Lieferengpässe und steigende Kosten belasten die Unternehmen... Liebe Leserin, lieber Leser, vermutlich kennst Du auch die Börsen-Weisheit "Sell in May and go away!", gelegentlich ergänzt durch den Zusatz "But remember to come back in September". Darüber ist fast jedes Jahr um diese Zeit in den Börsen-Kommentaren zu lesen. 2020 war das allerdings kaum der Fall, denn die Aktien-Kurse erholten sich gerade vom Corona-Crash. Aber dieses Jahr haben die Indizes eine lange Rallye hinter sich, eine Korrektur ist da naheliegend – und die Sommermonate scheinen sich dafür anzubieten. Tatsächlich hat die Aussage eine gewisse statistische Relevanz. Der April zählt im langjährigen Durchschnitt zu den besten Börsen-Monaten, während der Mai in nicht einmal der Hälfte der Jahre einen Gewinn brachte. Der Juni war noch etwas schwächer. Diese Zahlen beziehen sich auf den DAX, treffen aber ähnlich auch auf andere Aktien-Indizes zu. Ich möchte hier eigentlich gar nicht ausführlich über die so genannten Saisonalitäten an den Börsen schreiben. Meiner Ansicht nach sind das zwar interessante Informationen, aber eine vielversprechende Handelsstrategie lässt sich darauf kaum aufbauen. Wie gesagt: In den letzten Jahrzehnten stand der DAX im Mai am Ende des Monats in 50% der Jahre höher und in 50% der Jahre niedriger. Was stark steigt, muss auch irgendwann fallen – oder nicht? Allein daraus, dass die Aktien-Indizes in den letzten Monaten stark gestiegen sind zu schließen, dass nun eine Korrektur oder gar ein Crash immer wahrscheinlicher wird, greift zu kurz. Das erläutere ich auch ausführlich in meinem aktuellen Podcast "Aktien-Blase? So gefährlich ist die Lage wirklich!". → Hier findest Du meinen Podcast auf Google (Smartphone, Tablet etc. mit Android) → Hier findest Du meinen Podcast auf Apple (Apple iPhone, iPad bzw. iTunes) → Hier findest Du meinen Podcast auf Spotify Allerdings sind in den Aktien-Indizes durchaus gewisse Ermüdungserscheinungen erkennbar, das gilt auch für die US-Börse. Dabei führt die US-Wirtschaft inzwischen die globale Konjunkturerholung an und hat in dieser Hinsicht China abgelöst. Auch die in den letzten Tagen veröffentlichten US-Konjunkturdaten lagen teils deutlich über den Erwartungen, viele Indikatoren befinden sich auf langjährigen Höchstständen. Noch wichtiger: Die bisher veröffentlichten Quartalsberichte der Unternehmen konnten mehr als überzeugen. Viele sehen darin eine Bestätigung, dass die Unternehmensgewinne die gestiegenen Aktien-Bewertungen rechtfertigen können. Mehr als die Hälfte der Unternehmen aus dem S&P 500 haben bereits ihre Quartalszahlen vorgelegt und 87 Prozent davon waren besser als von den Aktien-Analysten im Durchschnitt erwartet. Es ist üblich, dass die Gewinnprognosen zu konservativ sind, aber eine solche Quote gab es noch nie, seitdem die Daten von IBES/Refinitiv erhoben werden, nämlich seit 1994. Eine Erklärung dafür ist, dass sich die Unternehmen selbst in den letzten Quartalen mit Ausblicken zurückhielten und daher die Analysten noch vorsichtiger waren als sonst. Durch hohes Gewinn-Wachstum sinkt die KGV-Bewertung Die Gewinne der US-Unternehmen wachsen also stärker als erwartet, aber rechtfertigt das die hohen Bewertungen? Immerhin wird der S&P 500 Index aktuell mit dem 23-fachen des Gewinns seiner Index-Mitglieder in den nächsten 12 Monaten gehandelt (Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der „Forward Earnings“). Der langfristige Durchschnitt liegt nach Angaben von IBES bei 15. Allerdings werden die starken Quartalsberichte dazu führen, dass die Analysten ihre Gewinnprognosen erhöhen, das Index-KGV wird dadurch sinken. Ein ähnlicher Effekt ist auch für den DAX zu erwarten, denn auch viele deutsche Unternehmen haben mit ihren Quartalszahlen die Erwartungen übertroffen. Aus einer Bewertung, die deutlich über dem langjährigen Durchschnitt liegt, muss nicht zwangsläufig eine Korrektur folgen. Es kann auch sein, dass die Börse zu Recht eine positive Entwicklung der Unternehmensgewinne vorweggenommen hat und diese nun aufholen. Aber natürlich ist eine historisch gesehen überdurchschnittlich hoch bewertete Börse anfälliger für Korrekturen. Da können schon geringe Zweifel an der Fortsetzung der Wachstums- und Gewinndynamik bei den Unternehmen ausreichen. Auslöser könnte ein externer Schock sein, z.B. eine Eskalation der vielen politischen Konflikte weltweit. Wachstum kann auch Probleme verursachen Aber im hohen Wachstum selbst ist ebenfalls der Keim für Enttäuschungen angelegt. So leidet besonders die Industrie in vielen Bereichen unter Knappheit. Das bremst zum einen das Wachstum und lässt über die steigenden Preise von Rohstoffen und Vorprodukten auch die Kosten wachsen. Es könnte also sein, dass die Gewinne der Unternehmen in den nächsten Quartalen langsamer steigen als derzeit von vielen erhofft. Ich bin auf diesen Zusammenhang bereits ausführlich in meinem Report "Comeback der Value-Aktien" vom 14. April eingegangen. Seitdem haben sich die Probleme noch verstärkt. Laut einer Umfrage des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung berichten 45% der deutschen Unternehmen von Engpässen; der mit Abstand höchste Wert seit Erhebung dieser Statistik im Jahr 1991. Besonders stark betroffen sind die Kunststoff-Branche und die Auto-Industrie, die vor allem über den Mangel an Computer-Chips klagt. Werke müssen deswegen heruntergefahren werden, Lieferzeiten verlängern sich und Aufträge stauen sich. Zwar können die Bestellungen später abgearbeitet werden – in Deutschland könnte es deswegen in der zweiten Jahreshälfte einen Wachstumsschub geben – aber die rasch steigenden Kosten drücken die Gewinne. Auch die US-Industrie berichtet zunehmend über Engpässe, bereits im April haben diese das Wachstum gebremst. Die Lagerbestände sind in vielen Bereichen auf Tiefststände gefallen. Es hängt nun von der Marktmacht der jeweiligen Unternehmen ab, ob sie die Preise erhöhen und die steigenden Kosten an die Kunden weitergeben können. Trotz Inflation bleibt die Geld-Politik expansiv Schon wegen der wachsenden Kosten ist ein Anstieg der Inflationsrate besonders in den USA aber auch in anderen Ländern, die langsam die Pandemie hinter sich lassen, wahrscheinlich. Davon geht jedenfalls auch Warren Buffett aus, der sogar davon spricht, dass die Inflation "nicht zu stoppen sei". Viele Menschen in den USA haben viel Geld in den Taschen, das sie ausgeben möchten. Sie werden seiner Ansicht nach bereit sein, höhere Preise für Waren und Dienstleistungen zu zahlen. Die US-Notenbank wird auf eine steigende Inflationsrate nach eigener Aussage allerdings nicht mit Zinserhöhungen reagieren. Das halte ich durchaus für glaubhaft. Dennoch könnten an den Märkten die Spekulationen zunehmen, dass die Geld-Politik früher als bislang prognostiziert verschärft wird, falls die US-Wirtschaft weiterhin deutlich stärker wächst als erwartet. Steigende Kosten bei den Unternehmen, eine schneller als erwartet steigende Inflationsrate und Zweifel am Kurs der Notenbanken könnten eine Korrektur bei den Aktien-Indizes auslösen. Noch allerdings sieht es nicht danach aus. Einen echten Crash allein wegen der im historischen Vergleich hohen Bewertung an den Börsen erwarte ich aber nicht. Denn die Rahmenbedingungen bleiben gut: Die Weltkonjunktur erholt sich, die massiven Ausgabenprogramme speziell in den USA werden dafür sorgen, dass die Nachfrage anhält und die Notenbanken werden die Geld-Politik locker halten – es bleibt ihnen angesichts der stark gestiegenen Staats-Verschuldung auch gar nichts anderes übrig. Mein Fazit Eine Korrektur kann kommen, sie muss es aber nicht, bzw. sie kann auch schwach ausfallen. Diese mehr als vage Aussage ist natürlich immer richtig und ich bin auch gerne bereit dafür 5 Euro in ein imaginäres Phrasenschwein zu zahlen. Trotzdem leitet sich daraus aber eine wichtige Schlussfolgerung ab: Auf eine stärkere Korrektur zu warten, um dann groß am Aktien-Markt einzusteigen, ist aus meiner Sicht für einen langfristigen Anleger die falsche Strategie. Es ist besser nach und nach ein Depot an Aktien und anderen Sach-Werten aufzubauen, unabhängig von der aktuellen Marktlage. Aktive Anleger dagegen sollten Ihre kurz- und mittelfristigen Positionen ohnehin immer mit Stopp-Marken absichern, die sich an der charttechnischen Situation der jeweiligen Aktie oder des jeweiligen Aktien-Index orientieren.
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