in deutscher, ukrainischer und russischer Sprache. Bitte auch gerne weiterleiten. Danke. | |||
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Kurz nochmal zurück zu Andrij Melnyk – für die FAZ (Sonntagszeitung) hat Livia Gerster ein beeindruckendes Portrait des Botschafters geschrieben – darin auch folgender Absatz über deutsche Spitzenpolitiker: „Am Morgen hatte Putin die Ukraine überfallen, am Nachmittag saß Robert Habeck bei ihm auf dem grünen Ledersofa und war „am Boden zerstört“. Bitter und beschämt, weil er sich von seiner Partei kleinkriegen ließ, als er im Sommer Waffen für die Ukraine gefordert hatte. Es war ein grundlegend anderes Gespräch als jenes mit Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die hauptsächlich besorgt war über ihr öffentliches Bild. Oder das mit Finanzminister Lindner, der mit „so einem höflichen Lächeln“ dasaß und redete, als sei die Niederlage der Ukrainer längst besiegelt. „Euch bleiben nur wenige Stunden“, habe er gesagt. Waffen zu liefern oder Russland von SWIFT auszuschließen sei sinnlos. Stattdessen wollte er nach vorn schauen, auf das, was Lindner für vorn hielt: eine von Russland besetzte Ukraine mit einer Marionettenregierung. Melnyk sagt: „Das war das schlimmste Gespräch in meinem Leben.“ | |||
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Das öffentliche Bild von Christine Lambrecht (siehe oben) hat übrigens eine kleine, kosmetische Auffrischung bekommen – nur einen Tag nach Kriegsbeginn saß die Verteidigungsministerin um 10 Uhr morgens gut beschützt von ihren Bodyguards in aller Ruhe im Tiefgeschoss der Friedrichstadtpassage zur Maniküre bei „Le Nails“. Um 11 Uhr ging‘s dann nach nebenan in die „Galeries Lafayette“. Stilfragen (siehe oben) lassen sich in Kriegszeiten eben auf die eine andere Art regeln. Es kommentiert Jean-Paul Sartre: „Ins Exil gehen heißt, seinen Platz in der Welt verlieren.“ | |||
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Wir kommen zur Reihe „Theorie vs. Praxis“, Thema heute: Schulabbrecher wegen mangelnder Fähigkeiten u.a. im Fach Deutsch. Theorie: „Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie hat umfangreiche Maßnahmen zur sprachlichen Förderung und Bildung entwickelt und umgesetzt, die in der Kita beginnen und in der Schule fortgesetzt werden.“ (Sts Alexander Slotty, Drucksache 19/11131). Praxis: Die Zahl der Schulabbrecher ist heute höher als im Schuljahr 2015/16 (und das, obwohl es in den Corona-Jahren keine MSA-Prüfungen gab), die Sprachtestpflicht für „Nichtkitakinder“ wird nicht kontrolliert oder sanktioniert, in der neunten Klasse erreicht ein Drittel der Schülerinnen und Schüler nicht mal die Mindeststandards, ein Fünftel ist am Ende des Schulbesuchs wegen völlig unzureichender Leistungen beim Lesen und Schreiben nicht berufsbildungsfähig. Um die Sprachentwicklung in den Kitas zu fördern, hat Ex-Staatssekretärin Sawsan Chebli gemeinsam mit ein paar anderen Engagierten einen Sprachpatenverein gegründet – vor allem benachteiligten Kindern soll so geholfen werden, mit besseren Chancen in der Schule zu starten. Falls Sie Zeit und Interesse haben, daran mitzuwirken, können Sie sich bei der Mailadresse kontakt@sprachpat-innen.berlin melden (Zeitaufwand ca. 2 halbe Tage/Woche). Welche Möglichkeiten es gibt, die Berliner Schule insgesamt besser zu machen, vor allem aber auch, wie hier die Frühförderung effektiver zu gestalten ist, haben meine Kollegin Susanne Vieth-Entus und ich für unser gerade veröffentlichtes Buch „Klassenkampf“ recherchiert. Am vergangenen Donnerstag haben wir es in der Urania vorgestellt, moderiert vom Bildungsexperten Jan-Martin Wiarda. Eine Video-Aufzeichnung der Veranstaltung können Sie hier sehen. | |||
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Während in Kliniken, Pflegeheimen, Bussen und Bahnen noch die Maskenpflicht gilt, können Geschäfte, Supermärkte, Bars oder Restaurants ab Anfang April wieder ohne Mund-Nasen-Bedeckung betreten werden. Das versetzt viele angesichts steigender Infektionszahlen und Rekord-Inzidenzen in Alarmbereitschaft. Deswegen fragen wir Sie heute: Wie sehen Sie das Ende der Maskenpflicht? Wir freuen uns, wenn Sie an unserer Umfrage teilnehmen. Als Dankeschön schenken wir Ihnen Tagesspiegel Plus 6 Wochen gratis. Als Tagesspiegel Plus-Leser erhalten Sie exklusiven Zugriff auf alle Plus-Inhalte von Tagesspiegel.de sowie unseren preisgekrönten Checkpoint in der Vollversion. Mit einem Plus-Abo können Sie heute u.a. folgende Texte lesen: Warum Taxifahrer ihren Kunden empfehlen, sich mit dem S-Bahn-Fahrplan vertraut zu machen (Checkpoint-Vollversion) „Eigentlich bin ich doch noch auf der Suche“: Dating in den Wechseljahren – wie geht das? Die Wechseljahre schienen für Andrea weit entfernt zu sein. Die plötzliche Diagnose veränderte vieles, vor allem ihr Selbstbild. Wer soll sie jetzt noch lieben? Von Helena Piontek. Von Unterwerfung bis Intervention: Fünf Szenarien, wie der Ukraine-Krieg enden kann. Das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel analysiert die militärische Situation in der Ukraine. Wie könnte die Zukunft aussehen? Von Hans Monath. „Es muss dieses Jahr passieren“: Der lange Weg zum neuen Hertha-Stadion. Vor genau fünf Jahren hat Hertha BSC Pläne für eine neue Arena vorgestellt. Nach zwischenzeitlichem Stillstand tut sich nun wieder etwas. Von Stefan Hermanns. | |||
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