Daniel Stelter Ein Traum von einem Land
 
 
 
 
 
Liebe Leserinnen und Leser,
 

vermutlich haben Sie es heuer gar nicht gemerkt, aber die närrischen Tage sind vorbei. Die fünfte Jahreszeit, jenes gotteslästerliche Interregnum der „civitas diaboli“, in der sämtliche Verhältnisse auf links gedreht und selbst heiligste Rituale für den Mummenschanz geopfert werden, gleitet in diesem Jahr nahtlos in die Fastenzeit über. Man redet ja nicht gerne darüber, aber eigentlich ist das eine Sensation! Die Narrenfeste hatten sich schon in der altbabylonischen Antike etablieren können, Kaiser und Könige haben sie kommen und wieder gehen sehen, und keiner konnte ihnen wirklich die Kappe von der Nase reißen. Warum auch? Ein guter dionysischer Rausch hilft noch immer gegen allerlei Zipperlein. Egal ob Migräne, Zwangsleiden oder posttraumatische Verbitterungsstörung: Einmal Leber und Harnblase durchspülen, und Kreislauf und Psyche sagen Danke.


Doch trotz aller evidenzbasierter Erfolgsgarantie: Klerus und Obrigkeit haben seit je alles daran gesetzt, die Narreteien im Zaum zu halten. 1353 etwa soll „de kölsche“ Erzbischof Wilhelm von Gennep versucht haben, den Ausschank von Bier und Wein zu verbieten, 1412 beschloss der Rat der Stadt Köln Spiele und Tänze in privaten Räumen zu untersagen. Durchgesetzt aber haben sich die Spaßbremsen am Ende nie. Zu fest war die Erkenntnis verankert, dass nur derjenige guter Bürger ist, der einmal im Jahr auch Blödel sein darf.


Corona, das ist wie 365 Tage Aschermittwoch


So gesehen könnten die gegenwärtigen Regierungen noch viel aus dem angeblich doch so dunklen und menschenfeindlichen Mittelalter lernen. Wo der Katholizismus noch um die kathartische Wirkung des punktuellen Rausches wusste, da wollen modernere Moral- und Ordnungsanbieter gleich ohne Ablass und Kompensationsangebot durchregieren. 365 Tage Engel, ohne auch nur eine Stunde jeck zu sein. Corona, das ist eben wie 365 Tage Aschermittwoch.
Damit uns die diesjährige Fastenzeit dennoch nicht allzu knöchern und protestantisch daherkommt, haben die großen Parteien heute trotz des anhaltenden Lockdowns zum virtuellen Politischen Aschermittwoch geladen. Die Cicero-Redaktion hat dem großen Rumgehuber zugehört.


Wem das ohne Starkbier zu trocken ist, der sollte besser bis zum Oktoberfest warten und bis dahin auf die erste Impfung hoffen. Schließlich hat uns die Bundesregierung ja versprochen, bis zum 21. September ein Impfangebot machen zu können. Das sollte also bis zum Starkbieranstich auf der Theresienwiese passen. Wer noch Zweifel hat, der fühle sich mit dieser exklusiv im Cicero veröffentlichten Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Konstantin Kuhle bestätigt.


Na dann Prost!


Ihr Ralf Hanselle, Stellvertretender Chefredakteur

 
 
 
 
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